Deutschland gegen Niederlande
Deutsche Nationalmannschaft: Hansi Flick und die knifflige Mission mit Timo Werner
- Aktualisiert: 29.03.2022
- 14:39 Uhr
- ran.de/Tim Brack
Seit Miroslav Klose nicht mehr das Trikot der Nationalelf trägt, sucht Deutschland einen Mittelstürmer. Hansi Flick will Timo Werner als Kloses Erbe fördern. Warum wählt der Bundestrainer ausgerechnet den kriselnden Chelsea-Stürmer?
München – Die Aufgabe, die sich Hansi Flick aufgebürdet hat, ist durchaus gewaltig.
Schließlich muss er der deutschen Nationalmannschaft die letzten, drögen Jahre der Löw-Regentschaft austreiben. Dieses Ziel alleine würde Stoff für einen der Mission-Impossible-Filme von Tom Cruise bieten.
Zusätzlich hat der Bundestrainer noch eine Nebenmission akzeptiert: der Nationalelf einen anständigen Mittelstürmer hinzustellen. Die beiden Rettungseinsätze sind selbstredend eng miteinander verstrickt. Denn ein DFB-Team kann nur mit einem gut aufgelegten Torjäger erfolgreich sein - vor allem gegen den nächsten Gegner Niederlande (Dienstag, ab 20:45 Uhr im Liveticker auf ran.de).
Timo Werner als Erbe von Klose?
Flicks Vorhaben ist durchaus historisch einzuordnen, denn seit dem letzten Einsatz des selbstlosen Miroslav Klose 2014 lechzt Fußball-Deutschland nach einem echten Neuner. Flicks Kandidat zum Erhalt dieser urdeutschen Position heißt nun ausgerechnet Timo Werner.
Werner mit Klose zu vergleichen, wäre unfair. Zu unterschiedlich sind die beiden in ihrer Spielanlage. Doch das ist nicht der Grund, warum Flicks Wahl zumindest ein bisschen verwundert – vielmehr die aktuelle Situation des Stürmers.
Hansi Flick sieht großes Potenzial in Werner
Werner erlebt bei seinem Klub Chelsea gerade nicht die einfachste Zeit. In 14 Premier-League-Spielen hat er sich nur an zwei Treffern beteiligt (ein Tor, eine Vorlage). Entsprechend unglücklich ist er in London. Sein Berater soll schon alles für einen Wechsel im Sommer in die Gänge geleitet haben, berichtet "Sport1".
Warum schenkt Flick also im WM-Jahr ausgerechnet dem kriselnden Werner sein Vertrauen?
Der Bundestrainer sieht Potenzial in dem Angreifer schlummern, das er wecken will. "Timo hat in den letzten Wochen und Monaten wenig gespielt, er war krank und hat einiges aufholen müssen. Wir sind dafür da, um ihm die Spielzeit zu geben", sagte Flick jüngst.
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Werners Antritt ist Weltklasse
Es ist kein zu verwegener Gedankengang, Werner zum Anker im Sturmzentrum aufzubauen, betrachtet man dessen Qualitäten: Es gibt wenige Stürmer, die mit einem solchen Tempo durch Abwehrreihen pflügen können. In seiner Zeit unter Julian Nagelsmann bei RB Leipzig hat Werner zudem seinen Torabschluss deutlich verbessert.
Dass der 26-Jährige durchaus über den sogenannten Torriecher verfügt, zeigt seine Trefferquote unter Flick: In acht Spielen traf er sechs Mal. Jüngst zum 2:0 gegen Israel, als er einen Freistoß von Ilkay Gündogan in waschechter Torjägermanier mit dem Fuß ins Tor ablenkte.
Werner nicht nur mit Toren wichtig
Zudem drängen sich nicht unbedingt Alternativen als Mittelstürmer auf: Müller spielt die Müller-Position (überall), Kai Havertz kann in der Spitze spielen, wegen seiner Vielseitigkeit, die er Werner voraus hat, dürfte ihn Flick aber nicht auf die eine Position festlegen. Ob Lukas Nmecha oder Karim Adeyemi bis zur WM schon zum Klose-Nachfolger ausgereift sind, darf eher bezweifelt werden.
Flick misst Werners Bedeutung nicht nur in Toren, auch die weniger offensichtlichen Dienste für die Mannschaft sind wichtig. "Timo ist einer, der immer versucht, die tiefen Laufwege zu machen", lobte der Bundestrainer. Die Lücken, die Werner mit seinem Tempo reißt, nutzen dann eben ein Thomas Müller oder Kai Havertz. Doch Flick forderte eben auch in Bezug auf Werner: "Wir müssen ihn im Spiel noch mehr suchen!"
Die Schwächen von Timo Werner
Ohne Risiko ist das Vorhaben des Bundestrainers aber natürlich nicht. Wäre Werner unumstritten, würde er auch bei Chelsea eine gewichtigere Rolle spielen. Dem Stürmer haftet durch seine Schnelligkeit eine gewisse Eindimensionalität an. Manchmal scheint er sich zu sehr auf sie zu verlassen, dann wieder eilen seine Füße seinem Kopf davon.
Im heutigen Fußball hebt ein Raketenantritt einen Spieler nicht automatisch auf Dauer über seine Gegenspieler. Zumal die Fähigkeit dem Alter oft als Erstes zum Opfer fällt. Großes Tempo birgt zudem die Gefahr von technischen Fehlern. Wenn Werner einen Ball verstolpert (den andere vielleicht gar nicht erst erreicht hätten), dann fühlen sich die Kritiker bestätigt.
Oder wenn Werner mal wieder eine große Torchance auslässt (was ihm für einen verlässlichen Top-Stürmer noch zu oft passiert). Flick versucht einige dieser Mängel durch seinen Vertrauensbeweis zu negieren. Oft genug treffen eben auch die Spieler, die wissen, dass der Trainer ihnen in jedem Fall den Rücken stärkt.
Hansi Flick wird seine Mission bis zum Ende verfolgen
Werner weiß Flicks Gesten zu schätzen. "Bei Chelsea läuft's nicht so, wie ich mir das vorstelle. Umso schöner ist es, dass ich hier das Vertrauen habe. Vielleicht passt das Spiel hier mehr zu mir, ich fühle mich sehr wohl hier."
Im besten Fall stößt der Bundestrainer ein Perpetuum mobile an: Werner holt sich Selbstvertrauen in der Nationalelf, trägt es in den Klub, spielt dort mehr, holt sich Selbstvertrauen für die Nationalelf, spielt dort noch besser, kehrt mit mehr Selbstvertrauen in den Klub zurück, …
Ob Flick seine Nebenmission erfüllt, steht noch in den Sternen. Er wird sie jedenfalls mit großer Entschlossenheit angehen. Denn wenn Flick erst einmal zu einer Überzeugung gelangt ist, dann folgt er dieser mit Verbissenheit.
Tim Brack
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