Bundesliga-Start ins Jahr 2021
FC Bayern München gegen 1. FSV Mainz 05: Vorne hui, hinten pfui
- Aktualisiert: 04.01.2021
- 12:54 Uhr
- ran.de
Der FC Bayern München glänzt zurzeit vor allem in der Offensive, doch die Abwehr macht Probleme. Das hat vielseitige Gründe - Hansi Flick ist gefordert wie selten in seiner steilen Karriere als Bayern-Cheftrainer.
München – Mit Werder Bremen hat der FC Bayern München schon seit mehreren Jahren wenig gemein. Der Nord-Klub spielt auch in dieser Saison gegen den Abstieg, die Münchner thronen wieder einmal über allen Konkurrenten.
Trotzdem erinnert Bayern dieser Tagen an Bremen, allerdings an das aus alten Zeiten, als Thomas Schaaf dort als Cheftrainer regierte. Damals hatte Werder eine Spielweise kultiviert, die sich etwas überspitzt und zynisch so beschreiben lässt: vorne hui, hinten pfui.
Bayerns Offensive rettet die Defensive
Die Bremer Abwehr galt nicht immer als die allerstabilste, aber die Fans konnten sicher sein, dass der kleine, runde Ailton vorne schon ein Tor mehr schießen würde als der Gegner.
Der FC Bayern muss sich mittlerweile selbst gegen Abstiegskandidaten wie Mainz 05 auf seine Offensivkraft verlassen, um die Abwehrschwächen auszugleichen. Gegen den Vorletzten der Tabelle schoss die Mannschaft von Hansi Flick zwar fünf Tore, kassierte aber auch zwei. Für die Münchner heißt es: neues Jahr, alte Sorgen! Denn es ist das neunte Spiel in Serie, in dem der Triple-Gewinner mindestens ein Gegentor einstecken musste. Achtmal hintereinander lagen die Münchner sogar schon zurück.
Gegen Mainz, das beileibe nicht als Angriffsriese bekannt ist (nun zehn Saisontreffer), hätten es für den Rekordmeister sogar mehr als zwei Gegentore sein können. Doch Pfosten, Latte und Manuel Neuer verhinderten die Mainzer Treffer drei, vier und fünf. Nach 14 Spieltagen haben der Welt-Torhüter und seine Defensivreihe schon 21 Gegentore angesammelt, so viele gab's zu diesem Saisonzeitpunkt zuletzt unter Jürgen Klinsmann 2008.
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Warum die Bayern-Abwehr wackelt
Die Gründe für den Wankelmut sind vielfältig. Trainer Hansi Flick verordnet seiner Mannschaft weiterhin ein aggressives Pressing, bei dem die letzte Verteidigungsreihe weit aufrückt. Mit dieser Spielweise überrollten die Münchner im vergangenen Jahr die Konkurrenz regelrecht.
Die Ausrichtung erfordert allerdings viel Laufeinsatz und birgt die Gefahr, dass, wenn das Pressing nicht greift, die Gegner alleine auf die Abwehr zustürmen können oder in Laufduelle mit den Innenverteidigern Jerome Boateng und David Alaba kommen. Eine Situation, die auch für die besten Abwehrspieler schwierig zu lösen ist.
In einer wegen des Coronavirus besonders strapaziösen Saison hat Flick bislang noch keine risikoarme Alternative präsentiert, die die begrenzten Kräfte weniger verschleißen würde.
Davies und Pavard nicht in Top-Form
Erschwerend kommt hinzu, dass in der Abwehr noch kein festes Konstrukt etabliert ist. Immer wieder rotieren Niklas Süle und Lucas Hernandez in die Viererkette, im Fall von Hernandez mal als Innenverteidiger, mal als Linksverteidiger.
Zudem ist die Lage auf den Außenpositionen problematisch. Linksverteidiger Alphonso Davies, der in der Triple-Saison die Bundesliga und ganz Europa schwindelig spielte, ist nach seiner langen Sprunggelenksverletzung, noch nicht wieder in der überragenden Form.
Auf der gegenüberliegenden Seite strampelt sich Weltmeister Benjamin Pavard durch ein langanhaltendes Leistungstief. Flick setzte den Franzosen in den beiden Spielen vor Weihnachten nicht ein, gegen Mainz musste Pavard zur Halbzeit weichen.
"Wir haben über die Außen, gerade über die rechte Seite, nicht allzu viele Situationen gehabt, mit denen wir zufrieden waren", kritisierte Flick seinen Rechtsverteidiger relativ direkt bei "Sky": "Gerade bei den Außenverteidigern ist es wichtig, dass wir weniger Fehler machen und dass wir nach vorne Impulse setzen. Wie es gemacht wird, hat Joshua Kimmich in der zweiten Halbzeit gezeigt."
Flick wird offenbar laut
Der Mittelfeldspieler ist schon lange so etwas wie die personifizierte Lebensversicherung der Münchner. Kimmich wechselte nach der Pause von seiner angestammten Position in der Zentrale auf Pavards Seite. Dort erfüllte er die defensiven Pflichten deutlich besser und steuerte zum Münchner Sturmlauf ein Tor und eine Vorlage bei. Der eigentliche Pavard-Ersatz Bouna Sarr stand nicht im Kader, der Franzose spielt bislang kaum eine Roll in Flicks Plänen.
Der Trainer richtete seine Elf in der Halbzeit nicht nur taktisch neu aus, sondern auch emotional. "Ich kann schon laut werden, man lernt ja mit den Jahren dazu", sagte er nach dem Spiel über seine Ansprache.
Für ihn sei es "wichtig, dass wir auch mit der richtigen Einstellung ins Spiel gehen". Die hatte der Trainer vor allem bei Defensivverhalten vermisst. "Die Art und Weise, wie wir in der ersten Halbzeit die Zweikämpfe angenommen haben, war nicht das, was man sich von einer Spitzenmannschaft vorstellt", sagte Flick.
In der Champions League werden Schwächen bestraft
Dem Bayern-Trainer dürfte auch missfallen haben, dass seine Mannschaft erneut einem Rückstand hinterherlief. Denn der mentale Aufwand, den die Spieler bei einer Aufholjagd betreiben müssen, lässt sich gewiss nicht über eine komplette Saison betreiben. Thomas Müller hatte bereits vor der Winterpause, nach dem 2:1 in Leverkusen, vor dem Verschleiß gewarnt: "Wenn man sieht, wie viele Spiele wir haben, ist es sehr anstrengend, wenn du immer wieder einem Rückstand hinterherlaufen musst."
Gegen Borussia Mönchengladbach, dem nächsten Gegner in der Bundesliga, sollte sich die Bayern-Elf besser keinen Rückstand erlauben. Und auch die darauffolgenden Duelle mit kampfstarken Freiburgern und Augsburgern könnten unbequem werden.
Aber auch gegen diese Mannschaften wäre so eine kraftraubende Aufholjagd mit Sicherheit besser zu realisieren als in der Champions League gegen die Top-Mannschaften aus England oder Spanien. Spätestens wenn es gegen die Spitzenkräfte Europas geht, muss Flick das Problem unter Kontrolle gebracht haben. Es dürfte eine der größeren Herausforderungen sein, mit der er sich in seiner steil verlaufenden Karriere als Bayern-Cheftrainer bisher konfrontiert sah.
Tim Brack
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