Minimalismus mit Laura Mitulla: Wie du herausfindest, was du wirklich im Leben brauchst
- Veröffentlicht: 19.04.2023
- 09:28 Uhr
Machen materielle Dinge glücklich? Wie trenne ich mich von Sachen, die ich eigentlich nicht brauche? Wir haben eine junge Frau gefragt, die sich damit auskennt.
Du bist die Tochter einer Schifferfamilie. Obwohl du in Minden geboren wurdest, bist du auf einem Binnenschiff groß geworden. Wie muss man sich das vorstellen? Ständiger Ortswechsel, kaum Freund:innen, wenig Platz und Privatsphäre? Wie würdest du diese Episode deines Lebens beschreiben?
In den ersten Lebensjahren, als ich noch nicht zur Schule musste, war das Leben wahrscheinlich entschleunigt wie kein anderes. An die ersten Jahre als Kleinkind erinnere ich mich natürlich nicht allzu gut, aber als Kind hat man wahrscheinlich andere Prioritäten als viel Platz bzw. Wohnraum haben zu wollen. Eingeengt gefühlt habe ich mich daher nie. Vielleicht lag es auch daran, dass der Laderaum des Schiffes als großer Spielplatz diente, was an dieser Stelle natürlich wiederum ein großer Luxus war, da meine Schwester und ich dort im Sand, Kies oder wenn das Schiff unbeladen war, Fußball spielen konnten. Der Internet- bzw. Fernseh-Empfang war dagegen ausbaufähig. Wir kennen die schlechte Verbindung ja noch bis heute, wenn wir mit dem Zug durch Deutschland fahren. Auf den Flüssen Deutschlands war die Verbindung dementsprechend schlecht. Bei regnerischem Wetter mussten wir uns daher immer anderweitig, wie bspw. mit Malen oder Legosteinen, beschäftigen.
Der ständige Ortswechsel war anfangs auch kein großes Problem und kam mir später im Geografie-Unterricht zugute, da mir die Städte an den Flüssen bekannt waren. Als meine größere Schwester dann zur Schule musste, gingen meine Mutter, meine Schwester und ich „von Bord“, aber verbrachten alle Schulferien und wenn es ging auch Wochenenden auf dem Schiff. Das Schiff lag aber sehr oft in Berlin, bspw. am Westhafen. Das war für mich nochmals eine tolle Erfahrung, da ich mich so heute in Berlin nicht nur auf dem Land, sondern auch auf dem Wasser bestens auskenne. [...]
Auf deinem Blog the OGNC verrätst du mit anderen Worten, dass diese außergewöhnliche Kindheit dein Verhältnis zu Nachhaltigkeit und Minimalismus entscheidend geprägt hat. Bist du dankbar für diese Erfahrung oder hättest du dir gerne etwas mehr „Normalität“ gewünscht?
Ich bin in einer sehr privilegierten Situation, weil ich beide Welten entdecken konnte. Einerseits auf dem Schiff, andererseits in Berlin in einem Haus mit Garten. Auf dem Schiff konnten wir nicht 24/7 einkaufen oder online bestellen und hatten sehr wenig Platz für Lebensmittel und Kleidung. Im Haus konnte man sich wiederum „entfalten“. Ich bin in dem Sinne sehr dankbar für die Erfahrung beider Lebensstile, da ich so erkannte, dass zwar materielle Dinge glücklich machen können, aber nicht der entscheidende Grund sind für langfristiges Glück. Unsere Tätigkeit und unsere Beziehungen spielen eine viel größere Rolle als all unsere Besitztümer.
Welche Sache besitzt fast jeder Mensch in Deutschland, die er oder sie aber eigentlich gar nicht braucht? Worauf könnte jeder von uns verzichten?
Ich gehe stark davon aus, dass wir alle schon einmal Fehlkäufe bei Kleidungsstücken hatten. Grundsätzlich ist der Konsum von Kleidung in den letzten Jahren stark gestiegen. Das liegt natürlich auch an Fast Fashion, also der schnelllebigen Kleidung, die uns mit günstigen Preisen und Trends lockt, ständig Neues zu kaufen. Hier lege ich jeder Person ans Herz zu überlegen, was man wirklich braucht und sich klarmacht, welche Schnitte, Farben und Stoffe eigentlich am liebsten getragen werden. Durch schnelllebige Mode und Trends kennen wir leider gar nicht mehr unseren persönlichen Stil.
Tipp: Ich habe meinen Stil durch Challenges wie die „10x10 Challenge“ oder „15x30 Challenge“ herausgefunden. Dabei habe ich mir für 10 Tage 10 Kleidungsstücke herausgesucht. Bei so einer Challenge sucht man sich automatisch seine Lieblingsstücke raus, die mit anderen Kleidungsstücken gut kombinierbar sind. Oft greifen wir sowieso immer wieder zu denselben Teilen mit einem ähnlichen Farbschema. Seitdem ich meinen Stil genau kenne, habe ich keine Fehlkäufe mehr.
Ich möchte in meinem Zuhause mal so richtig „ausmisten“ und mich von unnötigen Dingen trennen. Wo befindet sich deiner Meinung nach der meiste „materielle Ballast“ in einem Haushalt?
Puh, schwierig zu sagen, aber ich vertraue hier dem Sprichwort „Aus den Augen aus dem Sinn“. Der meiste materielle Ballast liegt also wahrscheinlich immer dort, wo man selten hinsieht und immer weiter Zeug lagert. Garagen, Keller, Dachböden aber auch Schränke, an die man nicht täglich geht, sind vielleicht eine gute Anlaufstelle für materiellen Ballast.
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Von welchen Gegenständen würdest du dich niemals trennen und warum nicht?
Von meinem (Renn-)Rad, da es für mich einerseits das schnellste Transportmittel für die Berliner Innenstadt ist, andererseits auch als Sportgerät dient. Im Sommer 2020 bin ich mit dem Fahrrad innerhalb eines Tages von Berlin Richtung Hannover gefahren. Das waren 260 km. Im Sommer 2023 fahre ich mit dem Rad von Berlin nach Kopenhagen. Dafür werden aber mehrere Tage eingeplant.
Hängen Minimalismus und Klimaschutz für dich zusammen? Wenn ja, wie? Umgekehrt: Wann ist Minimalismus vielleicht nicht klimafreundlich?
Das ist für mich alles eine Frage des Privilegs. In erster Linie hängen für mich Minimalismus und Klimaschutz auf jeden Fall zusammen. Wer weniger konsumiert oder wer weniger Wohnraum einnimmt, auch weil es finanziell gar nicht anders möglich ist, lebt automatisch nachhaltiger. Ich könnte aber auch wenig Zeug besitzen, dafür aber ständig durch die Welt jetten, was wiederum weniger toll für den Klimaschutz wäre. Aber ich verlange von niemandem Perfektionismus ab. Mittlerweile bin ich froh, wenn wir unseren Konsum überdenken.
Welche drei Dinge würdest du dir von deinen Mitmenschen wünschen? Was sollten wir als Gesellschaft verbessern?