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Jahn Regensburg-Trainer Mersad Selimbegovic im ran-Interview: "Dann hat man nur einen Wunsch: Überleben!"

  • Aktualisiert: 18.11.2022
  • 10:37 Uhr
  • ran
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© Imago
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Regensburgs Trainer Mersad Selimbegvic floh in seiner Jugend aus dem Kriegsgebiet Bosniens. Bei ran spricht er über die Erlebnisse - die ihn bis heute begleiten und verfolgen.

von Alex Hofmeister

Regensburg - Mersad Selimbegovic ist ein Mann mit einer sehr bewegten und vor allem bewegenden Geschichte. Seit 2019 steht er als hauptverantwortlicher Übungsleiter am Spielfeldrand des Zweitligisten Jahn Regensburg, bei dem er auch schon als Fußballprofi aktiv war, doch noch als Kind musste er im Bosnien-Krieg um sein Leben fürchten und flüchtete aus seinem Heimatdorf.

Im ran-Interview spricht Selimbegovic über die dramatischen Erlebnisse auf der Flucht, das emotionale Wiedersehen mit seinem tot geglaubten Vater, seine gemeinsamen Zeit als Profi mit Edin Dzeko, Winterreifen als Prämie und den Wechsel nach Regensburg.

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Mersad Selimbegovic im Interview mit ran.de
Mersad Selimbegovic im Interview mit ran.de

ran: Herr Selimbegovic, aktuell sind Sie ein etablierter Zweitliga-Trainer, dessen Vertrag erst kürzlich bis 2024 verlängert wurde. Doch als Kind mussten Sie vor dem Bürgerkrieg in Bosnien fliehen. Wie hat das Ihr Leben geprägt?

Mersad Selimbegovic: Das hat alles auf unterschiedliche Art und Weise auf den Kopf gestellt. Von dort an begann eine neue Zeitrechnung mit neuen Prioritäten. Denn man hatte nur einen Wunsch: Überleben. Dadurch lernt man auch, dass alles andere gar nicht so wichtig ist, wie es uns oft scheint.

ran: Sie waren erst zehn Jahre alt, als sich Ihr Leben schlagartig änderte. Was sind Ihre Erinnerungen?

Selimbegovic: Wir wollten es zunächst nicht wahrhaben. Wir bekamen mit, was im Land geschah. Aber trotzdem dachte man: das wird bei uns nicht passieren. Auf einmal ging es jedoch los. Wir hatten monatelang Rucksäcke für den Ernstfall vorbereitet, doch nach ein paar Stunden auf der Flucht stellten wir fest, dass keiner seinen Rucksack dabei hatte. Wir hatten sie einfach in der Panik vergessen, obwohl wir uns so lange auf diesen Moment vorbereitet hatten. Mir blieb also nur noch das, was ich an hatte.

ran: Wie sicher waren die Wege auf Ihrer Flucht? 

Selimbegovic: Das war wie Verstecken spielen, nur etwas ernster. Denn man hat uns mit Waffen verfolgt. Wir sind drei Tage lang um unseren Ort im Kreis gelaufen, bis wir einen Durchbruch erzielen und weitermarschieren konnten. Wir befanden uns trotzdem in einem Territorium, in dem einem in jedem Moment etwas zustoßen hätte können. Wir hatten schon fast die Orientierung verloren, als wir uns in einem kleinen Dorf einer anderen Gruppe anschließen konnten.

Mersad Selimbegovic: Permanent um mein Leben gefürchtet

ran: Wie oft sind Sie unter Beschuss geraten? Mussten Sie um Ihr Leben fürchten?

Selimbegovic: In den ersten Tagen permanent. Am schlimmsten war es am zweiten Tag, als sie bis auf etwa 50 Meter an uns dran waren. Es hat die ganze Zeit gekracht. Der Wald hat uns zum Glück ein wenig Schutz geboten, aber ich weiß selbst nicht, wie wir da durchgekommen sind.

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  • 26.10.2022
  • 13:00 Uhr

ran: Was ändert sich in einem Menschen, wenn es ums nackte Überleben geht? Wie tickt man dann?

Selimbegovic: Man verlässt sich viel mehr auf seine Instinkte und fürchtet sich vor nichts mehr. Außerdem entdeckt man neue Fähigkeiten an sich, die im normalen Leben überhaupt nicht zum Vorschein kommen. Es wird durch einen inneren Antrieb auf einmal vieles möglich, was man zuvor für unmöglich gehalten hatte. Am Ende hat es auf eine gewisse Art und Weise wohl auch etwas mit Mut zu tun. Man braucht jedenfalls viel Mut, um das zu überstehen.

ran: Wie sahen Ihre verschiedenen Unterkünfte auf Ihrer Fluchtroute aus? 

Selimbegovic: Einmal übernachteten wir am Waldrand in der Nähe eines im Tal gelegenen Dorfes. Am nächsten Tag kam ein älterer Mann auf einem Pferd herbeigeritten mit einer Pistole bewaffnet und alle wussten sofort, dass er etwas zu sagen hat. Er hat uns erklärt, dass wir vorerst dort stationiert bleiben und sich jeder eine kleine Hütte bauen darf. So lebten wir dann zwei Monate lang. Im Herbst sind wir weiter in Richtung Stadt, nach Gorazde, gewandert und haben dort ein Ferienhaus gefunden, das sich im Rohbau befand. Unsere Betten haben wir uns aus Ziegelsteinen und Kartons als Matratze errichtet.

Allerdings war es außerhalb der Stadt nicht sicher genug, sodass uns mein Vater im Stadtzentrum in der Nähe eines Krankenhauses unterbrachte. Doch da war ich öfter im Bunker als in der Wohnung, weil das Krankenhaus leider ständig bombardiert wurde. Anfang November haben meine Eltern beschlossen, dass meine Tante, mein Bruder, meine Mutter und ich nach Südbosnien aufbrechen sollten. Mein Vater blieb jedoch zurück. Dabei mussten wir uns durchs gegnerische Territorium schleichen, da Gorazde umzingelt war. Wir sind dann südlich von Sarajevo bei der Tante meiner Mutter untergekommen. Dort war der Krieg etwas weiter weg. Insgesamt lebten wir dort zu zwölft. Es war immer Halli-Galli und es gab nie Streit. Je näher man nämlich zusammenleben muss, desto mehr Gemeinsamkeiten und Nähe entdeckt man.

Mersad Selimbegovic über das Wiedersehen mit seinem Vater

ran: Ein wichtiger Bestandteil Ihres Lebens fehlte jedoch - Ihr Vater. Wie war es für Sie, fünf Monate lang ohne ein Lebenszeichen von ihm auszukommen? 

Selimbegovic: Schlimm. Ich habe oft von ihm geträumt, bin aufgewacht, habe mir Gedanken gemacht und geschrien. Ich habe ein paar Briefe von ihm erhalten, mehr war nicht möglich. Dazwischen wusste man nicht, ob er noch leben würde, weil es in Gorazde wirklich schlimm war. Nach etwa fünf Monaten war ich draußen beim Spielen und jemand sagte mir, mein Vater sei da. Ich dachte, er will mich auf den Arm nehmen, aber er sagte die Wahrheit. Ich bin zu meinem Vater hingerannt und habe stundelang nur bei ihm gesessen und geweint. In solchen Momenten kann man nichts mehr sagen, da kommt einfach alles aus einem raus.

ran: Hat man nach so einer einschneidenden Erfahrung eine andere Sichtweise auf das Leben?

Selimbegovic: Absolut. Es hilft mir jeden Tag besser durchs Leben zu gehen, vor allem um in so einem intensiven und fordernden Beruf wie dem Profifußball, Ruhe zu bewahren, Souveränität auszustrahlen, meiner Mannschaft Halt zu geben und auch als Beispiel voranzugehen. Der Krieg ist kein Computerspiel. Daran werden so viele Leben zerstört. Wir sollten das Leben, das wir haben, nutzen und uns nicht mit unwichtigen Dingen beschäftigen.

ran: Haben Sie aus dem Krieg Lehren gezogen, die Sie auf den Fußball übertragen konnten und die Sie als Trainer heute noch begleiten? 

Selimbegovic: Ja, zum Beispiel, dass alles möglich ist. Es ist möglich zu überleben, auch wenn gerade aus etwa 30 Metern Entfernung auf dich geschossen wird. Genauso ist es im Fußball möglich, alles zu schaffen, solange man nie aufgibt. Ebenso hilft Zusammenhalt, denn während wir zusammen überlebt haben, haben es viele, die einzeln unterwegs waren, nicht geschafft. Als Gruppe hat man deshalb immer eine größere Chance, wenn man zusammenhält. Das versuche ich auch meinem Team zu vermitteln.

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Mersad Selimbegovic: Auch im Krieg hatten wir eine Menge Spaß

ran: Wie oft halten Sie die Geschehnisse von früher heute noch wach? Haben Sie deshalb schon einmal auf psychologische Betreuung zurückgegriffen?

Selimbegovic: Nein, Gott sei Dank nicht. Ich schlafe nach wie vor gut. Das konnte ich natürlich früher nur nicht, als ganz in der Nähe Schüsse gefallen sind. Es hört sich komisch an, aber wir hatten während des Krieges oft eine Menge Spaß und haben gelacht. Das fehlt mir manchmal in der heutigen Jugend, dass man sich mit wenig zufriedengibt und über die kleinen Dinge im Leben glücklich ist.

ran: Sie sind später Profi in Bosnien geworden und haben mit dem jungen Edin Dzeko beim Rekordmeister Zeljeznicar Sarajevo zusammengespielt. Zeichnete sich sein Ausnahmetalent damals schon ab? 

Selimbegovic: Es war auf jeden Fall zu sehen, dass er Talent hatte, aber dass er zu einem Weltstar werden würde, war keinem klar. Ich habe immer noch Kontakt zu ihm und er hat mich einmal nach Italien eingeladen, um vieles über Taktik zu lernen. Er hat mir da gute Tipps gegeben, weil kaum eine Fußballnation so viel Wert auf Taktik legt wie Italien.

ran: Wie sind Sie schließlich nach Regensburg gekommen?

Selimbegovic: Mein Berater unterhielt sich 2006 mit dem damaligen Torwarttrainer Branislav Arsenović, der auch aus Bosnien kam, und der verschaffte mir anschließend ein Probetraining beim ehemaligen Jahn-Trainer Günter Güttler. Er war zunächst skeptisch, dass ich Innenverteidiger spielen könnte, weil ich etwas kleiner bin als andere Spieler auf dieser Position. Gott sei Dank konnte ich aber schon innerhalb eines Trainings so überzeugen, dass ich in Regensburg bleiben durfte.

Mersad Selimbegovic: Winterreifen statt Gehalt in Sarajevo

ran: War es nicht ein riskanter Schritt, von einem bosnischen Erstligisten zu einem deutschen Viertligisten zu gehen? 

Selimbegovic: In Bosnien hatten sie mich als komplett verrückt abgestempelt, ich war immerhin fast Nationalspieler. Ich wollte aber meinem Verdienst nicht immer nachlaufen und beispielsweise einen Satz Winterreifen als Kompensation für eine ausgefallene Gehaltszahlung nehmen. Irgendwann hatte ich einen Keller voll Winterreifen und deshalb habe ich beschlossen, dass ich diese Gesamtsituation ändern muss. Ich wusste aber, dass ich womöglich einen hohen Preis zahlen könnte, wenn ich in eine niedrige deutsche Liga gehe. Zum Glück lief es dann sehr gut. Als Spieler hatte ich viele positive Erlebnisse mit dem Jahn und bin letzten Endes bis in die 2. Bundesliga aufgestiegen.

ran: Sie haben nach Ihrer Spielerlaufbahn als Trainer beim Jahn weitergemacht und neben Ihrem Job als Industriemechaniker in Ihrer Freizeit sämtliche Trainerscheine gemacht bis zum Fußball-Lehrer. Hatten Sie keine Sorgen, Ihren unbefristeten Job zu verlassen?

Selimbegovic: Doch, aber ich bin einer, der immer seine Träume und das, was mir Spaß macht, verfolgt und daran festhält. Man muss auch einfach einmal Risiken eingehen. Sogar mein Chef damals im Job hat mich unterstützt und mir geraten, es einfach als Trainer zu probieren. Also wurde ich freigestellt und bin schlussendlich 2017 Co-Trainer beim Jahn in der zweiten Liga geworden.

ran: 16 Jahre nach dem Wechsel sind Sie immer noch hier. Hätten Sie sich das damals vorstellen können?

Selimbegovic: Nein. Ich war zuvor immer maximal drei Jahre bei einem Verein. So lange war ich noch nie an einem Standort. Ich habe jetzt schon mehr als ein Drittel meines Lebens hier verbracht. Das ist schon eine Besonderheit. Die Menschen hier sind bodenständig und warmherzig. Die Altstadt ist sehr schön, aber viel wichtiger ist für mich die Natur. Zugleich brauche ich auch in meine Heimat nach Sarajevo bei weitem nicht so lange, wie von anderen deutschen Standorten aus.

ran: Sie sind das vierte Jahr Cheftrainer und damit fast der dienstälteste Trainer beim Jahn, der bereits im sechsten Jahr in der Zweiten Liga spielt. Wie schwer ist das für einen Standort wie Regensburg?

Selimbegovic: Es ist eine riesige Herausforderung. Es gehören sehr viel Arbeit und Mühen dazu, einen Verein wie den SSV Jahn in solch einer über Jahre hinweg ausgeglichenen Liga zu halten und zu etablieren. Wir haben personell Jahr für Jahr immer wieder Veränderungen, aber hier ist alles dennoch noch so familiär, dass sich neue Spieler schnell wohl fühlen. Auch ich kann in einem familiären Umfeld bessere Leistungen erbringen. Ich glaube, wir sind da insgesamt auf einem sehr guten Weg.


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