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Fan-Experte im Interview mit ran.de

Ultra-Experte Christoph Ruf im Exklusiv-Interview: "Drohungen und verschärfte Sanktionen bringen nichts"

  • Aktualisiert: 03.03.2020
  • 15:52 Uhr
  • ran.de/Thomas Gaber
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© imago / getty
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Hass-Banner, Spieler-Boykott, gegenseitige Schuldzuweisungen. Selten stand in der Bundesliga der Sport so wenig im Mittelpunkt wie am vergangenen Wochenende. Sind die Ultras überhaupt zu bändigen? Und wird es bald vermehrt Spielabbrüche geben? ran.de sprach mit dem freien Journalisten und Ultra-Experten Christoph Ruf über ein möglicherweise bevorstehendes Chaos im deutschen Fußball.

ran.de: Herr Ruf, nach dem Skandal-Spieltag in der Bundesliga haben Vereine wie Bayern München oder Schalke 04 ein deutlich verschärftes Vorgehen gegen die Urheber von Hass-Botschaften angekündigt. Lassen sich die Ultras davon überhaupt einschüchtern?

Christoph Ruf: Nein. Nach der Eskalation vom Wochenende wird keine der beiden Seiten bereit sein, zurückzuweichen. Beide Seiten sind der Meinung, dass sie moralisch im Recht sind. Die Ultras halten die Proteste gegen die Kollektivbestrafung der Dortmunder Fans nach wie vor für gerechtfertigt. Immerhin hat die Münchner Szene im konkreten Fall von Sinsheim reflektiert, ob ihre Wortwahl so cool war. Das ändert aber nichts an dem Verhalten der Ultras, sich gegen die Kollektivbestrafung zu wehren. Sie lassen sich auch nicht von neuen Sanktionen oder neuen Drohungen abhalten. Insofern wird das angekündigte scharfe Vorgehen von DFB und Vereinen nichts bringen.

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Schickeria Bayern-Fans
News

Bericht: Urheber der Hass-Banner bekannt

Die Fangruppierungen "Schickeria" und "Red Fanatic" sind offenbar die Urheber der beleidigenden Banner in der Kurve von Bayern München.

  • 02.03.2020
  • 12:18 Uhr

ran.de: Fan-Gruppierungen unterschiedlicher Vereine solidarisieren sich, wenn es um die Diffamierung und Beleidigung einer bestimmten Person geht. Ist das nicht gefährlich?

Ruf: Wenn es um Gewaltverherrlichung ginge, dann auf jeden Fall. Aber es ist nichts Neues, dass sich Ultras verschiedener Vereine solidarisieren, wenn sie ein konkretes Anliegen haben. Das haben wir erlebt, als es um den Erhalt von 50+1 ging oder um die Abschaffung der Montagsspiele. Und ich halte es in diesem Fall auch für nachvollziehbar. Die Kollektivbestrafung von 3.000 Dortmunder Fans ist kritikwürdig. Meinetwegen kann man jedem, der in einem Fußballstadion, in der Fußgängerzone oder auf dem Schulhof "Hurensohn" schreit, mit dem Hinweis antworten, dass die Mutter eine "Ehrenfrau" war und jeden einzeln verklagen - beides hat Hopp ja getan. Ich lehne solche Beleidigungen auch ab. Aber man kann nicht die verklagen, die nicht mitgeschrien haben.

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"...dann wird kein Fußballspiel mehr zu Ende gespielt werden"

ran.de: Die Verbände setzen derzeit auf ein Drei-Stufen-Modell. Spielt das nicht eher den Ultras in die Karten? Sie können ihre Botschaften zweimal verbreiten, ohne dass groß was passiert.

Ruf: Das Drei-Stufen-Modell-funktioniert nicht. Gleiches gilt aber auch für das von Schalkes Sportvorstand Jochen Schneider ins Spiel gebrachte Ein-Stufen-Modell. Wie soll das gehen? Es braucht nicht immer ein beleidigendes Transparent, es reicht ja schon, wenn von 60.000 Zuschauern einer "Hurensohn" schreit. Wollen die Schalker Spieler dann tatsächlich sofort vom Platz gehen? Bei jedem Fußballspiel, auf jeder Kirmes und in jeder Disco - überall dort, wo viele Menschen zusammenkommen, tanzt einer aus der Reihe. Das kann man nicht verhindern. Wenn man das Ein-Stufen-Modell durchsetzen will, wird kein Fußballspiel mehr zu Ende gespielt werden.

ran.de: Ist die Situation so verfahren oder gibt es einen Lösungsansatz?

Ruf: Ich sehe in der Androhung oder der Verschärfung der Sanktionen seitens der Vereine und Verbände keine Lösung. Man kann nur hoffen, dass sich diejenigen Fans durchsetzen werden, die sagen: "Wir müssen den Leuten vernünftig erklären, was uns eigentlich stört." Es dürfen nicht die Fans die Oberhand gewinnen, die meinen, mit Proleten-Parolen bei irgendjemandem auf Verständnis zu stoßen und irgendetwas durchsetzen zu können. Fadenkreuz-Banner gehen überhaupt nicht. Ich würde mir wünschen, dass beide Seiten ein bisschen abrüsten. Vereine und Verbände sollten weniger mit Drohungen arbeiten und stattdessen eher versuchen, die Vernünftigen von den Unvernünftigen zu trennen. Der DFB muss zu seinem Versprechen, von Kollektivstrafen abzusehen, stehen. Der Ausschluss der BVB-Fans für zwei Auswärtsspiele bei der TSG Hoffenheim war ein Wortbruch.

ran.de: Müssen sich die Zuschauer von Fußballspielen in Deutschland in nächster Zeit auf Spielabbrüche einstellen?

Ruf: Sollten DFB und Vereine auf das Ein-Stufen-Modell setzen und bei der ersten Gelegenheit vom Platz gehen, wird es zu Spielabbrüchen kommen. Außerdem sehe ich die Gefahr von massiven Konflikten innerhalb der Fanszene. Jemand, der sich für 70 Euro ein Ticket gekauft hat, wird sich bedanken, wenn er das Spiel nicht zu Ende schauen kann, nur weil einer "Hurensohn" geschrien hat. Der Fan, der zweimal im Jahr ins Stadion geht, hat kein Verständnis für das Anliegen von Auswärtsfans. Allerdings darf man die steigende Anzahl der "normalen" Fans nicht unterschätzen, die mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs nichts anfangen können und sich überlegen, ob sie überhaupt noch ins Stadion gehen, die haben großes Verständnis für die Anliegen der Ultras. Wenn Verbände und Ultras am gegenwärtigen Eskalationskurs festhalten, kann eine unkontrollierbare Situation entstehen.

Das Interview führte Thomas Gaber

Christoph Ruf ist freier Journalist und Autor zahlreicher Bücher über Fußball-Fans wie "Kurvenrebellen". 

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