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NBA

NBA Playoffs - Kolumne: Wie Boston den Heat ins offene Messer lief

  • Aktualisiert: 25.05.2023
  • 13:03 Uhr
  • Ole Frerks
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© imago
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Die Boston Celtics gingen als haushoher Favorit in die Serie gegen die Miami Heat und laufen nun trotzdem Gefahr, gesweept zu werden. Wie das Kartenhaus beim letztjährigen Finalisten zusammenfiel – und warum nun auf einmal ganz andere Fragen gestellt werden müssen.

Von Ole Frerks

Die folgenden zwei Szenen sind etwas Besonderes. Raritäten, genauer gesagt. Im zweiten Viertel von Spiel 3 der Conference Finals erreichten die Celtics zweimal das Ziel, das sie sich vermutlich mehr als nur zweimal in dieser Serie gesetzt hatten.

Sie forcierten Fehler von Jimmy Butler, mit sinnvoll getimten Double-Teams. Einen Pass ins Leere, einen schwierigen Jumper kurz vor der Grundlinie. Die Celtics zeigten mit diesen Stops, dass selbst Jimmy Butler in seiner aktuellen Welt-Form nicht jede Herausforderung perfekt lösen kann, wenn man ihn entsprechend unter Druck setzt.

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Butler kann schalten und walten

Dumm nur, dass sie das sonst nahezu gar nicht schafften. Nicht in Spiel 3, das in der zweiten Halbzeit zu einer Farce verkam, als Boston endgültig jede Hoffnung auf ein Comeback begrub. Und auch nicht in den vierten Vierteln der ersten beiden Spiele, in denen Miami vor allem dank Butler jeweils Rückstände drehen konnte und den vermeintlichen Topfavoriten regelrecht überrollte.

Es gibt viele Faktoren, welche diese Serie über drei Spiele weitestgehend entschieden haben – von 0-3 kam noch nie jemand zurück –, aber ganz nach oben gehört wohl die Tatsache, dass Butler über nahezu seine gesamte Spielzeit schalten und walten konnte, wie er wollte. Er fühlte sich nie unwohl, bekam in fast jeder Situation genau das, was er haben wollte.

Seien es bestimmte Switches (Derrick White!), bestimmte Rotationen oder nur bestimmte Stellen auf dem Court – Butler und sein Team wirkten bis dato nahezu immer einen Schritt voraus, sowohl mental als auch bildlich gesprochen. Diese Serie offenbart einen Klassenunterschied; nur eben nicht den, welchen vor Beginn der Serie fast alle erwartet hatten. Was vielleicht ein Teil des Problems ist.

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Alles sprach für die Boston Celtics

Boston ging diese Serie gefühlt an wie ein Team, das sich seiner Überlegenheit bewusst ist. Kein Einzelfall: Gegen Atlanta ließen die Celtics in Runde eins nach zwei sehr guten Spielen locker und absolvierten sechs, wo vier oder fünf gereicht hätten.

Gegen die 76ers verschenkte Boston den Auftakt zuhause gegen ein Team ohne deren MVP und wäre in Spiel sechs ausgeschieden, wäre Jayson Tatum nicht am Ende von Spiel sechs (und in einem epischen Spiel 7) heiß gelaufen. Obwohl auch hier keiner gesagt hätte, Philly habe den besseren Kader oder mehr Talent.

Gegen Miami schien das Gefälle sogar noch extremer. Die Heat hatten über die Regular Season ein negatives Net-Rating (-0,1, Platz 20 in der NBA) – Boston hatte das beste aller Teams (+6,9). Die Heat mussten über das Play-In gehen, verloren gegen Atlanta und mussten auch gegen Chicago zittern – Boston hatte nach dem Aus der Bucks die beste Bilanz aller Teams, die noch in den Playoffs standen, und damit theoretischen Heimvorteil bis in die Finals.

Das Ganze lässt sich noch weiterspinnen, etwa mit der Tatsache, dass Miami sieben Spieler in der Rotation hat, die nicht gedraftet wurden, während bei den Celtics vier ehemalige Top-6-Draft-Picks in der Starting Five stehen, der vierte im MVP-Voting, ein weiterer All-NBA-Spieler und der Sixth Man of the Year. Es spielt nur leider (aus Celtics-Sicht) alles keine Rolle.

Miami kontrolliert die Soft Skills

Die Heat mögen in der Summe nicht mehr Talent haben, aber sie machen das in allen Bereichen wett, auf die sie einen Einfluss haben. Sie kontrollieren die "Soft Skills", sozusagen, wie auch in den Serien zuvor. Sie waren von Beginn an vorbereitet, wussten, wo und wie sie die Celtics attackieren und was sie ihnen auf der Gegenseite nehmen wollten.

Ein großes Thema ist hier wieder der Druck. Während Boston defensiv allzu bereitwillig White oder sogar Payton Pritchard auf Butler switchte und ihn sein Ding machen ließ, haben Bostons Stars diesen Luxus nicht. Vor allem Jaylen Brown erinnert aktuell keineswegs an einen All-NBA-Spieler, eben weil Miami ihn clever verteidigt.

Im Detail heißt das, unter anderem: Seine Catch-and-Shoot-Möglichkeiten werden limitiert, beim Drive wird ihm eher die linke als die rechte Seite angeboten. Es gibt kaum offene Driving Lanes, stattdessen kommt die Hilfe gezielt und zwingt Brown zu schnellen Entscheidungen, zum Improvisieren. Das ist ein Problem, weil der 26-Jährige das Spiel nicht gut liest und ein miserabler Playmaker ist (in der Serie: zehn Assists, elf Turnover).

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Miami vs. Boston: Ein Mismatch auf der Bank

Brown ist die größte Enttäuschung bei den Celtics in dieser Serie, er ist aber natürlich nicht die einzige. Auch Tatum leistet sich wieder teils haarsträubende Ballverluste, Al Horford leistet offensiv kaum noch einen Beitrag, als Team wirken die Celtics noch immer völlig verunsichert, sobald Miami eine Zonenverteidigung auspackt. Dabei treffen sich diese Teams beileibe nicht zum ersten Mal.

Miami wirkt zum einen besser vorbereitet auf dieses Duell – was nicht zuletzt mit dem offensichtlichen Coaching-Mismatch zu tun hat. Der beste Coach der NBA trifft auf einen Neuling, der jünger ist als sein eigener Starting Center und schon einige Male zu lange mit Reaktionen gewartet hat, ganz zu schweigen von den teils unverständlichen Rotationen, siehe etwa die Minuten von Grant Williams.

Es führt dennoch zu weit, wenn Joe Mazzulla sich nach Spiel 3 hinstellt und versucht, sämtliche Schuld auf sich zu nehmen. Dafür sind seine Spieler zu erfahren, dafür sind auch ihr Auftreten, ihre Körpersprache und Intensität schlichtweg zu mies. Auch Erik Spoelstras taktische Meisterleistungen wären nichts wert, wenn seine Spieler sie nicht entsprechend umsetzen würden.

Miami dominiert im Hustle-Bereich

Miami profitiert von großartigem Shooting – die Heat treffen aktuell fast 48 Prozent (!) ihrer Dreier, die Celtics nur 29 Prozent, weit unter ihrem gewohnten Niveau. Es wäre aber falsch, die Resultate nur auf Shooting Luck zu schieben. Dafür machen die Heat zu viel richtig von dem, was sie kontrollieren können.

Miami dominiert die Playoffs im Hustle-Bereich. Sie haben pro Spiel die meisten Deflections, sie sammeln die meisten Loose-Balls wieder ein, sie nehmen die meisten Offensiv-Fouls an – sie erledigen all die kleinen Dinge, die Playoff-Spiele entscheiden können. Sie spielen nicht nur intelligenter, sondern auch härter als die Celtics. Letzteres ist ein Spieler-Problem, nur bedingt am Coach festzumachen.

Zumal es an der Gegenreaktion fehlt. Wenn Boston vergangene Saison offensiv seinen Fluss verlor, gab es zumindest immer die elitäre Defense, die dagegen steuern und den Celtics leichte Transition-Punkte verschaffen konnte – das ist nicht die Identität der diesjährigen Celtics, selbst wenn diese in der Regular Season ein gutes Defensiv-Team waren.

Boston fehlt die Umschalttaste

Die Fähigkeit, ein Team mal über mehrere Minuten abzumelden, ist ihnen im Vergleich zum Vorjahr verloren gegangen, was nicht zuletzt dieses Duell zeigt. 103,5 Punkte pro 100 Ballbesitzen erzielten die Heat gegen Boston in den letztjährigen Conference Finals … im Moment sind es 124. Wurfglück hin oder her, die Celtics machen es Miami zu einfach.

Auf der Gegenseite ist die Abhängigkeit der Celtics vom eigenen Dreier eklatant. Nicht nur die Quote ist mies, die Heat halten Boston auch bei bloß 35 Versuchen pro Spiel – in der Regular Season waren es fast 43. Und es war schon dort mehrfach so: Fiel der Dreier, wirkten die Celtics fast unschlagbar. Fiel er nicht, waren sie anfällig, auch gegen vermeintlich schwächere Teams, weil der Konter und oft auch die Abgezocktheit fehlte.

Oder die Brechstange … sich konstant an die Freiwurflinie zu arbeiten, wie es Butler im Zweifel immer tun kann, war noch nie eine große Stärke dieses Celtics-Teams, selbst wenn Tatum Fortschritte gemacht hat. Es reicht aktuell in jedem Fall nicht, um sich in Spiele reinzuarbeiten. Spiel 3 wurde zu einem perfekten Sturm diverser Trends, die sich schon länger abgezeichnet hatten.

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Boston: Der perfekte Sturm

Spiel 1 wurde von den Celtics wohl als Ausrutscher gewertet. Selbst als sich die Geschichte in Spiel 2 wiederholte, wurden die Celtics noch nicht komplett abgeschrieben, bei den Buchmachern waren sie für Spiel 3 wieder Favorit. Nach Spiel 3 geht es hingegen nur noch darum, ob der letztjährige Finalist sich wirklich per Sweep verabschiedet, auf diese Art und Weise.

Selbst als das Spiel noch nicht außer Reichweite war, schienen die Celtics sämtlichen Glauben und sämtlichen Willen zu verlieren, das Geschehen gegen ein überragend auftretendes Heat-Team noch drehen zu können. Sie ließen es über sich ergehen, als sie insbesondere von Butler verhöhnt wurden, was vielleicht sogar noch mehr Fragen aufwarf als alle taktischen und sportlichen Fehler, die sie in dieser Serie gemacht haben.

Einen Coach kann man schließlich leicht austauschen. Oder mit erfahrenen Assistant Coaches unterstützen – die Celtics verloren von ihrem letztjährigen Coaching Staff ja nicht nur Ime Udoka, sondern auch Will Hardy und Damon Stoudamire, andernfalls wäre vermutlich nicht Mazzulla vorgerückt. Dass sich hier irgendetwas tun wird, kann als relativ sicher gelten.

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Was passiert mit Jaylen Brown?

Was mit dem Kader passiert, ist eine spannendere Frage. Die schwache Playoff-Serie von Brown kommt zu einem interessanten Zeitpunkt, weil er ohnehin eine der zentralen Personalien dieser Offseason sein wird; er geht in sein letztes Vertragsjahr, durch die All-NBA-Berufung kann Boston ihm einen neuen Fünfjahresvertrag über 290 Millionen Dollar anbieten.

Aktuell wirkt das viel zu teuer – das Angebot dürfte Brown trotzdem erhalten. Zwei All-NBA-Wings im Alter von 24 und 26 Jahren (mit etlichen Playoff-Erfolgen auf dem Buckel!) sind bei allem berechtigten Frust noch immer ein sehr gutes Fundament für ein Top-Team, und Boston wird aller Voraussicht nach keine Chance haben, das Geld anderweitig besser zu investieren.

Aus Sicht der Celtics wird es wahrscheinlich eher darum gehen, durch Deals an der Peripherie etwas zu verändern und das Star-Tandem zusammen zu halten. Ob Brown das Angebot annimmt, steht auf einem anderen Blatt. Wie ein glückliches, geschlossenes Team präsentieren sich die Celtics aktuell nicht, und das kann sich natürlich auch auf Brown auswirken, der neben Tatum nie mehr als die zweite Geige sein wird.

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Boston: Es geht nicht mehr um Nr. 18

Es ist bizarr, weil noch vor einer Woche über den goldenen Pfad der Celtics zu einem möglichen 18. Banner sinniert wurde. Jetzt geht es um existenzielle Fragen, das mögliche Ende einer Ära. Die Celtics hätten gewarnt sein können, spätestens, nachdem Butler und Co. auch schon Milwaukee teilweise vorgeführt hatten.

Stattdessen liefen auch sie in das offene Messer, verloren sich in einer Kombination aus Hybris, Apathie und Pump-Fakes von Butler. Es geht vorerst nicht mehr um Banner Nr. 18. Es geht jetzt vielmehr darum, sich irgendwie erhobenen Hauptes in den Sommer zu verabschieden und zu zeigen, dass dieses Team noch eine gemeinsame Chance haben MÖCHTE.

Es ist klar, wo sie ansetzen können – das erste Ziel muss sein, Butler in Spiel 4 öfter als zweimal unter Druck zu setzen. Erst krabbeln, dann laufen.


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