Chronologie des Terrors: Weltmeister im Ausnahmezustand
- Aktualisiert: 18.11.2015
- 12:03 Uhr
- SID
Die Angst vor Terroranschläge hat den Fußball erreicht. Die Zwischenfälle in Paris und Hannover haben Spuren bei Fans, Spielern und Verantwortlichen hinterlassen. Eine Chronologie der Ereignisse.
München - Am Montag vergangener Woche kommen die deutschen Weltmeister in München voller Vorfreude auf die Länderspiele in Paris gegen Frankreich und in Hannover gegen die Niederlande zusammen. Zunächst scheint die Affäre um die WM 2006 mit dem Rücktritt von DFB-Präsident Wolfgang Niersbach der einzige Störfaktor zu sein. Doch am Freitag ergreift der Terror vom (deutschen) Fußball Besitz. Eine Chronologie der Ereignisse (zusammengestellt vom SID):
Montag, 9. November bis Mittwoch, 11. November: Noch am Ankunftstag muss Joachim Löw in München den Rücktritt von Wolfgang Niersbach als DFB-Präsident kommentieren. "Ich bin sehr betroffen, überrascht und sehr traurig", sagt der sichtlich angegriffene Bundestrainer.
Teammanager Oliver Bierhoff sorgt sich um das Image des Weltmeisters und fordert die Spieler auf, mit einer guten Leistung in Paris ein Zeichen zu setzen. Ansonsten geht alles seinen gewohnten Gang mit Marketingaktivitäten unter anderem im Englischen Garten. Mario Gomez spricht ungewohnt nervös, aber voller Freude über seine Rückkehr.
Donnerstag, 12. November
Abflug nach Paris. Der Platz von Niersbach im Sonderflug LH 342 bleibt leer. Der gestürzte Präsident ist noch immer vorherrschendes Thema. Löw berichtet von einem "aufklärenden Gespräch" darüber mit den Spielern und versucht, den Blick aufs Sportliche zu lenken. Er erwarte ein "Spiel mit Brisanz", das Ergebnis sei zweitrangig. "Für mich hat Priorität: probieren, sehen, Erkenntnisse sammeln - und daraus lernen für die EM."
Freitag, 13. November
Kurz vor dem Mittagessen werden die Weltmeister von einem Bombenalarm im Teamhotel Molitor aufgeschreckt. Das Quartier wird evakuiert, die Spieler um Löw verbringen Stunden im Tenniszentrum von Roland Garros, ehe Entwarnung kommt. Das Spiel in St. Denis sei "zu keinem Zeitpunkt gefährdet" gewesen, heißt es.
Danach scheint alles seinen gewohnten Gang zu nehmen: Fahrt ins Stade de France, umziehen, aufwärmen, Hymnen, Anpfiff.
17. Spielminute: Ein Knall.
20. Spielminute: Noch ein Knall, die Druckwelle erfasst Löw und die Spieler auf der Bank.
Halbzeit: Der ausgewechselte Jerome Boateng erfährt über Handy als einer der ersten von den Anschlägen. Später spricht er vom "schrecklichsten Erlebnis meiner Karriere".
Schlusspfiff: Auf dem Weg in die Kabinen sehen die Spieler nach der 0:2-Niederlage auf Fernsehschirmen ersten Bilder des Terrors. Im Stadion kommt es zu Panikreaktionen der Fans, Tausende strömen auf den Platz, viele weinen.
In der Umkleide herrscht laut Löw ein "Schockzustand und Angst". Später spricht er von einer "schrecklichen, entsetzlichen und für uns alle schockierenden Nacht". Der Entschluss, im Stadion zu bleiben, fällt gemeinsam mit der französischen Équipe. Matratzen werden ausgerollt, schlafen kann aber kaum jemand.
Erst am Morgen gegen 8.00 Uhr fahren die Weltmeister zum Flughafen. Am Dienstag spielen will keiner von ihnen.
Samstag, 14. November bis Montag, 16. November:
Nach der Rückkehr nach Frankfurt/Main äußert DFB-Interimspräsident Reinhard Rauball den Wunsch, das Länderspiel in Hannover als "Zeichen gegen den Terror" trotz allem abzuhalten. In der Mannschaft wird diskutiert, Löw ist zunächst dagegen.
Nach der Ankunft in Barsinghausen berichtet Löw im schwarzen Pullover und mit tiefen Furchen unter den Augen über den Schrecken von Paris. Der Klassiker gegen die Niederlande, ist er nun überzeugt, müsse als "klares Symbol für Freiheit und Demokratie" stattfinden. Das Abschlusstraining wird im Beisein von Teampsychologe Hans-Dieter Hermann abgehalten.
Dienstag, 17. November
19.14 Uhr: Die Mannschaft ist etwa 5 km von der HDI-Arena entfernt, als das Duell mit Oranje wegen einer "konkreten Gefährdungslage" abgesagt wird. Der Teambus kehrt sofort um, viele Spieler reisen umgehend ab. "Das ist ein trauriger Tag für den deutschen Fußball", sagt Rauball am späten Abend mit versteinerter Miene.
Mittwoch, 18. November:
Gegen 7.00 Uhr verlässt Weltmeister Shkodran Mustafi als letzter Nationalspieler das Teamquartier in Barsinghausen. Für ihn, seine Kollegen und den gesamten deutschen Fußball ist nichts mehr, wie es war.