Olympia 2024 in Paris
Olympia 2024 - Athleten Deutschland exklusiv bei ran: "Nur das Zählen von Medaillen greift zu kurz"
- Aktualisiert: 26.07.2024
- 15:51 Uhr
- Marcel Schwenk
Die Olympischen Spiele in Paris sind angelaufen. Kurz vor der feierlichen Eröffnung hat ran mit Athleten Deutschland über die Auswirkungen von Nicht-Nominierungen und ihr Zustandekommen, die Rolle der Verbände, die überschätzte Relevanz von Medaillen und eine mögliche Bewerbung für Olympia 2040 in Deutschland gesprochen.
Das Interview führte Marcel Schwenk
In wenigen Stunden werden die 33. Olympischen Spiele in der französischen Hauptstadt Paris feierlich mit einer großen Zeremonie eröffnet.
Vorab hat ran mit Athleten Deutschland über relevante Themen rund um das Großereignis gesprochen. Als "unabhängige Vertretung der Bundeskaderathletinnen und -athleten" spielt der Verein in der manchmal nur schwierig zu überblickenden Sportlandschaft eine große Rolle.
Er fungiert als Unterstützer für die Sportlerinnen und Sportler, berät bei Problemen und vermittelt teilweise zwischen Politik und Sport. Dabei wird nicht nur der Sportler oder die Sportlerin selbst, sondern auch der Mensch in den Fokus gerückt.
Wie kommen Nicht-Nominierungen zustande, wenn die sportlichen Kriterien erfüllt wurden? Welche Folgen hat dies für die Sportlerin oder den Sportler im Einzelnen? Welche Rolle spielen die Verbände dabei? Warum ist es wichtig, die bestehenden Strukturen zu überarbeiten? Und warum rutschte Deutschland in den vergangenen Jahren im Medaillenspiegel immer weiter ab?
Der stellvertretende Geschäftsführer Maximilian Klein hat im exklusiven ran-Interview Antworten auf die Fragen gegeben und zudem erklärt, warum eine Bewerbung für Olympia 2040 in Deutschland auch nachhaltig positiven Einfluss nehmen kann.
ran: Die Olympischen Spiele in Paris starten an diesem Abend. Team Deutschland umfasst 427 Athletinnen und Athleten. Lässt sich die Bedeutung einer Teilnahme an diesen Wettkämpfen eigentlich beschreiben?
Maximilian Klein: Für viele Teilnehmende erfüllt sich mit dem Start bei Olympia schlichtweg ein Lebenstraum! Die Athletinnen und Athleten haben jahrelang mit Hingabe und Leidenschaft auf die Spiele hingearbeitet - immer mit großer Verzichtbereitschaft im Privaten, im Beruf oder in der Ausbildung. Sie freuen sich, ihr Können zu zeigen und sich mit anderen zu messen. Die Spiele sind immer ein Karrierehöhepunkt.
ran: Nicht immer geht der Traum in Erfüllung. Alle vier Jahre verpassen eine Vielzahl an Sportlerinnen und Sportler ihr großes Ziel. Was steht für die betroffenen Athletinnen und Athleten auf dem Spiel, wenn sie es nicht mehr ins Nationalteam oder zu einem großen Wettbewerb schaffen?
Klein: Athletinnen und Athleten gehen für Karrieren im Spitzensport viele Risiken ein, sehen sich permanentem Druck, Verletzungsgefahren und wiederkehrenden Auswahlverfahren ausgesetzt. Dementsprechend hoch ist die Fallhöhe. Eine Nicht-Nominierung für Kaderplätze und Wettkämpfe wiegt schwer und kann mentale Belastungen bedeuten. Zudem hängen an Nominierungsentscheidungen wichtige Förderungen für die Athletinnen und Athleten. Denn Spitzensport kann nicht als Hobby betrieben werden. Deshalb machen wir uns dafür stark, dass Athletinnen und Athleten, die für Deutschland starten, sich zumindest keine existenziellen Sorgen machen müssen und gute Unterstützungsangebote wahrnehmen können.
ran: Kann es vorkommen, dass Athletinnen und Athleten bei Wettkämpfen, vielleicht sogar bei Olympia, nicht an den Start gehen dürfen, obwohl sie die sportlichen Kriterien erfüllen?
Klein: Solche Fälle haben wir auch schon erlebt. Wir betreiben für die Athletinnen und Athleten eine Anlauf- und Beratungsstelle für Sorgen und Nöte im Spitzensport und haben in den vergangenen Jahren verschiedenste Fallkonstellationen erlebt, von Doping- und Vermarktungsfragen über mangelnde Einbindung von Athletenvertreterinnen und -vertretern bis zu Gewalt-, Missbrauchs- und Korruptionsfällen. Auch Nominierungs- und Förderstreitigkeiten sind dabei.
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ran: Können Sie solche Streitigkeiten näher beschreiben?
Klein: Wenn eine Nominierung trotz Leistungsnachweis ausbleibt, das schriftlich nicht begründet wird oder mündliche Zusagen nicht eingehalten werden, ist es für die Betroffenen schwierig, ein Verständnis für solche Entscheidungen zu entwickeln. In anderen Konstellationen standen kritische Haltungen von Betroffenen einer Berufung im Weg, die wenig mit sportlicher Leistung zu tun hatten. Manchmal sind die Kriterien nicht bekannt oder transparent, werden ohne Information und Einbindung geändert oder unterschiedlich angewendet. Es kommt vor, dass Verbände Nominierungen und damit verbundene Förderung als Druckmittel nutzen oder an sachfremde Auflagen knüpfen. Solche Fälle lassen uns dann kopfschüttelnd zurück.
ran: Welche Verantwortung tragen hier die Verbände?
Klein: Verbände sind im Ideal gute Entscheider und nehmen ihre herausragende Verantwortung für ihren Sport und ihre Athletinnen und Athleten vielfach wahr. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Verbandslandschaft in Deutschland heterogen aufgestellt ist. Mit Meldungen zu Fehlverhalten, möglichen Fehlentscheidungen oder fehlgeleiteten Strukturen wird nicht immer adäquat umgegangen. Solche Konfliktlagen werden also nicht zur Zufriedenheit aller aufgelöst. Den Betroffenen wird dann nicht geglaubt, sie werden nicht ernst genommen oder ihre berechtigten Anliegen werden einfach übergangen. Umso wichtiger ist die Befolgung transparenter und nachvollziehbarer Prozesse, die höchsten Standards entsprechen.
ran: Was würde helfen?
Klein: Sensible, proaktive Kommunikation und die Einhaltung von hohen Mindeststandards würden in vielen Fällen schon enorm weiterhelfen. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, dass sich Mitwirkungsrechte von Athletenvertreterinnen und -vertretern weiter verbessern. Sie sollten bei wichtigen Entscheidungen und Prozessen mitwirken können, beispielsweise bei der Aushandlung von Athletenvereinbarungen oder Nominierungskriterien. Das ist ein wichtiger Hebel, um die Qualität und Akzeptanz von Entscheidungen zu erhöhen und Strukturen zu verbessern.
ran: Klare und faire Prozesse, Stärkung der Rechte von Athletenvertretungen: Und wenn das nicht hilft?
Klein: Es kommt immer wieder vor, dass die verbandsinterne Aufklärung und Konfliktbeilegung nicht funktioniert oder unsachgemäß vonstattengeht. Erschwerend kommt hinzu, dass zwei sehr ungleiche Parteien aufeinandertreffen. Deshalb stehen wir den Athletinnen und Athleten als Anlauf- und Beratungsstelle zur Seite und bieten spezialisierte, auch juristische Expertise an. Wir können parteiisch beraten und empfehlend auf Situationen einwirken, haben aber keine bindenden Befugnisse und können nicht als neutrale Schlichter auftreten. Deshalb sind wir überzeugt, dass es eine externe Instanz braucht, eine Clearingstelle, die Entscheidungen bei berechtigten Zweifeln überprüfen kann und die Konflikte auch mit Mediationsangeboten beilegt. Das würde beiden Seiten helfen: Den Aktiven, die im Abhängigkeitsverhältnis zu den Entscheidern stehen, aber auch den Verbänden, die ihr Handeln überprüfbar machen und Streitbeilegung in professionelle, neutrale Hände geben.
ran: Werfen wir zum Abschluss noch einen Blick auf die 33. Olympischen Spiele. In London 2012 holte Deutschland 44 Medaillen. In Rio 2016 waren es noch 42, in Tokio 2021 nur noch 37 - gleichbedeutend mit dem schlechtesten Abschneiden des DOSB-Teams seit der Wiedervereinigung. 2016 belegte man noch den fünften Rang im Medaillenspiegel, fünf Jahre später war es Rang neun. Welche Gründe wurden dafür ausfindig gemacht?
Klein: Es stimmt, dass die sogenannte Medaillenausbeute zurückgegangen ist, obwohl immer mehr Geld in das Sportsystem gesteckt wird. Auf manche Faktoren haben wir auch einfach keinen Einfluss. Die gestiegene Zahl an Wettkämpfen, das gestiegene Engagement anderer Nationen, Sportsysteme, mit denen wir uns gar nicht vergleichen wollen. "Nur" das Zählen von Medaillen greift ohnehin zu kurz. Spitzensport kann mehr gesellschaftlichen Mehrwert stiften. Richtig ist: Aktuell entsteht eine Aufbruchsstimmung im Zuge der laufenden Spitzensportreform, an der wir mitarbeiten durften. Bund, Länder und der Sport gehen bestehende Ineffizienzen und Fehlentwicklungen systematisch und nach unserem Eindruck entschlossen an. Zu nennen sind hier die Verbesserung der Bedingungen und der Ausbildung der Trainerinnen und Trainern, ein optimiertes Stützpunktsystem, flexiblere und entbürokratisierte Förderverfahren für Verbände oder die Gründung einer Leistungssportagentur, die die Verteilung der Gelder unabhängig ausgestaltet.
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ran: Wie bewerten Sie dahingehend die Entscheidung der Bundesregierung, eine deutsche Bewerbung für die Spiele zu unterstützen?
Klein: Für Athletinnen und Athleten sind Spiele vor heimischem Publikum das Größte. Die jüngste Bundeshaushaltsaufstellung und die Unterstützung für eine Bewerbung sind ein klares Bekenntnis der Politik zum Spitzensportstandort Deutschland. Damit könnte zusätzlich Schub in die Reformbemühungen kommen und die angesprochenen Maßnahmen mit Blick auf mögliche Heimspiele rasch Umsetzung finden. Neben all den großangelegten und langfristigen Vorhaben hoffen wir, dass die Sorgen und Nöte der Athletinnen und Athleten sowie ihren Trainerinnen und Trainern auch verstärkt in den Fokus der sportpolitischen Bemühungen rücken. Sie sind schließlich die zentrale Einheit für die Entfaltung sportlicher Potenziale.