Bundesliga
Vom Notnagel zur Lebensversicherung: Thomas Müller im zweiten Frühling
- Aktualisiert: 06.12.2020
- 18:33 Uhr
- ran.de
"Radio Müller" ist derzeit die Lebensversicherung des FC Bayern. Als rechter Arm des Trainers auf dem Platz steuert er den Rekordmeister erfolgreich durch raues Gewässer. Dabei war er vor gut einem Jahr schon zum "Notnagel" degradiert worden.
München - Der FC Bayern spielt derzeit mit Notstrom. Nicht immer fehlerfrei, auch nicht immer schön und spielerisch manchmal jenseits der eigenen Ansprüche – aber erfolgreich. Es ist ein Kampf gegen alle Widrigkeiten: zahlreiche Verletzte, ein Corona-bedingt eng getakteter Spielplan, kaum Pause und Vorbereitung im Sommer.
Die Müdigkeit ist den Spielern anzumerken. Und doch steht der Rekordmeister nach einem Drittel der Saison an der Tabellenspitze. Es läuft. Auch dank Lebensversicherung Thomas Müller.
"Radio Müller" auf Dauersendung
Welch entscheidende Rolle das 31-jährige Bayern-Urgestein derzeit innehat, verdeutlicht eine Szene im Topspiel gegen RB Leipzig am Wochenende. "Kann hier jemand mal Verantwortung übernehmen", rief ein genervter Müller beim Abschlag von Manuel Neuer seinen Teamkameraden zu. Da stand es gerade 1:1.
Wenige Minuten später erfüllte Müller seine eigene Forderung selbst und besorgte die zwischenzeitliche 2:1-Führung. Ein weiteres Tor sollte folgen.
Müller war der "Man of the Match", wie es so schön heißt. Überall zu finden und zu hören. Er dirigierte, coachte, motivierte, schimpfte, jubelte. "Radio Müller" im Dauerlauf auf Dauersendung. Er ist nicht nur Vorbereiter und Vollstrecker, sondern das Herz der aktuellen Bayern-Mannschaft.
Flicks verlängerter Arm
Trainer Hansi Flick hat das schon immer gewusst. "Er hat taktisch ein sehr gutes Gefühl, ist ein Spieler, der auf dem Platz sehr wichtig ist, ein verlängerter Arm vom Trainer. Er führt die Mannschaft, er führt die Spieler und spielt auf einem sehr hohen Niveau", so der Coach vor rund einem Jahr.
Damals, im November 2019, hatte der frühere Co von Bundestrainer Joachim Löw gerade interimsmäßig für den entlassenen Niko Kovac übernommen. Dieser hatte Müller zuvor zum "Notnagel" degradiert. Der Liebling der Fans war allenfalls noch Ergänzungsspieler und offenbar so frustriert, dass er sogar an einen Wechsel gedacht haben soll. Die Notnagel-Entscheidung wurde Kovacs eigener "Sargnagel". Nachfolger Flick, der binnen weniger Wochen das Anhängsel "Interims" abschüttelte, hauchte seinem heimlichen Star neues Leben ein. Indem er ihm wieder Vertrauen schenkte.
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Altes Credo gilt wieder
Und Müller? Der Weltmeister von 2014 zahlte es bislang doppelt und dreifach zurück. Allein in der vergangenen Saison avancierte er mit 21 Assists zum besten Vorlagengeber der Bundesliga. Trotz seines Notnagel-Daseins im ersten Saisondrittel. Hinzukamen acht Tore.
Es ist der Geisterkulisse geschuldet, dass längst auch jedem Außenstehenden klar ist, wovon Flick schon bei seinem Amtsantritt gesprochen hatte. Auch in der laufenden Spielzeit dirigiert Müller seine Mitspieler wieder lautstark über den Platz. Seine taktischen Anweisungen sind oft von Erfolg gekrönt.
Und auch selbst trifft er wieder wie in besten Tagen. Nach dem zehnten Bundesliga-Spieltag hat Müller bereits sechs Tore und fünf Assists auf dem Konto. Wettbewerbsübergreifend neun Tore und neun Vorlagen in 18 Spielen. Dabei gilt das von Louis van Gaal einst aufgestellt Credo wieder: "Müller spielt immer." Und zwar von Beginn an. Klar, wer verzichtet schon freiwillig auf seine Lebensversicherung.
Der 31-Jährige selbst bleibt dabei bescheiden. "Für mich waren heute bei mir auch zu viele Ballverluste dabei. Da muss ich öfter auch mal kontrollieren", übte sich der Doppel-Torschütze nach dem 3:3 gegen Leipzig bei "Sky" in Selbstkritik. Ausreden wie die extreme Belastung in dieser Saison will er nicht gelten lassen. "Es gibt immer wieder Rückschläge, die wird es weiterhin geben. Wir müssen gucken, dass wir immer einen nachsetzen."
Bierhoff öffnet Tür zur Nationalmannschaft
Kampf bis aufs Messer, Einsatz bis zum Umfallen. Kein Wunder, dass der Ruf nach einem Comeback in der Nationalmannschaft immer lauter wird. Dort mangelte es zuletzt an Motivation, Führung und Kommunikation auf dem Platz. Und eigentlich nicht erst zuletzt, sondern schon seitdem Müller und seine Weltmeister-Kollegen Mats Hummels und Jerome Boateng im März 2019 aussortiert worden waren.
Angesprochen auf eine mögliche Rückholaktion des Trios hatte sich der DFB bislang stur gestellt. Jetzt nicht mehr. "Zwischenmenschlich ist zwischen den Personen bis auf den kurzfristigen Ärger nicht passiert", beschwichtigte DFB-Direktor Oliver Bierhoff bei "Sky90". "Ich kann nur sagen: die Trainer und Joachim Löw werden das machen, was das Beste für die Mannschaft ist. Sie müssen jetzt eine Antwort darauf finden, was für das Turnier das Beste ist. Am Ende spricht man über alle Spieler und deren Entwicklung." Die Ausmusterung sei "nichts Absolutes" gewesen, betonte Bierhoff.
"Wieder Schwung in die Bude bringen"
Zuvor hatte Müller höchstpersönlich signalisiert, im Fall der Fälle bereit zu stehen. Zwar sei das Thema Nationalmannschaft für ihn derzeit "ganz weit weg". Aber: "Ich bleibe dran und dann schauen wir mal", sagte er bei "Sky".
Jetzt müssten alle Deutschen hinter der Entscheidung des DFB stehen und den Bundestrainer unterstützen. Man müsse "alles dafür tun, dass wir da wieder Schwung reinbringen in die Bude und mit Joachim Löw bringen wir auch wieder Schwung in die Bude."
"Wir" - es klingt schon ein wenig nach Comeback. Nach der Rückkehr einer Lebensversicherung, die die Nationalmannschaft auch dringend gebrauchen könnte.
Carolin Blüchel
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