Motorsport Formel 1
Nach Schumacher-Kritik - Wache gibt zu: RB20 hat "nicht geliefert wie erwartet"
Bei Red Bull kehrt keine Ruhe ein: Mit Beginn der Sommerpause machte das Team den Abgang von Sportdirektor Jonathan Wheatley in Richtung Audi bekannt, zuvor sorgte im Nachgang der Horner-Affäre bereits der Abschied von Star-Designer Adrian Newey monatelang für personelle Negativschlagzeilen beim Weltmeisterteam.
An der Technikfront des Formel-1-Teams in Milton Keynes hat schon seit längerer Zeit Pierre Wache das Zepter in der Hand, er soll Red Bull nun federführend in die neue Reglementsperiode ab 2026 leiten.
Allein: Nicht alle Experten im Fahrerlager sind überzeugt von den Führungsqualitäten des Franzosen, macht doch beispielsweise Ex-Formel-1-Fahrer Ralf Schumacher den aktuellen Leistungseinbruch beim bis vor wenige Monate so dominanten Red-Bull-Team durchaus auch an Waches bisheriger Arbeit fest:
"Ich will niemandem zu nahe treten, aber der Nachfolger konnte die Lücke noch nicht schließen. Den Beweis ist er schuldig", sagt Schumacher bei Sky in Bezug auf Neweys Thronfolger Wache: "Wenn man sich das Auto anschaut, da haben sich ein paar Dinge verändert, das Auto ist schwerer zu fahren. Beide Fahrer tun sich schwer, auch Max Verstappen."
Für Schumacher ist nach dem Abgang "eines der wichtigsten Männer im Team" klar: "Das muss sich Red Bull was einfallen lassen. Die Flügel sind im Moment nicht so groß", sagt der Deutsche in Anspielung auf den Werbeslogan des Getränkeherstellers.
Wache räumt ein: "Haben uns mehr erwartet"
Tatsächlich sieht das allerdings auch der Kritisierte selbst so. Denn Wache räumt auf die Frage, ob der aktuelle RB20 gehalten hätte, was man sich von ihm erwartet hatte, im exklusiven Gespräch mit der niederländischen Ausgabe von motorsport.com, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com, ein: "Ich würde sagen nicht wirklich."
Wache ehrlich: "Wir habe uns ohne Zweifel im Vergleich zu letztem Jahr verbessert, aber wir haben in einigen Bereichen nicht geliefert, was wir erwartet haben." Vor allem ein Bereich sei klar hinter den Erwartungen zurückgeblieben: "Besonders in Highspeed-Kurven haben wir etwas mehr erwartet als das, was wir jetzt haben."
Dabei stellt Wache klar: "Ohne über die Wettbewerbsfähigkeit des Autos nachzudenken, nur basierend auf unseren eigenen Referenzen, haben wir da mit unseren Werkzeugen etwas mehr vorhergesagt." Dennoch verrät Waches Lachen, dass er in Anspielung auf die jüngste Kritik am Team und seiner Person scherzt, als er auf die Frage nach den allgemeinen Stärken und Schwäche des RB20 sagt: "Ich bin nicht sicher, ob wir noch Stärken haben!"
Der Franzose erklärt: "Ich glaube, wir haben die Gesamtperformance des Autos, vor allem in mittelschnellen und langsamen Kurven, ziemlich stark verbessert im Vergleich zu letztem Jahr. Wir sind etwas schwächer in den schnellen Passagen", sagt Wache, gibt aber auch zu bedenken: "Letztes Jahr waren wir sehr, sehr gut in diesem Aspekt. Probleme haben wir eindeutig beim Überfahren der Randsteine, das war aber auch letztes Jahr so. Ich denke, da haben wir nicht den erhofften Fortschritt erzielt."
Als möglichen Grund für diese Diskrepanzen verweist der Technikdirektor in erster Linie auf die Korrelation, und sieht diesbezüglich deutliches Verbesserungspotenzial: "Wir nutzen einen ziemlich alten Windkanal, es kann aber auch mit der reduzierten Kapazität aufgrund unserer WM-Position zusammenhängen, und vielleicht auch damit, dass es bereits das dritte Jahr dieses Reglements ist."
Red Bull hat Konkurrenz schon früher stärker erwartet
Heißt übersetzt: Die Konkurrenz hat ganz natürlich aufgeholt. Dabei verrät Wache überraschenderweise: "Ich glaube ehrlich gesagt, wir haben die Konkurrenz schon früher erwartet. Als wir die Saison 2022 begonnen haben, hatten wir nicht das schnellste Auto, sondern Ferrari. 2023 haben wir einen großen Wettbewerb erwartet, aber das ist nicht passiert", sagt der 49-Jährige mit Blick auf die dominante Rekordsaison von Weltmeister Verstappen.
"2024 haben wir diesen Wettbewerb eigentlich auch von Beginn an erwartet, wir sind davon ausgegangen, dass die anderen Teams sehr nah dran sind, weil die Performance, die man mit diesen Autos finden kann, natürlich limitiert ist unter gleichem Reglement. Nach den ersten vier oder fünf Rennen kamen die anderen dann auch zurück", so Wache, "aber wir haben das ehrlicherweise vom Start weg erwartet".
Wie viel Prozent dabei nun auf die natürliche Aufholjagd der Konkurrenz, und wie viel auf Red Bulls Verfehlen der eigenen Ziele mit dem neuen Auto entfällt, das will Wache nicht aufschlüsseln: "Ich denke, es ist beides zusammen. Die Limitierungen mit diesen Regeln sind recht groß. Was man dann noch finden kann, um weitere Schritte zu machen, ist also recht schwierig."
Dabei steht für ihn außer Frage: "Dass die Gegner irgendwann zurückkommen, das ist beim Beibehalten dieser Regularien eigentlich so gut wie sicher." Heißt im Umkehrschluss: Noch bis Ende 2025 dürfte der Formel 1 weiter ein spannender Mehrkampf um Siege und sogar den Titel ins Haus stehen.
Dass Red Bull dabei nun aber dauerhaft in der Defensivposition sei, und immer mehr von seinem Vorsprung einbüße, heißt das laut Wache noch lange nicht: "Vielleicht sind wir (mit einem spezifischen Konzept) an der Obergrenze (des Entwicklungspotenzials) angekommen, aber das bedeutet nicht, dass wir insgesamt an der Obergrenze angelangt sind. Man schaut sich in diesem Business ja auch die Ideen anderer an."
Wache erklärt: "In den letzten beiden Jahren haben die Leute unsere Ideen genommen, aber fundamental braucht man auch die anderen, die Dinge finden, um einen weiteren Schritt zu machen. Ich denke das passiert jetzt gerade, und das gibt dir dann wieder eine neue Obergrenze."
Wache zu McLaren: "Frontflügel funktioniert anders"
Der Teufel liege dabei aber im Detail, denn mit neuen Konzeptrichtungen könne man sich auch vergaloppieren, oder neben neuen Stärken auch neue Schwächen kreieren. Dass ein Auto, wie etwa McLarens MCL38, ein extrem guter Allrounder ist, und praktisch auf allen Streckentypen und bei allen Großwetterlagen funktioniert, sei indes extrem selten.
"Es ist sehr schwierig, denn diese Art Auto ist massiv abhängig von der Aerodynamik, aber auch die Art, wie man das Auto ausbalanciert, kann sehr kniffelig sein. Dafür braucht man ein paar mechanische Vorrichtungen am Auto", sagt Wache, und fügt in Bezug auf McLaren an: "Ich weiß nicht, wie sie es nutzen, wenngleich man versucht es zu vermuten. Ihr Frontflügel funktioniert zum Beispiel ein bisschen anders als unserer, was sehr interessant ist."
So sei auch der kürzlich in Ungarn neu eingeführte Frontflügel am Red Bull durchaus auch unter dem Eindruck der Konkurrenzlösungen entstanden: "Natürlich schauen wir uns alle an, in diesem Geschäft nutzt man auch die Ideen der anderen. Denn die sind sehr clever, deswegen muss man das auch ausnützen", so der Technikchef.
Immerhin hierin unterscheidet sich Waches Ansicht nicht von der seines Vorgängers Newey, bedenkt man nur, wie der Brite mit seinem Klemmbrett für Notizen in der Hand regelmäßig durch die Startaufstellung vor den Rennen schlich, und die Kreationen der Konkurrenz genauestens unter seine Argusaugen nahm ...