Bundesliga
Borussia Dortmund zieht Reißleine: Warum Favre nicht mehr der Richtige war
- Aktualisiert: 13.12.2020
- 15:39 Uhr
- ran.de
Der Offenbarungseid gegen den VfB Stuttgart hat Folgen. Der BVB entlässt Trainer Lucien Favre und zieht damit zum richtigen Zeitpunkt die Reißleine.
München - Die versteinerten Mienen auf der Tribüne waren selbst durch die weit hochgezogenen Masken zu erkennen. Bedient waren die BVB-Oberen nach dem 1:5-Debakel gegen Aufsteiger Stuttgart. Verständlicherweise. Vor allem das "Wie" der Niederlage dürfte die Bosse erzürnt haben.
"Mutlos, ideenlos, leidenschaftslos, hilflos", fasste "Sky"-Experte Dietmar Hamann die Leistung der Dortmunder zusammen. Die Entlassung Favres keine 24 Stunden später kündigte sich schon an, als Sportdirektor Michael Zorc wortlos und BVB-Boss Hans-Joachim Watzke mit drei knappen Sätzen an den wartenden Journalisten im Signal Iduna Park vorbeigingen.
Wortkargheit und Schweigen – nach den Gesetzmäßigkeiten im Fußball zwei unmissverständliche Anzeichen dafür, dass es eng wird für den Trainer.
Sportlich noch nichts verloren
Die angekündigte Analyse am Sonntag führte nun also dazu, dass Favre mit sofortiger Wirkung nicht mehr das Sagen hat. Kein Warten bis zur Weihnachtspause, kein Zögern, das der BVB in der Vergangenheit immer wieder an den Tag gelegt hatte. Jetzt wird gehandelt. Das ist auch richtig so.
Denn rein sportlich ist noch nichts verloren. Mit Platz fünf in der Tabelle und fünf Punkten Rückstand auf die Spitze ist das Rennen um die Meisterschaft weiter offen. Vor allem weil auch die Konkurrenz schwächelt. Nur braucht es jetzt eben einen Trainer, der der verunsicherten Mannschaft neue Zuversicht, neue Impulse und neue Motivation verleiht.
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Favre zu ratlos
Favre ließ zwischen den Zeilen schon auf seiner letzten Pressekonferenz durchblicken, dass er sich das nicht mehr zutraut. "Es war überhaupt nicht gut, es war eine Katastrophe. Die Zweikämpfe, die Balleroberung...", klagte er desillusioniert. Ratlosigkeit spiegelte sich in seinen Augen wider. Es konnte einem fast leid tun.
Der Offenbarungseid gegen Stuttgart, die höchste Heimniederlage seit elf Jahren und die uninspirierte Mannschaftsleistung lieferten insgeheim wohl auch dem Coach kaum mehr Argumente für ein Weitermachen. Da konnte auch das Minimalziel in der Champions League, das Erreichen des Achtelfinals in einer schwachen Gruppe, nichts mehr ändern.
Kritik von Reus und Hummels
Auch die Spieler-Interviews nach Abpfiff dürften die Vereinsbosse beeindruckt haben. Wenn Kapitän Marco Reus frustriert feststellt: "Wir sind keine Mannschaft, die gut verteidigen kann", gleicht das einem Frontalangriff auf den Trainer. Schließlich ist es dessen Aufgabe, sein Team richtig einzustellen, zu motivieren und zum Laufen zu bewegen. Aller Müdigkeit und Corona-bedingten Widrigkeiten zum Trotz.
Mats Hummels sparte ebenfalls nicht mit Kritik und forderte "sinnvollen Fußball". "Sinnvoll heißt: Risiko da, wo es angebracht ist und einen Ertrag bringt. Wir spielen leider Risiko in Räumen, in denen der Ertrag klein ist, die defensive Konsequenz daraus aber sehr groß. Oft können wir das durch individuelle Klasse kaschieren, heute ging das gnadenlos schief. Wir haben uns im Minutentakt ins eigene Fleisch geschnitten", so der Abwehrchef am "Sky"-Mikrofon.
BVB fehlt die Konstanz
Doch hätte Borussia Dortmund nicht schon viel eher handeln müssen? Von ungefähr kommt die aktuelle BVB-Krise auf jeden Fall nicht. Schon in der vergangenen Saison fehlte es an Konstanz. Die Mentalitäts-Diskussion im Zuge dessen ist etwa so alt wie Favres Amtszeit in Dortmund und unabdingbar mit dem Schweizer verknüpft.
Bislang hatte der Trainer seinen Kopf immer wieder aus der Schlinge gezogen. Weil er sich bemühte. Anfängliche Kritik, er sei zu emotionslos, hatte zur Folge, dass sich Favre am Spielfeldrand immer mehr engagierte. Vor allem aber hatte den Trainer stets die von Hummels erwähnte individuelle Klasse einzelner Spieler gerettet. Dieser Anker brach zuletzt völlig weg.
Leistungsträger nur noch ein Schatten
Jadon Sancho, in der vergangenen Saison der Überspieler beim BVB, ist aktuell nur noch ein Schatten seiner Selbst. Der Hype um seine Person und das Wechsel-Theater mit Manchester United im Sommer haben dem 20-Jährigen ganz offenbar nicht gutgetan. Das ist durchaus kein neues Phänomen bei jungen Spielern. Auch Kai Havertz oder Alphonso Davies können ein Lied davon singen.
Auch andere Leistungsträger wie Raphael Guerreiro, Julian Brandt, Marco Reus, Axel Witsel oder Abwehr-Chef Mats Hummels laufen ihrer Form derzeit hinterher. Hinzukommt, dass der Abgang von Achraf Hakimi einfach nicht kompensiert werden kann.
Fatale Abhängigkeit von Haaland
Und dann ist da noch die offensichtliche Abhängigkeit von Stürmer Erling Haaland. 17 Treffer erzielte der Norweger in der laufenden Spielzeit in 14 Partien. Fällt er – wie aktuell - mit einem Muskelfaserriss aus, bekommt der BVB offensiv Probleme.
Weder Reus noch Brandt, die Favre zuletzt auf der Neun aufbot, fühlen sich dort wohl. Es fehlt ein richtiger Backup für Haaland. Eine Nachlässigkeit der Kaderplaner. Schließlich wäre es vermessen, dem 16-jährigen Youssoufa Moukoko diese Last aufzuerlegen. Auch der 18-jährige Giovanni Reyna, zuletzt der einzige Lichtblick beim BVB, kann die Kohlen nicht allein aus dem Feuer holen.
Pochettino und Rangnick verfügbar
Haaland wird aller Voraussicht nach noch bis Weihnachten ausfallen. Bis dahin stehen drei Spiele auf dem Programm, die der BVB unbedingt gewinnen muss: bei Werder Bremen, bei Union Berlin und im Pokal bei Eintracht Braunschweig.
Favres Ratlosigkeit konnte der BVB in dieser herausfordernden Zeit nicht mehr riskieren. Bis zum Saisonende soll daher Co-Trainer Edin Terzic übernehmen, ehe Watzke und Co. einen Nachfolger präsentieren.
Anders als in der Vergangenheit sind diesmal hochkarätige Kandidaten auf dem Markt. Der frühere Tottenham-Coach Mauricio Pochettino zum Beispiel. Oder auch Ralf Rangnick, wobei die BVB-Bosse zu Letzterem ein eher schwieriges Verhältnis pflegen.
Vielleicht ist es jetzt aber auch an der Zeit, dass Watzke und Zorc einmal neue Wege wagen und über ihren Schatten springen. Nach Thomas Tuchel, Peter Bosz, Peter Stöger und jetzt Favre braucht es in Dortmund mal wieder eine Trainer-Erfolgsgeschichte, damit sich die Mienen in den Gesichtern endlich wieder aufhellen.
Carolin Blüchel
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