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Christoph Kramer: "Unsere Gesellschaft ist von Neid zerfressen"

  • Aktualisiert: 17.12.2014
  • 14:31 Uhr
  • ran.de / Andreas Kötter
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© Imago
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2014 war ein unglaubliches Jahr für Christoph Kramer. Im Sommer 2013 noch Zweitligaspieler beim VfL Bochum, darf sich Kramer nur zwölf Monate später nicht nur Bundesliga- und Nationalspieler, sondern gleich auch noch Weltmeister nennen.

München - Gladbachs Weltmeister Christoph Kramer spricht im exklusiven Interview mit ran.de über seinen Umgang mit dem neuen Ruhm, die Nebenwirkungen seiner Popularität und seine Zukunft.

ran.de: Herr Kramer, wie könnte man Ihr persönliches Fußballjahr 2014 in zwei, drei Sätzen zusammenfassen?

Christoph Kramer: "Ich glaube, das ist so nicht möglich. Ich schreibe ein Buch über meine bisherige Karriere, und das Jahr 2014 nimmt mehrere Seiten ein - mit ausschließlich glücklichen Momenten! Es war ja nicht nur der WM-Titel, sondern schon der Fakt, dass ich mich in der Bundesliga etablieren konnte und überhaupt Nationalspieler wurde. Mir fehlen selten die Worte, aber 2014 ist für mich ein buchstäblich unbeschreibliches Jahr mit einem riesigen Überschwang an Gefühlen." 

ran.de: Der Fußball - wie unsere Gesellschaft überhaupt - ist extrem schnelllebig; ist von der Euphorie des Sommers noch etwas geblieben, oder verbraucht sich das im Bundesliga-Alltag schnell?

Kramer: "Teils, teils. Wenn es wieder einmal einen Tag gibt, der grau und regnerisch ist, nehme ich ein paar Bilder von der WM in die Hand. Dann kommt das große Glücksgefühl ganz schnell zurück, weil man weiß, dass man mit einer Mannschaft etwas Großes geschafft hat, das fürs ganze Leben bleibt. Dennoch stimmt es, dass dich der Bundesliga-Alltag schnell wieder einholt - so wie man nach einem schönen Urlaub auch schnell wieder im alten Trott ist." 

ran.de: Sie sprechen vom "großen Glücksgefühl"; wenn das allmählich verblasst, tritt dann an diese Stelle eine Leere?

Kramer: "Nein. Ich hatte mein ganzes bisheriges Leben lang den Kindheitstraum, einen Titel zu gewinnen. Dieser Traum wurde mir nun schon mit 23 erfüllt, und das gleich noch mit dem Weltmeistertitel! Das ist überwältigend! Und ich spüre jetzt nicht mehr den ganz großen Druck, den ich mir zum Beispiel gemacht habe, als ich noch in der zweiten Liga gespielt habe, aber viel höher hinaus wollte. Heute kann ich die neuen Aufgaben mit größerer Freude, aber weniger verbissen angehen." 

ran.de: Wie haben die Mannschaftskameraden auf den Weltmeister Christoph Kramer reagiert?

Kramer: "Man wird schon etwas anders wahrgenommen ..." 

ran.de: Gibt es von den Gegenspielern einen Weltmeister-Respekt-Bonus, oder will man Ihnen jetzt erst Recht zeigen, wo es lang geht?

Kramer: "Ich bin kein Spieler wie Robben oder Ribéry, die häufig ins Eins-gegen-Eins gehen, so dass man mich ganz besonders bewachen müsste. Auf dem Platz habe ich keine Veränderungen feststellen können." 

ran.de: Und außerhalb des Platzes, gibt es dort neben vielen Schulterklopfern auch Neider?

Kramer: "Unsere ganze Gesellschaft scheint mir manchmal ein wenig zerfressen von Neid, das gilt nicht nur für den Fußball. Ich empfinde das als sehr extrem. Denn egal, wohin man schaut - mir scheint es so, als würden sich viele Menschen nicht einmal mehr das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen." 

ran.de: Könnte das irgendwann ein Grund sein - ganz unabhängig vom Fußball - Deutschland zu verlassen?

Kramer: "Nein. Ich empfinde das zwar so extrem, aber es belastet mich bisher nicht. Jeder darf sagen beziehungsweise denken, was er will. Für mich ist nur wichtig, was die Menschen denken, die mir nahe stehen." 

ran.de: Haben Sie sich verändert?

Kramer: "Ich würde sagen, dass ich schneller genervt bin, als früher." 

ran.de: Wovon, von Journalisten?

Kramer: "Klar, und von solchen wie Ihnen am meisten (lacht). Nein, im Ernst: Mir machen viele Interviews sogar Spaß. Deshalb ist 'genervt' auch der falsche Begriff. Aber ich spüre, dass ich urlaubsreifer bin als am Ende des vergangenen Jahres. Denn es ist Tatsache, dass die Verpflichtungen und Anfragen, die seit dem Sommer an einen herangetragen werden, enorm zugenommen haben. Es bleibt schlichtweg weniger Zeit für sich selbst." 

ran.de: Wie schwer ist es für einen jungen Mann, der es innerhalb eines Jahres von der 2. Liga zum Weltmeister geschafft hat, den Ball außerhalb des Rasens flach zu halten?

Kramer: "Es gibt sicher Menschen, die mir vorwerfen, dass ich mittlerweile abgehoben wäre. Ich aber glaube, dass ich noch haargenau derselbe Typ bin, wie vor einem Jahr. Bloß hat sich durch den WM-Titel die Wahrnehmung der Leute verändert. Nehmen Sie das Interview, in dem ich Transfers im Fußball mit Menschenhandel verglichen  und dabei mit der Wortwahl etwas daneben gelegen habe: Noch vor einem Jahr hätte das wohl kaum jemanden interessiert.

Nach dem WM-Titel aber wurde daraus ein Riesen-Medienhype. Und wenn ich heute mal ein Autogramm nicht gebe, heißt es gleich 'Meine Güte, jetzt ist der Weltmeister, da ist er gleich arrogant geworden'. Im vergangenen Jahr habe ich viel seltener Autogramme gegeben, bloß hat es da niemanden gestört." 

ran.de: Das "Menschenhandel-Interview" ist ein gutes Beispiel dafür, dass Sie kein Blatt vor den Mund nehmen; sind Sie durch Ihre Popularität mutiger geworden?

Kramer: "Nein. Vor einem Jahr war es für die Medien vielleicht einfach noch nicht interessant genug, wie meine sportliche Zukunft aussieht. Aber ich will nicht verhehlen, dass ich heute selbstbewusster bin. Das gilt vor allem auf dem Platz, wo ich in vielen Aktionen selbstverständlicher agiere als ich das früher vielleicht getan hätte." 

ran.de: Haben Sie die eine oder andere Äußerung bereut?

Kramer: "Ich war sicherlich erschrocken über die Wahrnehmung und den Wirbel, den die 'Menschenhandel-Geschichte' verursacht hat. Schließlich war es nie meine Absicht, irgendeinen Verein zu beschuldigen. Und ich weiß längst, dass der Begriff Menschenhandel definitiv falsch gewählt war. Dafür habe ich mich auch entschuldigt." 

ran.de: Die ganz großen Vereine wie etwa Real Madrid sollen Interesse an Ihnen haben; könnte man dem Ruf eines Klubs wie Real überhaupt widerstehen?

Kramer: "Keine Frage, es ehrt einen ungemein, wenn man mit dem Namen von Real oder den Namen anderer großer Top-Klubs in Verbindung gebracht wird. Aber zwischen 'Wir finden den Spieler Christoph Kramer ganz gut' und 'Wir haben Interesse am Spieler Christoph Kramer' liegen im Fußball Welten. Bis jetzt sind das alles nur Gerüchte, und ich könnte nicht einmal ansatzweise sagen, ob da überhaupt etwas dran ist." 

ran.de: Wenn Leverkusen auf Ihrem Vertrag beharrt, müssen Sie ohnehin zu Bayer zurück; gibt es deshalb so etwas wie die Angst, die Chance des Lebens verpassen zu können?

Kramer: "Nein, überhaupt nicht. Denn ich vertraue darauf, dass ich auch noch mit entscheiden darf, wo ich spiele und wo nicht. Im Übrigen ist es so, dass dir im Leben sehr viel Schlimmeres passieren kann, als ab Sommer 2015 für Bayer Leverkusen Fußball zu spielen. Ich bin bei Bayer groß geworden, habe dem Verein sehr viel zu verdanken und glaube, dass Bayers Spielphilosophie gut zu mir passen würde. Sollte es aber doch etwaige Angebote geben, bin ich sicher, dass wir das gemeinsam lösen werden." 

ran.de: Noch sechs Monate sind Sie Borusse; wird die Identifikation schwieriger, wenn man weiß, dass bald Schluss sein wird?

Kramer: "Auf keinen Fall. Als ich bereits bei Borussia unterschrieben hatte, mussten wir in Bochum noch gegen den Abstieg aus der 2. Liga kämpfen. Und ich habe bis zum letzten Spiel, in dem ich sogar noch ein Tor erzielen konnte, alles für diesen Verein gegeben. Glauben Sie mir, ich habe nach wie vor wahnsinnig viel Spaß am Fußball.

Und wenn man viel Spaß hat, gibt man auf dem Platz auch alles. Das war in Bochum so, und das wird bis zum letzten Tag bei Borussia so sein. Außerdem ist ja noch nichts entschieden." 

ran.de: Was können Sie und Borussia gemeinsam bis zum Sommer erreichen?

Kramer: "Ich glaube, dass ein Platz irgendwo zwischen Rang fünf und Rang acht realistisch ist." 

ran.de: Sie glauben nicht an eine Chance auf einen Champions League-Platz?

Kramer: "Eine Chance gibt es immer. Und grundsätzlich bin ich der Meinung, dass wir eine phänomenale Hinrunde gespielt haben. Man hat in der Vergangenheit bei Frankfurt oder Freiburg gesehen, welche Probleme man bekommen kann, wenn man die Dreifach-Belastung nicht gewohnt ist. Einige Klubs sind dann in der Bundesliga eingebrochen. Uns aber ist das bisher nicht passiert.

Im Gegenteil, wir haben sogar einen neuen Vereinsrekord aufgestellt. Überhaupt: Was die Verantwortlichen in Gladbach in den vergangenen fünf Jahren aufgebaut haben, das ist eine 1+ mit zusätzlichem Sternchen. Ich bin 1991 geboren worden, und für mich war Borussia in der Wahrnehmung lange Zeit immer ein Verein irgendwo zwischen Rang 14 und 18.

Heute aber hat man ein Team, von dem ich überzeugt bin, dass es in den kommenden Jahren immer mindestens einen einstelligen Tabellenplatz erreichen kann. Und selbst wenn man einmal nur Siebter oder Achter werden sollte, dann ist das immer noch sehr, sehr gut."


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