Phantom-Tor: Kießling und Brych am Pranger
- Aktualisiert: 20.10.2013
- 12:44 Uhr
- SID
Stefan Kießling verursacht mit seinem Phantom-Tor gegen Hoffenheim eine Diskussionswelle. Neben dem Knipser steht auch der Schiedsrichter in der Kritik. Kommen jetzt technische Hilfsmittel?
Köln - Das zweite Phantom-Tor der Bundesliga-Geschichte bleibt Gesprächsthema Nummer eins. 1899 Hoffenheim hat wegen der krassen Fehlentscheidung von Schiedsrichter Felix Brych nach Stefan Kießlings Kopfball-Fehlversuch beim 2:1-Sieg von Bayer Leverkusen fristgerechten Protest gegen die Wertung angekündigt. Die Hoffenheimer berufen sich auf den fast 20 Jahre zurückliegenden "Präzedenzfall Thomas Helmer".
Unabhängig von einer Neuansetzung der Begegnung, über die das DFB-Sportgericht schon zu Wochenbeginn verhandeln würde, gerieten Brych und Kießling gleichermaßen in die Kritik. Die skurille Szene heizt zudem die Debatte über die Einführung technischer Hilfsmittel für strittige Tor-Entscheidungen an.
Ex-Schiedsrichter kritisiert Brych
Noch praktisch auf sich allein gestellt lud Brych auch Kritik aus der Schiedsrichter-Gilde auf sich. "Man kann ja nicht von Wahrnehmungsfehler sprechen, weil der Ball eindeutig vorbeigegangen ist. Die Sache hätte man anders lösen müssen", sagte der frühere WM-Schiedsrichter Bernd Heynemann bei Sky Sport News HD.
Heynemann glaubt, dass Brych sich vom Jubel der Bayer-Profis beeinflussen lassen hat. "Er dreht sich ja schon so weg zum Abstoß. Die ganze Gestik deutet auf Abstoß, und Kießling fast sich an den Kopf, dass er den nicht verwandelt hat. Plötzlich kommen die Spieler von der rechten Seite, die das Ganze vielleicht wirklich nicht sehen konnten, und gratulieren ihm."
Brych, ironischerweise amtierender "Schiedsrichter des Jahres" und Titelbild des gültigen DFB-Regelheftes, hatte die Szene völlig anders beschrieben: "Ich hatte kleine Zweifel, aber die Reaktionen der Spieler waren eindeutig. Es gab kein Anzeichen, dass es ein irreguläres Tor sein könnte. Deshalb habe ich Tor gegeben. Ich habe mich mit Stefan Kießling ausgetauscht. Aber niemand, auch er nicht, hat mir gesagt, dass es kein Tor war."
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Kießling in der Kritik
Genau das wirft "Brych-Vorgänger" Hans-Joachim Osmers, der 1994 in einer ähnlichen Situation einen Treffer für Bayern München gegen den 1. FC Nürnberg und damit das erste Phantom-Tor der Bundesliga-Geschichte gegeben hatte, Kießling vor. "Für mich hat Kießling ganz klar erkannt, dass der Ball nicht ins Tor gegangen ist. Da wäre Fair Play und Kießlings Pflicht und Schuldigkeit gewesen. Er hätte es sagen müssen. Brych hätte in dieser Situation die Unterstützung von Kießling und anderen Spielern gebraucht, die auch gesehen haben, dass es kein Tor war. Aber da sieht man, dass die ganzen Fair-Play-Kampagnen der Verbände wohl nichts wert sind", sagte Osmers am Samstag.
Kießling, der sich tatsächlich schon enttäuscht abgedreht und erst später den Torschützen gemimt hatte, rechtfertigte sein Verhalten via Facebook: "Im Spiel habe ich nach meinem Kopfball und dem Drehen des Kopfes nicht genau gesehen, ob der Ball korrekt ins Tor gegangen ist oder nicht. Irgendwie lag der Ball im Tor. Genau das habe ich auch dem Schiedsrichter gesagt. So zu gewinnen, ist natürlich nicht schön. Fairness ist wichtig für den Sport, bei uns im Verein und für mich ganz persönlich."
Helmer nimmt Kießling in Schutz
Thomas Helmer, der Phantom-Torschütze von München 1994, zeigte Verständnis für den Bayer-Torjäger. "Es geht um Sekunden, und du weißt als Schütze selbst nicht so genau, ob er drin war. Kießling wird auch überlegt haben: Was mach' ich jetzt, was ist passiert. Und diese Sekunden entscheiden darüber, bist du jetzt der liebe Junge oder der böse Bube", erklärte Helmer bei Sport1.
Helmer hält eine Neuansetzung ebenso für angebracht wie der frühere Weltschiedsrichter Markus Merk (Kaiserslautern). "Es gibt die Tatsachenentscheidung im Fußball. Die schützt den Fußball und schützt auch oft den Schiedsrichter. Aber ich bin Fußballer mit Leib und Seele, und ich ich war und bin immer für Gerechtigkeit im Fußball. Für mich kann es nur eine Entscheidung geben: Wiederholungsspiel", sagte der Sky-Experte.
Neue Technik-Diskussion
In der zwangsläufig aufkochenden Diskussion über Torlinien-Technologie positionierte sich Schiedsrichter-Chef Herbert Fandel (eindeutig: "Ich habe immer gesagt, dass wir dafür sind, weil sie unsere Arbeit unterstützt. Sie muss aber hundertprozentig funktionieren." Die DFL hatte erst vor wenigen Wochen die Zulassung technischer Hilfen bei Torentscheidungen frühestens für 2015 in Aussicht gestellt.
Entsprechendes Gerät jedoch wäre beim Torlinientechnik-Lieferanten für den vergangenen Confed-Cup und die bevorstehende WM-Endrunde 2014 in Brasilien schon vorhanden. "Unser Torliniensystem überwacht die Torlinie vollständig zwischen beiden Pfosten und der Latte. Nur wenn der Ball durch diesen virtuellen Vorhang von vorne - also nicht durch ein Außennetz von der Seite - ins Tor kommt, wird dem Schiedsrichter dies klar als Treffer an seine Spezialuhr gesendet und dort angezeigt. Ein sogenanntes Phantomtor ist bei GoalControl- 4D daher absolut nicht möglich", sagte GoacControl-Geschäftsführer Dirk Broichhausen.
Wiederholungsspiel offen
Ob die Hoffenheimer das angestrebte Wiederholungsspiel zugesprochen bekommen werden, wird sich in der nächsten Woche bei einer Verhandlung vor dem DFB-Sportgericht klären.
Gegen Hoffenheim spricht, dass der Verein für den ordnungsgemäßen Zustand des Tornetzes zuständig ist. Der Ball war nach einem Kopfball Kießlings von außen durch ein Loch im Tornetz im Gehäuse gelandet. Auf der anderen Seite spricht für die Kraichgauer, dass einer der Assistenten von Schiedsrichter Felix Brych das Netz vor dem Anpfiff zur zweiten Hälfte kontrolliert, das Loch aber nicht erkannt hatte.