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Fußball

Jörn Andersen im ran-Interview: "Tuchel hatte Glück, dass ich gefeuert wurde"

  • Aktualisiert: 10.06.2023
  • 08:52 Uhr
  • ran.de / Oliver Jensen
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Jörn Andersen ist ein Kind der Bundesliga. Zunächst als Stürmer für Nürnberg, Frankfurt oder Düsseldorf, später stieg er als Trainer mit Mainz auf - ehe er wenige Tage vor Saisonstart entlassen wurde. Im ran-Interview spricht der 60-Jährige über sein Leben in Hongkong oder Nordkorea, den fußballbegeisterten Diktator Kim Jong-un und seine Erinnerungen an Thomas Tuchel.

Von Oliver Jensen

Jörn Andersen stieg im Jahre 2009 mit dem 1. FSV Mainz 05 in die Bundesliga auf und wurde daraufhin entlassen, damit ein gewisser Thomas Tuchel seinen Platz einnehmen konnte.

Seine Fußballreise führte ihn daraufhin unter anderem nach Nordkorea und zuletzt nach Hongkong. Vor wenigen Tagen hat er seinen Vertrag bis zum Jahre 2025 verlängert.

Im ran-Interview spricht der 60 Jahre alte ehemalige Stürmer von Eintracht Frankfurt, Fortuna Düsseldorf oder des 1. FC Nürnberg über sein Leben an exotischen Orten, den fußballbegeisterten Diktator Kim Jong-un und seine Erinnerungen an Tuchel.

ran: Herr Andersen, was treibt einen erfahrenen Trainer wie Sie nach Hongkong?

Jörn Andersen: Seitdem ich in Asien tätig bin, habe ich mich in die Menschen und deren Mentalität verliebt. Das ist ein wunderbarer Platz zum Leben, ich war ja auch bereits in Südkorea und in Nordkorea tätig. Jetzt lebe ich in Hongkong - einem der schönsten Plätze. Die Menschen in Asien haben eine tolle Arbeitsmoral und lieben den Fußball. Die Spieler trainieren hart und gerne. Sie sind gefühlt nie müde und wollen viel lernen. Die fußballerische Qualität ist in Asien natürlich nicht so hoch wie in Europa. Aber umso mehr kann ich hier helfen. Fußball und China oder auch Hongkong - das passte lange nicht zusammen. Aber das hat sich geändert.

ran: Über Ihre Station in Nordkorea sprechen wir später, bleiben wir noch einmal in Hongkong. Im FIFA Ranking belegt ihre Nationalmannschaft Platz 146. Auf was für einem Niveau spielt Ihre Mannschaft? Wo kommen die Spieler her?

Andersen: Die meisten Spieler sind lokal, spielen also hier in Hongkong. Hinzu kommen ein paar Spieler aus dem Ausland, die sieben Jahre in Hongkong gespielt haben, daher einen Pass bekommen und für Hongkong spielen dürfen. Jede Vereinsmannschaft in Hongkong darf fünf ausländische Spieler verpflichten. Die kommen zum Beispiel aus Spanien, England oder Brasilien und steigern das fußballerische Niveau. Zwar ist die Liga in Hongkong noch nicht so stark, aber sie verbessert sich. Eine Mannschaft ist in der asiatischen Champions League weitergekommen. Das ist ein positives Zeichen. 

ran: Welche Ziele haben Sie mit der Nationalmannschaft von Hongkong?

Andersen: Wir haben uns erstmals seit 52 Jahren wieder für die Asienmeisterschaft qualifiziert. Das ist sensationell, wenn man bedenkt, dass wir hier genauso wie in China einen sehr harten Lockdown hatten. Das war wirklich grausam. Ich kam im Dezember 2021 nach Hongkong und musste zunächst einmal drei Woche zur Quarantäne in ein Hotelzimmer. Kurz darauf bekam ich die Info, dass für die nächsten sechs Monate kein Sport möglich ist. Es gab kein Vereinstraining, keine Spiele, gar nichts. Ich war schon kurz davor, alles hinzuschmeißen. Einige Mannschaften haben dann aber im Ausland, zum Beispiel in Thailand, trainiert und sich fit gehalten. Glücklicherweise durften wir auch in Hongkong etwas früher wieder loslegen und haben die Qualifikation geschafft. Nun wollen wir bei der Asienmeisterschaft in Katar eine gute Rolle spielen.

ran: Wie haben Sie den Lockdown erlebt?

Andersen: Ab 19 Uhr war alles dicht. Aber damit konnte ich leben. Mein Hauptproblem war, dass ich nicht die Spiele sehen konnte. Ich musste mich bei den jeweiligen Trainern informieren, wie die Spieler trainieren und wie sie sich verhalten. Die Spieler, die in Hongkong geblieben sind, konnten lediglich im Park oder in den Bergen trainieren und vielleicht an der Küste joggen. Ich habe mir dann Videos von früheren Spielen angeguckt, um die Spieler ein bisschen kennenzulernen, manchmal habe ich auch Gespräche geführt. Mehr konnte ich nicht machen. Das war nicht einfach.

ran: Sie haben offenbar ein Faible für exotische Mannschaften, denn Sie haben von 2016 bis 2018 die Nationalmannschaft von Nordkorea trainiert. Hatten Sie bei der Anfrage Respekt, weil Nordkorea wegen der Missachtung der Menschenrechte sehr verrufen ist?

Andersen: Natürlich. Meine erste Reaktion war, dass das für mich nicht infrage kommt. Aber je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto größer wurde die Lust auf diese Aufgabe. Vor meiner Zusage hatte ich mich mit den Verantwortlichen in München getroffen und gute Gespräche geführt. Ich habe diesen Schritt nicht bereut. Es war eine wahnsinnige Erfahrung, dort zu arbeiten. Der Druck war allerdings sehr hoch. Ich musste mit der Nationalmannschaft genauso arbeiten wie mit einer Clubmannschaft.

ran: Wie genau meinen Sie das?

Andersen: Nordkorea ist ein geschlossenes Land. Die machen, was sie wollen. Das war auch im Fußball so. Als ich in Nordkorea ankam, hatte ich vier Wochen Zeit, um mir die Spiele in der Liga anzuschauen. Danach musste ich mir 30 Spieler aussuchen, mit denen ich arbeiten wollte. Ich konnte vielleicht einmal den einen oder anderen Spieler austauschen. Aber grundsätzlich sollte dieser Kern bestehen bleiben. Und mit diesen Spielern habe ich intensiv gearbeitet.

ran: Sie haben also nicht, wie jeder andere Nationaltrainer das macht, vor den Länderspielen Ihre Nominierungen neu vorgenommen?

Andersen: Nein. Wir hatten ein Trainingszentrum bei Pjongjang, etwas außerhalb der Stadt. Dort haben die Spieler gelebt, gegessen und trainiert. Wir haben an jedem Wochentag zweimal trainiert, am Samstag einmal, und dann sind die Spieler am Sonntag zu ihren Clubs gereist und haben ein Spiel bestritten. Das hatte natürlich den Vorteil, dass ich viel Zeit mit den Spielern verbringen konnte. Ich habe sie physisch, technisch und taktisch sehr gefordert. Daher hat sich die Mannschaft stark verbessert. Wir haben viele gute Spiele gemacht und uns für alle Turniere qualifiziert.

ran: Wie haben Sie in Nordkorea gelebt?

Andersen: Ich lebte gemeinsam mit meiner Frau in einem Hotel in der Stadt und bin zwischen Unterkunft und Trainingszentrum hin- und hergependelt. Ich hatte nicht viel Zeit, mich auf andere Dinge als Fußball zu konzentrieren. Wir haben nur selten etwas unternommen. Es gibt natürlich auch dort Restaurants, Bars und Einkaufsläden. Es soll sogar ein Hotel mit einer Disco im Keller gegeben haben. Aber das war dann eine Seltenheit (lacht). Für meine Frau war die Situation natürlich anders, weil sie nicht so beschäftigt gewesen ist wie ich. Sie hat die Freizeit bestmöglich genutzt, hat mit unseren Hunden Spaziergänge gemacht und so weiter. Wir beide hatten einen Aufpasser, Betreuer und Übersetzer in einer Person bei uns, sodass wir uns im Land zurechtgefunden haben.

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ran: Wie haben Sie die Menschen in Nordkorea wahrgenommen?

Andersen: Die Menschen sind sehr zurückhaltend. Wenn man in Nordkorea aufwächst, bekommt man von der Kindheit an das Gehirn gewaschen. Das geht bereits im Kindergarten los und wird in der Schule und während der Ausbildung fortgesetzt. Nordkorea ist ein sehr politisch gesteuertes Land. Die Menschen haben viel Respekt und auch Angst, etwas falsch zu machen und Ärger mit der Regierung zu bekommen. Daher sind die Menschen so zurückhaltend.

ran: Hatten Sie als Nationaltrainer Kontakte zur politischen Führung rund um den Diktator Kim Jong-un?

Andersen: Überhaupt nicht, das wollte ich auch nicht. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich lediglich für den Fußball nach Nordkorea gehe. Gottseidank gab es auch keine Anfragen, dass ich mich mit den politischen Führern treffen solle. Aber ich habe gehört, dass bei unseren wenigen Heimspielen Kim Jong-un und seine Regierung im Stadion waren. Er gilt als ein großer Fußballfan. Er hat früher in der Schweiz studiert und soll von dort aus die englische Liga sehr interessiert verfolgt haben.

ran: Ihr größter Erfolg in Deutschland war der Bundesliga-Aufstieg mit dem 1. FSV Mainz 05 im Jahre 2009. Kurz vor dem Bundesliga-Saisonstart wurden Sie überraschend freigestellt und der damals unbekannte Jugendtrainer Thomas Tuchel trat Ihre Nachfolge an. Wie blicken Sie heute darauf zurück?

Andersen: Was soll ich dazu sagen? Das ist nun schon fast 15 Jahre her. Ich schaue lieber nach vorne. Ich habe damals meine Chance in Deutschland bekommen und auch Erfolge gehabt, gerade der Aufstieg mit Mainz. Aber es hat irgendwie nicht gepasst. Das muss ich akzeptieren. Nicht alle Fußballtrainer können in Deutschland, Spanien oder England arbeiten. Das akzeptiere ich, denn ich haben einen anderen Weg eingeschlagen und muss nicht in Deutschland arbeiten. Ich habe lange genug dort gespielt und trainiert.

ran: Wie war zuvor Ihre Zusammenarbeit mit Tuchel, der bis dahin die U19 in Mainz trainiert hatte und nun Trainer beim FC Bayern München ist?

Andersen: Wir haben uns täglich gesehen und am selben Ort trainiert. Der Manager Christian Heidel hatte Tuchel auch als Scout für die 1. Mannschaft genutzt, er hat also für mich gescoutet. Natürlich habe ich auch gesehen, dass er ein Trainer mit Perspektive ist. Aber wenn man selber die Profis trainiert und er die U19, lässt sich schwer in die Zukunft schauen. Natürlich hatte er das Glück, dass ich gefeuert wurde und er dadurch die Gelegenheit bekam, in der Bundesliga zu trainieren. Keiner weiß, ob er ansonsten die Chance bekommen hätte, wo er heute wäre oder wo auch ich heute wäre. Aber man sollte mit dem zufrieden sein, was man hat. Und ich bin zufrieden.


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