Bundesliga
Borussia Dortmund nach verpasstem Titel: Echte Leere
- Aktualisiert: 28.05.2023
- 12:48 Uhr
- ran.de / Andreas Reiners
Borussia Dortmund hat den Titel tatsächlich verspielt. Dieser Tag rund um den Signal-Iduna-Park sorgte für echte Trauer und echte Leere – und eine Demonstration, welch emotionale Wucht der Fußball immer noch liefert.
Aus Dortmund berichtet Andreas Reiners
Edin Terzic konnte einem leidtun. Er hatte seine innere Leere ganz gut in ein freundliches Lächeln verpackt.
Doch sein melancholisch-trauernder Blick und die verweinten Augen verrieten ihn, und damit dürfte der Trainer von Borussia Dortmund sowieso bei vielen (halbwegs empathischen) Menschen für den Reflex sorgen, ihn umgehend in den Arm nehmen zu wollen.
Alles beim BVB schrie nach dem vergebenen Titel-Matchball an diesem denkwürdigen 34. Spieltag nach Trost, nach Ablenkung und Hilfe. Terzic noch ein bisschen mehr, als er ein wenig verloren wirkte, während er in den Katakomben des Stadions von einem TV-Interview zum nächsten geschickt wurde. Er stellte sich tapfer den Fragen, den drängenden, den unangenehmen, den unbeantwortbaren, den nervenden. Dabei wäre er in dem Moment wohl am liebsten ganz weit weg gewesen. Doch der 40-Jährige versuchte, es philosophisch zu lösen.
"Das Spiel, in das wir uns verliebt haben"
"Es ist das Spiel, in das wir uns verliebt haben, als wir klein waren", sagte er.: "Dazu gehören Siege, aber auch Niederlagen. Verschossene Elfmeter. Vergebene Chancen. Und heute leider das Unentschieden." Das für den BVB eine Niederlage war.
Eine Art folklorischer Vollbremsung. Eine abgewürgte Eruption. Coitus interruptus. Und echte Leere. Echte Trauer. Das gehört zur echten Liebe nun mal dazu.
Diese Zuneigung sorgte schon vorher für eine Atmosphäre, die speziell war, in jeglicher Hinsicht.
Sonne, dazu Frühsommer-Temperaturen, biergeschwängerte Luft, euphorisierte Anhänger und eine Mischung aus Vorfreude, Anspannung und einer Prise Angst. Die Angst vor der eigenen Courage, vor dem großen Moment, der einmaligen Chance. Vor den Bayern und deren Dusel. Vor der Last der Lust, diesen letzten Schritt gemeinsam zu gehen. Und danach zu feiern.
Doch trotz der ausgelassenen Stimmung schwebte das mögliche Scheitern wie ein bleierner Ballast über dem Stadion, der schmale Grat zwischen Party und Desaster war spürbar, war allgegenwärtig.
Es war ein Tag der Trauer für den BVB, es war aber ein Feiertag für den Fußball. Endlich erinnerte man sich nicht mehr nur an ein Titelfinale, an einen Titelkampf bis zur letzten Sekunde, sondern spürte ihn auch.
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Man fühlt die Faszination
Man fühlte in Dortmund die immer noch fesselnde Faszination Fußball.
Und man sah es in den Gesichtern, in den Gesten, den Gefühlen, die Achterbahn fuhren. Diese ganze Palette der Emotionen bei den Menschen rund um die Pressetribüne war trotz all des Dramas eine eindringliche Demonstration, zu welcher brachialen Brutalität das Spiel immer noch fähig ist, ob nun positiv oder negativ.
Enttäuschung und Fassungslosigkeit nach dem 0:2. Hoffnung nach dem 1:2. Ekstase und Jubel nach dem 1:1 in Köln. Diese Sehnsucht, die den Menschen aus allen Poren sprang. Und dann das 2:1 der Bayern, lähmendes Entsetzen, dann wieder Trotz. Und das eigene 2:2. Nochmal Hoffnung.
Bis der Schlusspfiff für eine unwirkliche Stille sorgte. Trauer. Und Tränen.
Wieder war alles förmlich greifbar. Im Kabinentrakt zerhackten die Stollen der Schuhe die gespenstische Stille. Kein Wort, keine Erklärungen, stattdessen Umarmungen, die Suche nach Trost und Antworten nach dem "Warum?" Eine verzweifelte Suche nach einem Weg, mit der Situation und den ganzen Eindrücken umzugehen. Mit dieser Niederlage, mit der unfassbar leichtfertig vergebenen Chance, die möglicherweise so schnell nicht wieder kommt. Elf Jahre ist die letzte immerhin her.
Tränen, Trauer, Verzweiflung
Immer wieder sah man Tränen, ungläubige und leere Blicke, hängende Schultern. Ein paar Sätze gab es in der Kabine von BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, mehr nicht. Wen sollte er damit auch erreichen? "Die Jungs sind alle brutal enttäuscht. Jetzt braucht jeder etwas Zeit, um das zu verarbeiten", sagte Sportdirektor Sebastian Kehl, der neben Terzic auch seine Gefühlswelt beschreiben musste.
"Wir werden daran reifen. Jeder wird irgendwann daraus seine Lehren ziehen", so Kehl, der erklärte, dass er "den Fokus jetzt noch nicht nach vorne richten" könne: "Man darf die Enttäuschung spüren und artikulieren. Wir werden weitermachen, es ist aber noch nicht der richtige Moment dafür."
Unmittelbar nach dem Schlusspfiff hatte Kapitän Mats Hummels zugegeben, es sei "tough. Die nächsten Tage werden brutal. Mal schauen, ich bin eigentlich jemand, der sehr für sich sein möchte. Es wird schwer, das Ganze zu verarbeiten und wird länger als ein paar Tage dauern", so Hummels.
Die Spieler wollten nach dem Duschen nicht mehr groß reden. Sie blieben lange in der Kabine, jubelten und klatschten zwischendurch für diejenigen, die ihr letztes Spiel für den BVB absolviert hatten. Schlurften dann wortlos und mit versteinerten Mienen durch die Mixed Zone. Und stiegen in wartende Vans, die so schwarz wie die Stimmung waren.
Ein neuer Anlauf
"Wir waren am Ende ein Tor davon entfernt, es zu schaffen. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, ob es eine Woche oder einen Monat dauern wird. Aber ab dann sind wir wieder genau 34 Spieltage davon entfernt", sagte Terzic. Und dann werde man aufstehen und versuchen, es besser zu machen, richtete er den Blick nach vorne. "Wir werden auch diesen Test bestehen", sagte er.
Und lächelte. Trotzdem wollte man ihn immer noch in den Arm nehmen.