Thomas Tuchel ist neuer Trainer des FC Chelsea: Das ist sein Kosmos
Der Kosmos von Thomas Tuchel
Thomas Tuchel hat beim nächsten europäischen Top-Klub unterschrieben. Gut einen Monat nach seinem Aus bei Paris St. Germain einigte sich der 47-Jährige mit dem FC Chelsea auf ein Engagement. Wie tickt der Trainer, der als akribischer Taktikexperte gilt, sportlich und privat? ran.de beleuchtet den Kosmos des Chelsea-Trainers.
Tuchels Weg im Fußball
Tuchel könnte als Prototyp einer neuen Trainergeneration bezeichnet werden, die sich nicht aus ehemaligen Fußball-Helden rekrutiert. Als er 2009 die Position des Cheftrainers in Mainz übernahm, war Tuchel der erste Bundesligatrainer, der zuvor weder selbst Bundesliga gespielt noch eine Männermannschaft trainiert hatte. Seine ersten Schritte ging er im Jugendfußball, das war allerdings nicht sein Traum …
Tuchels Weg im Fußball
… Eigentlich wollte er selbst als Profi-Fußballer Karriere machen, doch ein Knorpelschaden im Knie zwang ihn frühzeitig, seine Pläne umzuwerfen. Ähnlich wie es bei Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann der Fall war. Tuchel hatte es als Libero für die Stuttgarter Kickers auf eine handvoll Zweitliga-Einsätze gebracht, kickte beim SSV Ulm aber hauptsächlich in der Regionalliga Süd - unter anderem unter einem gewissen Trainer namens Ralf Rangnick. Schon während seiner Zeit dort suchte er Herausforderungen, die über den Fußball hinausgehen. Er studierte Englisch und Sport, begann eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Allerdings brach er beides wegen der Doppelbelastung ab.
Tuchels Weg im Fußball
Nach dem Karriere-Aus wurde aus dem Fußballer Tuchel ein Student. Er forderte sich selbst heraus, studierte das für ihn untypische BWL und schaffte das Diplom. Nebenher jobbte er in einer Bar. Doch der Fußball hatte weiter eine magnetische Wirkung auf ihn. Rangnick lotste Tuchel in die Jugendabteilung des VfB Stuttgart, wo er Hermann Badstuber (Foto) kennenlernte. Der mittlerweile verstorbene Vater des ehemaligen Bayern-Spielers Holger Badstuber wurde zum Mentor für Tuchel und die vielleicht wichtigste Figur in seiner jungen Trainerkarriere.
Tuchels Weg im Fußball
Die Lehrjahre im Jugendfußball qualifizierten ihn für höhere Aufgaben. Bei Mainz schaffte er es dank seines taktischen Geschicks, die Erfolgsgeschichte von Vor-Vorgänger Jürgen Klopp fortzusetzen. Doch nach fast fünf Jahren war Schluss, die Beziehung endete im Streit. Für die Vereinschefs von Borussia Dortmund war Tuchels Verpflichtung 2015 trotzdem eine logische Lösung, denn auch sie mussten zu diesem Zeitpunk Jürgen Klopp ersetzen. Tuchel ließ in Dortmund höchst attraktiven Fußball spielen, doch menschlich ging es hässlich zu. Bis heute ist der Trainer für viele eine Persona non grata - obwohl er mit dem BVB zum Abschluss den DFB-Pokal gewann.
Tuchels Weg im Fußball
In Paris zähmte Tuchel zwar die Egos der Top-Spieler Neymar und Kylian Mbappe einigermaßen, doch mit Sportdirektor Leonardo trug er seinen Streit öffentlich aus. Am Ende wurden die Differenzen so unüberwindbar, dass Tuchel an Weihnachten seinen Posten räumen musste. Da half dem deutschen Trainer auch nicht, dass er PSG so nah an den Traum vom Champions-League-Gewinn geführt hatte wie vor ihm kein anderer Trainer. Ob die Sache anders ausgegangen wäre, hätte Tuchel das Finale in Lissabon gewonnen?
Tuchels Taktik
Tuchel gilt als akribisch arbeitender Taktikexperte, den Lehrgang zum Fußballlehrer besuchter er 2006 unter anderem mit Bruno Labbadia und schloss mit der Note 1,4 ab. Tuchels Fußball ist anzumerken, dass er von der baden-württembergischen Schule beeinflusst ist. Diese steht für einen laufintensiven, aggressiven und offensiven Stil, wie ihn auch Rangnick predigt. Tuchels Spieler müssen dafür einen großen Einsatzwillen und ausgeprägte Fitness mitbringen. In die Premier League dürfte diese Art von Fußball sehr gut passen.
Tuchels Taktik
Dass Tuchel Klopp schon zweimal als Trainer beerbte, spricht für einige Gemeinsamkeiten, gerade was Pressing und Gegenpressing angeht. Auch Pep Guardiola gilt als eines seiner Vorbilder. Legendär ist das Treffen der beiden, bei dem sie auf dem Restauranttisch mit Salz und Pfeffer Spielzüge nachgestellt haben sollen. Mit dem Katalanen hat er gemein, dass er während des Spiels taktisch variiert und eingreift, wenn ihm etwas nicht gefällt. Bei Paris schaffte es Tuchel trotz seiner Flexibilität allerdings nicht, dem Starensemble eine endgültige fußballerische Identität zu verleihen.
Tuchels Trainerteam
Wo auch immer Thomas Tuchel hingeht, ihn begleitet eine Entourage, die er teilweise schon aus Mainzer Zeiten kennt. So wie Arno Michels (links im Bild), der ihn als Co-Trainer unterstützt, und Benjamin Weber, der für ihn die Videoanalyse übernimmt. Auch Fitnesstrainer Rainer Schrey ist seit Mainz ständiges Mitglied seines Trainerstabs. Zsolt Löw (Mitte) assistierte Tuchel erstmals in Paris als Co-Trainer. Zuvor durchlief der Ungar die Red-Bull-Schule von Liefering über Salzburg und Leipzig. Ob er auch in London unter Tuchel arbeiten wird? Löw wird immer wieder mit Cheftrainer-Stellen in Verbindung gebracht.
Tuchels Ernährung
In Dortmund sorgte Tuchel seinerzeit für einiges Aufsehen, als er den Spielern eine neue Ernährung verordnete: kein Zucker, keine Weizen- oder Getreideprodukte. Dadurch sollte die Leistung weiter gesteigert werden. Tuchel selbst lebt diesen Ernährungsstil vor, hatte während seines Sabbatjahres nach der Trennung von Mainz einige Kilo abgenommen. Doch auch der als so verbissen geltende Tuchel hat seine Laster. "Nach Siegen bin ich anfällig für Schweinereien aller Art", sagte er einmal dem "WDR Hörfunk". "Schokolade, Erdnüsse, Chips. Fast Food nur sehr selten. Da muss schon etwas Besonderes passiert sein. Und es muss dunkel sein, sonst kriege ich Fast Food nicht runter." Auch bei Wein und Bier übt Tuchel Verzicht, allerdings darf es nach Siegen auch mal Champagner sein.
Tuchels Auftritt in den sozialen Medien
Tuchels Umgang mit den modernen Kommunikationsmöglichkeiten ist mit spartanisch fast noch beschönigend beschrieben. Zwar hat er ein Twitter-Profil, doch seit 2017 schrieb er lediglich 13 Tweets. Berufskollegen wie Jose Mourinho (Instagram) und Carlo Ancelotti (Twitter) sind da deutlich aktiver. Auch Whatsapp und Facebook gegenüber soll Tuchel skeptisch sein. Vielleicht ist der Messenger-Dienst Signal eher etwas für ihn.
Tuchels Privatleben
Tuchels Gedanken kreisen nach eigenen Aussagen zwar 80 Prozent seiner Wachzeit um Fußball, doch auch der 47-Jährige muss abschalten. Das tut er mit seiner Familie: Mit seiner Frau Sissi ist er seit 2009 verheiratet und hat zwei Töchter, Emma und Kim. Seit seiner Jugend spielt Tuchel zudem Tennis. Auch hat er einen ausgeprägten Geschmack für ästhetische Dinge, neben Krimis liest er gerne Bücher über Design oder Architektur. Für das "Zeitmagazin Mann" ließ er sich einst in modischer Klamotte ablichten. In Paris, wo Tuchel mit fließendem Französisch beeindruckte, war er somit bestens aufgehoben. Aber auch London dürfte dem Trainer einiges bieten - und Englisch beherrscht er auch.