Europa League als Gradmesser
SC Freiburg vor Europa-League-Auftakt: Längst kein kleiner Verein mehr
- Aktualisiert: 08.09.2022
- 15:26 Uhr
- ran.de / Kai Esser
Der SC Freiburg empfängt Qarabag Agdam zum ersten Spieltag der Europa League. Während der Sport-Club immer noch als Außenseiter und Überraschung angesehen wird, ist längst klar: der SC hat sich mittlerweile als Top-Verein in Deutschland etabliert. Er spielt wie einer und wichtiger, er handelt auch wie einer.
München/Freiburg - Es ist noch gar nicht lange her, da wäre es womöglich das achte Weltwunder gewesen, den SC Freiburg nach fünf Spieltagen auf Platz eins in der Bundesliga zu sehen.
Auch jetzt ist es immer noch eine dicke Überraschung angesichts der zehn Jahre dauernden Meisterserie des FC Bayern München.
Mit dem ungewohnten Gefühl des Tabellenführers geht der SC nun in seine dritte Europapokalsaison unter Trainer Christian Streich. Auftakthürde in der Europa League-Gruppenphase ist Qarabag Agdam (ab 21 Uhr im Liveticker auf ran.de).
So ungewohnt das Gefühl des Tabellenführers ist, zumindest ein Gefühl bleibt, nämlich dass es die logische Konsequenz der vielen richtigen Entscheidungen, die die Verantwortlichen in den vergangenen Jahren getroffen haben.
Stadion, Transfers, Europa: Freiburg ist kein kleines Team mehr
Dass der Sport-Club von der Spitze der Tabelle grüßt hat nicht nur sportliche Gründe. Klar, dass ein Trainer wie Christian Streich seit mittlerweile über elf Jahren in Ruhe und ungestört arbeiten kann, selbst wenn es mal schlechter läuft, ist ein riesiger Vorteil gegenüber anderen Klubs.
Im Breisgau würde Streich wohl auch niemand anzählen, wenn er zehn Mal in Folge verlieren würde. Der kommentierte Platz eins übrigens gewohnt ruhig: "Das interessiert mich sowas von nicht", sagte er bei "Sky" in seiner typischen Art.
Doch nicht nur sportlich präsentiert sich der SC mittlerweile wie ein Top-Verein - Freiburg war zuletzt vor 2018/19 wirklich in Abstiegsgefahr - er handelt auch wie einer.
Seit der vergangenen Spielzeit nennt der Verein das Europa-Park-Stadion seine Heimstätte. Ein neues, modernes Stadion mit Platz für knapp 35.000 Zuschauer. Kostenpunkt: Rund 76 Millionen Euro. Rund 30 Millionen Euro davon übernimmt der SC Freiburg, die jährliche Pacht kostet fünf Millionen.
Eine stolze Summe, dennoch ist der Verein kerngesund. Ein Stadionneubau birgt stets Risiken, da muss man nur mal bei ehemaligen Bundesligisten wie Rot-Weiss Essen, Alemannia Aachen oder MSV Duisburg nachfragen.
In Südbaden wirtschaftet man jedoch stets ordentlich, das ist ein Verdienst von Manager Jochen Saier und Sportdirektor Klemens Hartenbach. Rund 60 Millionen Euro alleine Transferplus erwirtschaftete der Sport-Club in den vergangenen Jahren. Mehrheitlich durch Spieler aus der eigenen Jugend. Nico Schlotterbeck, erst vor dieser Saison zu Borussia Dortmund gewechselt, ist das jüngste Beispiel. Jener Saier wurde übrigens zum Manager der Saison 2021/22 gewählt.
"Die Vereinskultur hier sagt, dass man seine Arbeit möglichst gut macht, demütig ist und vernünftig miteinander umgeht. Dazu kommt die südbadische Weltsicht, nach der das Glas eher halbleer als halbvoll ist", so Saier im Interview mit "11Freunde". Besser kann man den Sport-Club in einem Satz wohl nicht zusammenfassen.
Mittlerweile jedoch hat man die Entwicklung von einem Ausbildungsverein hin zu einem Klub gemacht, der nicht nur seine Top-Spieler hält, sondern auch Top-Spieler holt. Matthias Ginter, immerhin deutscher Nationalspieler, entschied sich trotz höher dotierter Angebote für einen Wechsel zurück in den Breisgau. Um Vincenzo Grifo, Aushängeschild der SC-Offensive, gab es nie auch nur einen Hauch von Zweifel, dass er gehen könnte. Dabei ist Top-Neuzugang Ritsu Doan noch gar nicht erwähnt.
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Die Fehler aus der Vergangenheit werden nicht wiederholt
Natürlich hat auch der SC Freiburg in den vergangenen Jahren nicht immer alles richtig gemacht. 2013/14, der ersten Saison von Streich als Trainer und im Europapokal, schied Freiburg etwas kläglich aus der Europa-League-Gruppenphase aus und entrann am Ende der Saison nur knapp dem Abstieg. Die Kaderbreite war schlichtweg nicht gegeben.
2017 qualifizierten sich die Freiburger nicht einmal für jene Gruppenphase, sie scheiterten am NK Domzale. Nicht gerade eine Macht im europäischen Fußball. Die Vorbereitung und Europa League liefen nicht im Einklang, es fehlte die Frische.
Im dritten Europa-Anlauf in der Ära Streich stimmt alles. Nicht nur verlor der SC nur einen Leistungsträger, der adäquat zum Nulltarif ersetzt wurde, die Kaderbreite ist auch endlich da. Top-Stürmer Lucas Höler ist verletzt, dafür springt Michael Gregoritsch ein und macht seine Aufgabe quasi genau so gut. Lukas Kübler fehlt, dafür spielt der 20-Jährige Kiliann Sildillia eine hervorragende Saison auf der Rechtsverteidigerposition.
Ob Freiburg auf Dauer der Doppelbelastung standhalten kann ist noch offen, aber die Weichen sind bestmöglich gestellt.
Und vielleicht grüßt der SC nach dem Spiel gegen Qarabag Agdam ja sogar in zwei Wettbewerben von der Tabellenspitze.
Kai Esser
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