Sieg in Miami gegen die 49ers
Mission erfüllt: Reids Super-Bowl-Triumph ist einer für die ganze NFL-Familie
- Aktualisiert: 03.02.2020
- 17:25 Uhr
- ran.de / Marcus Giebel
Im 21. Jahr als Head Coach gewinnt Andy Reid den Super Bowl dank der Comeback-Qualitäten seiner Kansas City Chiefs. Auch ehemalige Weggefährten freuen sich für das Mastermind aus Kalifornien.
Miami/München - Andy Reid wusste wohl einfach nicht wohin mit seinen ganzen Emotionen. Im größten Moment seiner an Siegen reichen NFL-Karriere. Also griff sich der Head Coach der Kansas City Chiefs einen seiner zahlreichen Assistenten, der natürlich auch seinen Teil am 31:20-Comebacksieg über die San Francisco 49ers im Super Bowl LIV beigetragen hatte.
"Andy hat mir einen Kuss auf die Wange gegeben", lachte Dave Merritt. Vielleicht war es auch gar kein Zufall, dass sich der 61-Jährige ausgerechnet den Coach der Defensive Backs mit einem Schmatzer beehrte. Schließlich hatte gerade die Secondary dafür gesorgt, dass vier der letzten fünf Pässe von "Niners"-Quarterback Jimmy Garoppolo allesamt auf dem Rasen landeten, ehe Cornerback Kendall Fuller mit seiner Interception dem Gegner aus Kalifornien endgültig den Garaus machte.
Reid triumphiert im 21. Jahr als Head Coach
Doch eigentlich hätte Reid wohl die ganze Welt umarmen können. Und jeden herzen, der ihm im Innenraum des Hard Rock Stadium zu nahe kam. Denn mit dem Erfolg im Spiel der Spiele ist es vollbracht. Endlich. Der erste Super-Bowl-Triumph im 21. Jahr als Head Coach lässt den gebürtigen Kalifornier endgültig in den Reigen der Größten aufsteigen, die jemals an der Seitenlinie der NFL die Verantwortung trugen.
Nach seinem 222. Sieg in der Liga ist Reid nicht mehr der Unvollendete. Wobei ihm dies wohl auch ohne den Triumph von Miami niemand guten Gewissens nachgesagt hätte. Doch trotz 15 Playoff-Teilnahmen, zehn Division-Titeln und sieben Conference Championship Games, von denen er zwei gewann, war eben bis zu diesem Spiel auch klar: Das i-Tüpfelchen fehlte einfach. Trotz des Super-Bowl-Sieges vor 23 Jahren als Teil des Staffs der Green Bay Packers.
Immenses Fachwissen und riesengroßes Herz
Nun also hat der etwas kauzig und verschroben wirkende Coach den nächsten Schritt in Richtung Football-Olymp getan - und quasi jeder freut sich mit. Zumindest außerhalb San Franciscos. Denn Reid verfügt nicht nur über die Führungsqualitäten und ein immenses Fachwissen, die Voraussetzung für derlei Erfolge sind. Sondern auch über ein riesengroßes Herz.
Das verdeutlichen die Aussagen seiner Weggefährten. Es wirkte, als wäre dieser Triumph einer für die ganze Football-Familie. Im Chiefs-Lager erwähnten Spieler wie Offizielle, dass dieser Sieg, dieser Super-Bowl-Ring, vor allem für Mastermind Reid gewonnen wurde.
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Für Kelce ist Reid "eine Vaterfigur"
"Für mich bedeutet es die Welt. Wir haben einen Ring für den großen Typen gewonnen. Er ist für immer mit uns verbunden. Er wird uns nicht mehr los", jubelte Travis Kelce, der Reid als "Vaterfigur für jeden bei uns" betitelte. Worte, die weit über gewöhnliche Lobreden auf die Väter von Erfolgen hinausgehen.
Chiefs-Besitzer Clark Hunt betonte nach dem ersten Super-Bowl-Sieg seit 1970 noch auf dem Siegerpodest: "Ich freue mich für unsere Spieler, Trainer und Fans. Und besonders für Andy Reid. Niemand verdient diese Trophäe mehr als er."
Eagles beglückwünschen Reid per Tweet
Und auch von den Philadelphia Eagles, die Reid 2012 nach 14 Jahren als Head Coach verlassen musste, kamen Glückwünsche. "Es ist deine Zeit, Andy", twitterte die Franchise. Deren Boss Jeffrey Lurie drückte vor Ort die Daumen und soll laut NFL-Insider Ian Rapoport verbreitet haben, dass er noch nie mit einem anderen NFL-Team so sehr mitgefiebert habe wie nun mit den Chiefs.
Darauf angesprochen, erläuterte Reid: "Ich hatte 14 großartige Jahre in Philadelphia und Jeff Lurie und ich sind noch immer Freunde - das ist wichtig. Bei allem, was er für mich und meine Familie getan hat, werde ich ihm immer dankbar sein."
Reid-Assistent denkt an Familie des Head Coaches
Was die Familie für den neunfachen Großvater bedeutet, weiß auch Kuss-Opfer Meritt: "Sobald das Spiel beendet war, habe ich an Andys Familie gedacht, seine Kinder, seine Frau, seine Cousins, seine Brüder - jeden, der mit ihm verbunden ist. Sie alle sind Champions geworden." Gemeint sind in erster Linie Ehefrau Tammy, die Söhne Britt und Spencer sowie seine Töchter Crosby und Drew Ann.
Und natürlich Garrett. Auch wenn Reids ältester Sohn den größten Sporttag seines Vaters jedoch nicht mehr miterleben durfte. Nachdem er jahrelang mit Drogenproblemen zu kämpfen hatte, starb der damals 29-Jährige im Sommer 2012 an einer Überdosis Heroin.
Mahomes staunt über Reids Akribie bei der Arbeit
Auch diese Episode in seinem Leben hat Reid sicher geholfen, die Rückschläge in der NFL richtig einzuordnen. Es ist schließlich nur Sport. Auch wenn Patrick Mahomes das Bild eines fast rund um die Uhr am Playbook tüftelnden Head Coach skizzierte: "Ich denke nicht, dass er jemals schläft. Er arbeitet härter als alle anderen, die ich bislang kennengelernt habe. Er beginnt um drei und geht erst nachts um elf. Ich bin stolz, dass ich ihm diese Trophäe geben kann."
Unter der Regie des gebürtigen Kaliforniers hat der Super-Bowl-MVP in seinen ersten beiden kompletten NFL-Spielzeiten die wichtigsten Ehren abgeräumt. Der Weg in die Hall of Fame sollte Reid und Mahomes seit Sonntag bereitet sein.
Reid für Mahomes "einer der besten Coaches der Geschichte"
Für den Playmaker, der sich mit 24 Jahren als zweitjüngster Quarterback nach Ben Roethlisberger seinen ersten Super-Bowl-Ring anstecken darf, steht fest: "Jetzt sind alle Zweifel beseitigt. Er ist einer der besten Coaches der Geschichte und das war er auch schon vorher."
Der Weg dahin war zweifellos steinig. In allen drei Postseason-Spielen liefen die Chiefs einem Rückstand von mindestens zwei Scores hinterher - und siegten letztlich jeweils mit mindestens elf Punkten Vorsprung. Das ist in der Ligageschichte einmalig.
Nur Patriots mit ähnlichem Comeback im Super Bowl
Zuvor holten auch nur die New England Patriots im Super Bowl einen Rückstand von mindestens zehn Punkten im vierten Viertel auf und gewannen noch. Der Franchise gelang das sogar zweimal: Vor fünf Jahren beim 28:24 über die Seattle Seahawks und zwei Jahre danach beim 34:28-Overtime-Sieg gegen die Atlanta Falcons.
"Wir hatten keinerlei Zweifel", drückte Tyrann Mathieu das Selbstverständnis der Chiefs bei "Fox" aus. Und der "Honey Badger" offenbarte: "Coach Reid hat mir nach beiden Interceptions (von Mahomes, d. Red.) gesagt, dass wir weiter Gas geben sollen, an uns glauben sollen. Er gibt mir das Vertrauen, da rauszugehen, unabhängig von dem, was ich mache."
Reid lässt zwei Fourth Downs ausspielen
Um Reid kam an diesem Abend wirklich niemand herum. Schließlich hatte der Head Coach schon in der auf Augenhöhe ablaufenden ersten Hälfte einige Statements gesetzt. Gleich zweimal vertraute er seiner Offense beim Fourth Down - und bewies damit deutlich mehr Mut als sein Gegenüber Kyle Shanahan.
In diesen beiden Drives kam KC zu den ersten beiden Scores. Also alles richtiggemacht! Wer wagt, der gewinnt.
Reid platzt in TV-Liveschalte im Stadion
An diesem für Reid so besonderen Abend klappte einfach alles. Und so suchte der laut Coach-Kollege Ron Rivera "netteste Typ in der NFL" das ohnehin auf ihn gerichtete Rampenlicht, platzte beim Verlassen des Rasens in eine Live-Schalte des US-Sender "ESPN" und ließ sich zu einer spontanen Einschätzung hinreißen.
"Ich bin so stolz auf diese Jungs. Sie haben das großartig gemacht", fasste Reid zusammen. Über sich selbst verlor er kein Wort. Blieb sich stattdessen wie immer treu. "Für Andy sind andere wichtiger als er selbst", erklärte Jason Licht, General Manager der Tampa Bay Buccaneers und zu Reids Zeit in Philadelphia in der Führungsebene der Eagles tätig: "Er wollte den Titel für jeden anderen gewinnen, bevor er ihn für sich holen wollte. Und genau deshalb ist er ein unglaublicher Anführer."
Reid hat schon Hunger auf weitere Titel
Natürlich besteht keinerlei Zweifel: Reids Anteil ist am Titel gewaltig. Er fand in jeder Partie die richtigen Antworten, vollzog die erfolgreichen Anpassungen als Reaktion auf die ersten Spielzüge und ermöglichte somit Comeback um Comeback.
Und nun? Hat der frischgebackene Super-Bowl-Sieger Blut geleckt. "Wenn du einen gewinnst, willst du noch einen", frohlockte Reid, dem aber auch bewusst ist: "Es wird niemals wieder so sein wie in dieser Nacht. Das ist der kranke Teil unseres Jobs."
Vorher aber gönnte sich der Coach des Jahres von 2002 die wohlverdiente Belohnung für die mit viel Anlauf erfüllte Mission: "Ich werde den größten Cheeseburger verdrücken, den ihr jemals gesehen habt. Vielleicht auch einen doppelten."
Marcus Giebel
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