Deutschland-Comeback mit Fenerbahce
Mesut Özil: Der einstige DFB-Held, der lieber seine Füße sprechen lässt
- Aktualisiert: 16.09.2021
- 15:14 Uhr
- ran.de / Marcus Giebel
Bei Fenerbahce Istanbul wollte Mesut Özil seine Karriere noch einmal in Schwung bringen. Bislang strauchelt er bei diesem Unternehmen noch. Es bleibt der Blick zurück. Und die Frage: Platzt der Knoten nochmal? Nächste Chance: Im Europa-League-Spiel bei Eintracht Frankfurt (ab 21 Uhr im Liveticker auf ran.de).
München - Wenn Mesut Özil über seinen aktuellen Arbeitgeber spricht, fallen die Sätze nicht unbedingt spektakulär aus: "Mein Traum und Ziel ist es, mit Fenerbahce die Meisterschaft zu gewinnen. Dazu möchte ich sportlich meinen Teil beitragen - nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz."
So oder ähnlich haben sich schon viele Profikicker geäußert. Der Klubname ließe sich dann beliebig austauschen. Genauso auch das Ziel, denn natürlich strebt nicht jeder Verein direkt nach Silberware. Dafür lauern die Trophäen dann oft ein paar Regale zu hoch, um wirklich greifbar zu sein.
Für Özil war Fenerbahce sowas wie der letzte Ausweg
Für einen Spieler von Özils Klasse aber muss das Maximum in Reichweite sein. Das war bei Real Madrid durchweg der Fall. Ursprünglich auch beim FC Arsenal. Und - so wahr Özil wirklich will - auch bei Fenerbahce Istanbul.
Zu seinem erklärten Herzensklub hat es den einst wohl besten Linksfuß seiner Generation Anfang des Jahres verschlagen. Es schien der letzte Ausweg zu sein, weil ihn die "Gunners" unbedingt loswerden wollten.
Der Megavertrag des Weltmeisters von 2014 drückte zu sehr auf die Klubkassen, die Leistungen auf dem Platz waren mit dem horrenden Gehalt längst nicht mehr vereinbar.
Özil stellte mit Transfer 2013 drei Rekorde auf
Letztlich mussten die Türken offiziell keinen Cent für Özil überweisen. Es heißt, die Londoner können noch mit maximal 1,75 Millionen Euro an Ablöse rechnen. Zum Vergleich: 2013 überwies der FC Arsenal noch 47 Millionen Euro nach Madrid. Damit avancierte Özil damals zum teuersten deutschen Spieler, zum teuersten Arsenal-Einkauf und zum teuersten Verkauf von Real.
Es waren andere Zeiten. Auf dem Transfermarkt. Aber auch speziell bei Özil. Damals wurde er in Deutschland angehimmelt, galt als das Gesicht des enorm populären DFB-Teams. Eine ganze Nation brüstete sich stolz damit, dass der so schüchtern wirkende Junge aus Gelsenkirchen den Adler auf der Brust trug.
Weil er den Ball mit dem Fuß feinfühliger zu behandeln weiß, als Millionen Menschen es mit ihren Händen könnten. Kurzum: Özil war ein Exportschlager.
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Zum Schönspieler abgestempelt
Rückblickend wirken diese Erinnerungen wie aus einem anderen Leben. Viel ist passiert. Zu viel Negatives.
Denn wer in himmlische Höhen gehoben wird, kann umso tiefer fallen. Mit den nachlassenden Leistungen entbrannten immer mehr Diskussionen um sein zuweilen lustlos wirkendes Verhalten nach Ballverlusten. Immer häufiger wurde Özil als Schönspieler abgestempelt, der entweder den Gegner schwindelig spielte oder aber an dem die Partie komplett vorbei lief.
Nach fast 1300 Tagen wieder auf einem deutsche Fußballplatz
Nach seinem unrühmlichen Ende in der DFB-Auswahl nach 92 Spielen, in denen ihm oft aber längst nicht immer die Herzen zuflogen, mussten 1273 Tage vergehen, ehe der 32-Jährige wieder in Deutschland seiner großen Leidenschaft nachgeht. Am 23. März 2018 stand er beim 1:1 im Testspiel gegen Spanien 90 Minuten lang auf einem deutschen Fußballplatz.
Wie viele Minuten wird er wohl beim Europa-League-Auftakt bei Eintracht Frankfurt (ab 21 Uhr im Liveticker auf ran.de) bekommen? Der neue Trainer Vitor Pereira - deutschen Fans vor allem aus seiner erfolglosen Zeit beim TSV 1860 München in deren Zweitliga-Abstiegssaison bekannt - hat seinem prominentesten Spieler zwar schon die Kapitänsbinde anvertraut. Aber zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft noch immer eine Lücke.
Schon drei Trainer bei Fenerbahce erlebt
In seinem ersten halben Jahr bei Fener kam Özil auch wegen einer Sprunggelenksverletzung nur auf zehn Einsätze mit einer Torbeteiligung. In seine wochenlange Zwangspause fiel auch die Entlassung des in Bad Schwalbach geborenen Trainers Erol Bulut, für den Sportdirektor Emre Belözoglu interimsmäßig einsprang. Unter diesem durfte der Filigrantechniker dann nicht mehr hinter der Spitze agieren, sondern wurde auf den rechten Flügel verschoben.
Auch unter dem Portugiesen Pereira bekleidet Özil die Rolle auf der Außenbahn. In dieser Saison lief es bislang ganz passabel. Beim Saisonstart gegen Adana Demirspor um Mario Balotelli erzielte der Ex-Schalker und -Bremer das Tor des Tages. In der Woche darauf kam er gegen Antalyaspor jedoch nur von der Bank, um mit einem Assist zu helfen, aus einem 0:0 noch ein 2:0 zu machen.
Experte warnt vor kippender Stimmung bei Fener
Anschließend fehlte Özil einmal wegen Leistenproblemen, zuletzt wurde er beim enttäuschenden 1:1 gegen Sivasspor nach knapp einer Stunde vom Platz geholt. Vollkommen überzeugend scheint er seine angestrebte Führungsrolle also noch nicht ausfüllen zu können. Beide Seiten dürften sich bislang deutlich mehr von der Zusammenarbeit versprochen haben.
Entsprechend lauert angesichts des emotionalen Umfelds am Bosporus immer eine Gefahr, die der türkische Journalist Murat Öztürk in der "Bild" so beschreibt: "Bisher ist er nur neben dem Platz der Star. Die Stimmung droht zu kippen: von Hoffnung auf den alten Mesut hin zu Enttäuschung."
Daum setzt auf die Qualitäten von Özil
Auch in der Türkei muss Özil also womöglich die Kehrseite der einst überbordenden Euphorie um seine Person kennenlernen. Denn die Liebe von Fußballfans zu ihren Idolen ist dann doch niemals bedingungslos. Irgendwann wird es Zeit, um zu liefern. Oder in der Fußballersprache: Der Knoten muss platzen.
Christoph Daum hat die Hoffnung noch lange nicht aufgegeben. Der ehemalige Fenerbahce-Coach, der in Istanbul enorm beliebt ist, betont in der "Bild": "Mesut ist immer noch in einer Findungsphase, die ganz spielbestimmende Figur zu werden. Er ist brandgefährlich bei allen Standards, brandgefährlich mit dem ein oder anderen tödlichen Pass."
Trapp erinnert an Özils immenses Talent
Das hört sich für viele Beobachter nach dem Özil aus den goldenen Zeiten an. Aber natürlich schlummert diese besondere Gabe nach wie vor in ihm. Auch Frankfurts Keeper Kevin Trapp warnte vor dem sportlichen Wiedersehen: "Ich gehe nicht davon aus, dass Mesut viel von seinem Talent und seinen Qualitäten verloren hat."
Wann wäre ein besserer Zeitpunkt für Özil, um den Wahrheitsgehalt dieser Worte zu unterstreichen? In seinem Heimatland. In dem er zunächst beinahe zur Ikone aufstieg, ehe er fallen gelassen und von nicht wenigen sogar verschmäht wurde.
Özil schiebt Favoritenrolle nach Frankfurt
Trapp, Özil und allen anderen Beteiligten wird klar sein, dass die Gäste nur dann eine echte Chance haben, wenn ihre Nummer zehn groß aufspielt. "Wahrscheinlich ist das Spiel gleich mal das schwerste der sechs Gruppenspiele. In der Saison 2018/19 hat die Eintracht gezeigt, wozu sie in der Lage ist mit dem Einzug ins Halbfinale", schob der Fener-Star die Favoritenrolle bereits brav nach Frankfurt.
Alles andere als eine Kampfansage. Und irgendwie unspektakulär. Aber auch typisch Özil.
Denn er war nie ein Mann der markigen Sprüche. Hat schon immer lieber seine Füße sprechen lassen. Und so oftmals Gegner wie Kritiker zum Verstummen gebracht.
Marcus Giebel
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