Sigurdssons letztes Hurra: "Es kribbelt"
- Aktualisiert: 12.01.2017
- 09:50 Uhr
- SID
Zwischen Vorfreude und Anspannung: Für Dagur Sigurdsson ist die WM in Frankreich das letzte Turnier als Bundestrainer.
Kamen (SID) - Das letzte Turnier mit seinen Bad Boys, das letzte Hurra als Bundestrainer, die letzte Titeljagd für Deutschland - da wird selbst der sonst so coole Dagur Sigurdsson emotional. "Natürlich denke ich ab und zu daran", sagte der Isländer im SID-Interview. Und gewährte einen kurzen Einblick in sein Seelenleben: "Ja, es kribbelt."
Kurz vor dem deutschen WM-Start gegen Ungarn am Freitag (17.45 Uhr/dkb-handball.de) hat Sigurdsson wieder das Jagdfieber gepackt. Der nach dem Turnier scheidende Coach will in Frankreich, bei seinem vierten Turnier als Bundestrainer, seine zweieinhalbjährige Amtszeit krönen: Am liebsten mit dem WM-Titel.
"Ich bin mir absolut sicher, dass diese Mannschaft jeden schlagen kann", sagte Sigurdsson: "Wir müssen nur schauen, dass wir mit dem richtigen Fokus in das Turnier kommen."
Genau dafür steht der Coach auch in dieser unruhigen Zeit wie kein Zweiter. In der aufgeladenen Atmosphäre der vergangenen Tage mit den vielen Schlagzeilen auch abseits des Feldes ist der stets unaufgeregte Sigurdsson für seine Spieler Vorbild und Kompass. "Wer Dagur kennt, der weiß, dass er bis zum letzten Tag alles dafür geben wird, um möglichst sportlich erfolgreich zu sein", sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning dem SID: "Er wird mit der gleichen Akribie und der gleichen Emotion diese Weltmeisterschaft angehen wie die EM und die Olympischen Spiele."
Die wochenlange öffentliche Debatte um seine Nachfolge? Der tagelange TV-Ärger? Das erneute Verletzungspech? Blendet Sigurdsson einfach aus. "Wir sind gut drauf. Und es gibt keinen Grund, negativ zu sein. Wir sollten die Aufgabe mit dem Rückenwind der beiden vergangenen guten Turniere angehen", sagte er. Typisch Sigurdsson.
Vorbild, Motivator, Taktik-Tüftler: Sigurdsson ist ohne Frage hauptverantwortlich für den steilen Aufstieg der deutschen Handballer. Innerhalb kürzester Zeit formte der Bundestrainer aus einem Team der Nobodys einen Medaillenanwärter und führte eine darbende Sportart zurück ins Rampenlicht. Nach den Nackenschlägen der verpassten Olympia-Quali 2012 und der EM 2014 hievte Sigurdsson die Nationalmannschaft in einer Atmosphäre bedingungslosen Vertrauens auf ein neues Level. Platz sieben bei der WM 2015 folgten im vergangenen Jahr der EM-Triumph und Olympia-Bronze.
Was noch fehlt, ist ein Topergebnis bei einer WM - das will die Mannschaft Sigurdsson vor dessen Wechsel zur japanischen Nationalmannschaft unbedingt bescheren. "Wir haben Dagur viel zu verdanken, deshalb möchten wir ihm ein Abschiedsgeschenk machen und Weltmeister werden", sagte Torhüter Andreas Wolff dem Nachrichtenmagazin Spiegel mit gewohnt großem Selbstbewusstsein, das Sigurdsson seinen Spielern einimpfte.
Sigurdsson, der seinen Ausgleich beim Gitarrespielen, Motorradfahren oder Joggen findet, gab dem DHB-Team eine neue Spielidee und sorgt für eine taktische Variabilität, die es so noch nie gab. Immer wieder verwirrt er die Gegner mit neuen Taktik-Variationen, wechselt ständig zwischen den Abwehrformationen und sorgt so für allgemeine Verunsicherung. Auch im Angriff verblüfft er mit Aufstellungen, die in dieser Form noch nie zusammengespielt hatten. Sigurdssons Credo lautet: Stillstand gleich Rückschritt.
Nicht weniger als sieben Europameister werden in Frankreich fehlen, darunter Top-Leute wie Steffen Weinhold, Fabian Wiede und Hendrik Pekeler - doch Sigurdsson lamentiert nicht, verfolgt auch hier den lösungsorientierten Ansatz. Natürlich sei das "sehr bitter. Aber es heißt auch, dass man sich neu formieren muss. Man weiß nicht genau, wo man steht. Wir haben neue Leute auf Schlüsselpositionen. Wie wird das gehen? Schaffen die das? Und, und, und. Das macht es spannend."
Schon vor der EM vor Jahresfrist in Polen hatte er nicht gejammert, als unter anderem Kapitän Uwe Gensheimer und Kreisläufer Patrick Wiencek als etatmäßige Stammkräfte ausfielen. Am Ende stand bekanntlich der sensationelle Titelgewinn.