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Phantom Johann Mühlegg: "Er hätte die Langlauf-Welt beherrschen können"

  • Aktualisiert: 04.03.2017
  • 10:25 Uhr
  • SID
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© AFPSIDDENIS CHARLET

2001 wurde Johann Mühlegg Weltmeister. Jochen Behle erinnert sich an eine Lebensgeschichte rund um Doping, Geister und Verschwörungstheorien.

Lahti (SID) - Wie Johann Mühlegg heute über alles denkt, weiß man nicht. Seit Jahren schweigt er. Und vielleicht will man es auch gar nicht wissen. Was er heute macht, ist zumindest halbwegs bekannt. Mit Immobilien handelt der gebürtige Allgäuer in Natal im Nordosten Brasiliens. Skilanglauf, das alte Leben, in dem er vor 16 Jahren in Lahti Weltmeister über 50 km wurde, ist weit weg. Mühlegg könnte eine Legende sein, stattdessen ist er ein Phantom.

"Johann hätte die Langlauf-Welt über Jahre beherrschen können wie ein Dählie", sagt Ex-Bundestrainer Jochen Behle, als er mit dem SID über seinen alten Weggefährten spricht. Am Sonntag findet in Lahti wieder ein WM-Rennen über den klassischen Fünfziger statt. Niemand könnte es so dominieren wie 2001 Mühlegg, dessen Weg vom Jahrhunderttalent zum größten Dopingsünder Olympischer Winterspiele ebenso einzigartig bleiben wird.

"Er hat so viel Begabung mitgebracht, er hat so viel verbockt", sagt Behle (56), der gemeinsam mit Mühlegg lief und ihn danach kurz betreute, als jener längst nicht mehr von dieser Welt war: "Er ist nicht der Hellste gewesen. Daran ist er schließlich gescheitert."

Mühlegg, Jahrgang 1970, sei ein Arbeitsmonster gewesen, sagt Behle, "lief vormittags 60 Kilometer und wollte nachmittags dann richtig trainieren". Im Verband verzieh man ihm manche Marotte, vor allem den latenten Hang zu Aberglaube und Übersinnlichem.

Das Unheil begann, als Mühlegg plötzlich nur noch in Begleitung einer portugiesischen Putzfrau auftrat. Er stellte die arbeitslose Münchner Reinemachkraft - Justina Agostinho bürgerlich, von Mühlegg nur "die Gnade" genannt - als Medium vor, sie sei sein "Retter und Führer in allen Lebenslagen".  

Durch sie spreche der "ewige Vater" zu ihm, und dieser habe mitgeteilt, dass Georg Zipfel ihn verflucht habe, ihm nach dem Leben trachte. Zipfel war nicht irgendwer, sondern Bundestrainer, die weitere Zusammenarbeit gestaltete sich schwierig. So reiste Mühlegg fortan mit durch Gnaden-Hand geweihtem Wasser an, weil Zipfel angeblich seine Getränke verhexte. "Die ganze Geschichte war sein Untergang", sagt Behle.

Irgendwann war Mühlegg nicht mehr tragbar, der Bruch mit dem DSV unausweichlich - 1998 kam der Rausschmiss, 1999 wechselte Mühlegg zum spanischen Verband. Von Grimm und Verfolgungswahn zerfressen, Johann gegen den Rest der Welt, ein Besessener im Kampf gegen böse Mächte.

Und wie er diesen führte! 2001 holte Mühlegg in Lahti WM-Gold - mit zwei Minuten Vorsprung. 2002 rannte er bei den Winterspielen in Salt Lake City alles in Grund und Boden, Schaum vor dem Mund, der Kopf röter als sein Rennanzug. Sieg im Skiathlon, über 30, über 50 km - und Niederlage gegen die Dopingkontrolleure. "Dabei hätte er gar nicht dopen müssen, so überlegen war er", sagt Behle.

Mühlegg gab sich uneinsichtig. Auf die Frage, ob er wirklich betrogen habe, sagte er: "Ich warte die B-Probe ab." Einer der größten olympischen Skandale endete mit dem Verlust der Goldmedaillen und zwei Jahren Sperre. Mühlegg war erledigt.

2006 taucht er ab, wird zum Phantom. Mal heißt es, Mühlegg verkaufe christliche Holzschnitzereien in Oberammergau, dann, er verdinge sich als Touren-Führer in Südtirol, schließlich, er sei Surf-Lehrer in Südamerika. Es wirkte wie die Jagd nach einem Nazi-Verbrecher.

So ging auch die schwedische Zeitung Expressen die Suche nach dem - O-Ton - "meistgehassten Betrüger der Skiwelt" an und spürte ihn 2014 in Natal auf. Es existiert ein 60-sekündiger Video-Mitschnitt, wie der Mann, der früher einmal Johann Mühlegg war, den Reportern die vielleicht letzte öffentliche Erklärung seines Lebens abgibt.

"Ich will über das, was gewesen ist, nicht sprechen", sagt er: "Ich habe diese Welt für immer verlassen."

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