Bundesliga
FC Bayern: Drei Mammut-Aufgaben für Julian Nagelsmann
- Aktualisiert: 10.07.2021
- 21:23 Uhr
- ran.de
Mit Julian Nagelsmann kehrt die Harmonie beim FC Bayern ein. Doch den neuen Trainer erwarten in seiner ersten Saison drei Mammut-Aufgaben, die er meistern muss - unter suboptimalen Voraussetzungen.
München - Neue Zeitrechnung, alte Ansprüche. Beim FC Bayern ist vieles neu und doch alles gleich. Mit Julian Nagelsmann nahm der siebte Trainer in zehn Jahren diese Woche seine Arbeit auf. Im Optimalfall soll der 33-Jährige eine neue Ära prägen.
Wie auch der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn. Mit dem Ausscheiden von Karl-Heinz Rummenigge ist der frühere Torwart-Titan jetzt der starke Mann an der Säbener Straße. Er gibt den Druck, den er sich naturgemäß selbst auferlegt, gleich eins zu eins an seinen Trainer weiter. Botschaft: Eine Schonfrist für Nagelsmann wird es nicht geben. Erfolg ist alternativlos.
"Die Erwartungen beim FC Bayern sind nicht klein. Es geht darum, erfolgreich Fußball zu spielen. Julian hat die Qualität, eine Mannschaft weiterzubringen und die Spieler weiterzuentwickeln. Das sollte natürlich einhergehen mit Titeln", so Kahn bei der Auftakt-PK.
Nagelsmanns kluger Schachzug
Nagelsmann nahms gelassen. Ausgefuchst ist der Neue, der als kleiner Junge einst in Bayern-Bettwäsche schlief, ja schon. Die Kaderplanung sei Vereinssache, konstatierte er klug. "Natürlich gebe ich meine Meinung ab, aber am Ende hat der Verein den Hut auf", sagte Nagelsmann und schloss damit einen Graben, der in der vergangenen Saison ein offener Kriegsschauplatz zwischen Vorgänger Hansi Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic gewesen war.
"Brazzo" freute sich über die "1a-Kommunikation" beim ersten Espresso. Beim FC Bayern ist wieder "Mia san Mia" angesagt. Wohlfühlzone Säbener Straße. Auf den ersten Blick. Denn zwischen den Zeilen stellte Nagelsmann damit auch klar: Personalbedingter ausbleibender Erfolg kann nicht ihm angelastet werden. Nachdem Salihamidzic Chefscout Marco Neppe kurzerhand zum technischen Leiter befördert hat, braucht es nicht viel Fantasie, um zu erkennen, wer im Misserfolgsfall wohl den Schwarzen Peter fest in Händen hätte. Aber zurück zu Nagelsmann.
Auch ohne die Kaderfrage bleiben drei große Mammut-Aufgaben, die der Coach in seinem ersten Jahr meistern muss.
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Bayern jagt "La Decima"
Stichwort Meister. Neunmal in Folge holte der FC Bayern im zurückliegenden Jahrzehnt die begehrte Schale. Titel Nummer zehn oder "La Decima", wie die Spanier sagen, wäre europaweit ein Rekord. In der vergangenen Spielzeit hatte Juventus Turin dieses Kunststück verpasst. Der Platz in den Geschichtsbüchern wäre den Bayern einmal mehr gewiss.
Viel schwerer als die Rekordjagd wiegt allerdings der Druck, im Jahr eins nach Karl-Heinz Rummenigge an vorangegangene Erfolge anzuknüpfen. Wäre es doch ein Desaster für Kahn und Salihamidzic, titellos in die Post-Hoeneß-Rummenigge-Ära zu starten.
Die neue Vereinsführung schaut sogar über den Meisterschalenrand hinaus. "Das Ziel Champions-League-Titel ist natürlich absolut zu erreichen", ist Kahn überzeugt. Angewiesen ist der FC Bayern dabei allerdings auch auf die nötige Portion Glück.
Die Kadergröße sei völlig ausreichend, meinte Nagelsmann. Mit einer Einschränkung: "Wenn alle gesund bleiben, gibt es keine Probleme. Wenn sich viele Spieler verletzen, gibt es immer Probleme." Für den Hinterkopf: Gerade nach Welt- und Europameisterschaften kommt es erfahrungsgemäß häufiger zu verletzungsbedingten Ausfällen als in Jahren ohne große Turniere. So war es immer, so wird es wohl bleiben.
System-Flexibilität ist gefragt
Die zweite Mammut-Aufgabe des Trainers besteht darin, das passende Spielsystem zu finden. Nach den Abgängen von David Alaba, Jerome Boateng und Javi Martinez liegt der Fokus vor allem auf der Defensive. Zwar wolle Nagelsmann nicht alles auf den Kopf stellen. "Es geht darum, eine gewisse Flexibilität zu haben", betonte der 33-Jährige bei seiner ersten Pressekonferenz.
Weil er seine Spieler "auf ihrer besten Position" einsetzen will, dürfte Joshua Kimmich im defensiven Mittelfeld gesetzt sein. Ebenso wie Leon Goretzka. Neben der bayern-typischen Viererkette, in der wohl - wenn alle fit sind - Benjamin Pavard, Neuzugang Dayot Upamecano, Lucas Hernandez und Alphonso Davies als Bestbesetzung gelten, wird Nagelsmann die Dreier- bzw. Fünferkette etablieren. So wie schon in Hoffenheim und Leipzig.
Knackpunkt rechte Außenbahn
Dabei kristallisiert sich die rechte Außenbahn als Knackpunkt heraus. Da es – Stand jetzt – wohl keinen weiteren namhaften Neuzugang geben wird, muss sich Nagelsmann einen Kandidaten schnitzen beziehungsweise aus dem Bestand bedienen. Serge Gnabry bekleidete diese Position unter Nagelsmann schon in Hoffenheim. Auch Kingsley Coman wäre eine denkbare Alternative. Leroy Sane durfte sich erst jüngst bei der EM in ungewohnter Rolle probieren. Mit, vorsichtig ausgedrückt, überschaubarem Erfolg.
Ein Möglichkeit wäre eventuell auch Christopher Scott aus der zweiten Mannschaft. Der 19-Jährige fühlt sich zwar hauptsächlich im offensiven Mittelfeld zuhause, wegen seiner Schnelligkeit und Stärken in der Defensive könnte der gebürtige Kölner laut "Sport1" jedoch umgeschult werden.
Pavard, Upamecano und Hernandez wären in der Innenverteidigung wohl erste Wahl, wobei letzterer bis Mitte August verletzt ausfällt. Bleiben als Backup Niklas Süle und Youngster Tanguy Nianzou. Auf der linken Außenbahn ist Davies eigentlich unersetzbar. Wie lange der Kanadier nach erlittener Knöchelverletzung ausfällt, ist derzeit noch unklar.
Vorstellbar wäre in jedem Fall ein 3:4:3 oder sogar ein 3:5:2. Bei zweiter Formation könnte Marc Roca als möglicher Profiteur hervorgehen und neben Kimmich und Goretzka im Mittelfeld agieren, während Thomas Müller als hängende Spitze nach vorne rückt. Fest steht dann aber auch: Vom Flügel-Trio Gnabry, Sane und Coman wäre nur noch Platz für einen.
Nachwuchs zum Durchbruch verhelfen
Mammutaufgabe Nummer drei resultiert aus einer Forderung der Vereinsführung. Demnach soll Nagelsmann Nachwuchsspielern zum Durchbruch verhelfen. Die Notwendigkeit besteht auch deshalb, weil der Verein corona-bedingt einen Umsatzrückgang von 150 Millionen Euro zu verzeichnen hat, was umfangreiche Aktivitäten auf dem Transfermarkt ausschließt.
Hoffnungsträger sind unter anderen die Rückkehrer Joshua Zirkzee (war an Parma Calcio ausgeliehen) oder Chris Richards (war an Hoffenheim ausgeliehen). "Wir erwarten von Julian, dass er solche Spieler auf das höchste Niveau bringt", forderte Kahn.
Ehrlicherweise sei jedoch gesagt, dass die Qualität der Spieler in der zweiten Mannschaft in der vergangenen Saison nicht ausgereicht hatte, die dritte Liga zu halten. Eine Bundesligatauglichkeit, noch dazu für Bayern-Ansprüche, liegt da nicht unbedingt auf der Hand.
Lichtblicke gibt es allemal. Neben dem erwähnten Scott etwa Armindo Sieb. Der 18-Jährige kam vor einem Jahr aus der Hoffenheimer Jugend, ist beidfüßig und fühlt sich als hängende Spitze am wohlsten. Unter Hansi Flick feierte er in der ersten Runde des DFB-Pokals bereits sein Profi-Debüt, war dann aber wegen einer schweren Bänderverletzung monatelang außer Gefecht.
"Verrückte Dinge" in der Zukunft?
Die drei To-Dos auf Nagelsmanns Liste lassen erahnen: Ein Zuckerschlecken wird die Premierensaison für den neuen Trainer nicht. Selbst wenn er die Kaderverantwortung weit von sich geschoben hat, der Druck ist dadurch nicht geringer.
Übrigens auch nicht für "Brazzo", der sich immerhin ein Hintertürchen in Sachen Personalplanung offen ließ. "Vielleicht machen wir wieder verrückte Dinge", orakelte er. Aber erst dann, wenn die Kassen wieder voller sind.
Carolin Blüchel
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