2017 wetterte John Harbaugh lautstark gegen das Gastspiel in London. Nun ist der Head Coach der Baltimore Ravens zurück - und will mit einem besonderen Plan die alten Geister vertreiben.
Das Spiel gegen die Tennessee Titans (am Sonntag im Liveticker) geistert schon seit Monaten durch das Umfeld der Franchise und hat auch dem Super-Bowl-Champion von 2013 keine große Ruhe gelassen.
Denn zwischen ihm und der Stadt London herrscht seit 2017 eine emotionale Eiszeit.
Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen, zu sehr hatte der heute 61-Jährige seine Ablehnung gegenüber der britischen Metropole deutlich gemacht.
Sechs Jahre später soll nun alles besser werden.
John Harbaugh: Letzter London-Besuch der Ravens wird zum Desaster
"Vermutlich bekomme ich dafür jede Menge Ärger, aber um ehrlich zu sein, habe ich nicht unbedingt vor, in den kommenden Jahren DA nochmal zu spielen", entfährt es dem erfahrenen Head Coach im Oktober 2017: "Diesen Job kann irgendjemand anderes übernehmen."
Wenige Minuten zuvor hatte Harbaugh die schwerste Niederlage als Kopf der Baltimore Ravens hinnehmen müssen (eine Übersicht der höchsten Niederlagen ALLER 32 NFL-Head-Coaches findet ihr hier). Mit einem satten 7:44 schickten die Jacksonville Jaguars die Mannschaft um den damaligen Franchise-Quarterback Joe Flacco zurück über den großen Teich.
Komplettiert wurde die Klatsche durch unglaubliche 52 Passing Yards (wovon 36 auf das Konto von Backup Ryan Mallett gingen, der die finalen Minuten über die Zeit bringen musste), zwei Interceptions von Flacco und einen verlorenen Fumble. Der einzige Touchdown für die damals ungeschlagenen Ravens fiel knapp drei Minuten vor Schluss.
"Wir sind einfach richtig auf die Fresse geflogen", bilanzierte der damalige Safety Jimmy Smith knallhart.
Externer Inhalt
Dieser Inhalt stammt von externen Anbietern wie Facebook, Instagram oder Youtube. Aktiviere bitte Personalisierte Anzeigen und Inhalte sowie Anbieter außerhalb des CMP Standards, um diese Inhalte anzuzeigen.
Baltimore Ravens: Große Veränderung als Schlüssel zum Erfolg?
Über 2200 Tage nach dem einschneidenden Erlebnis ist die Franchise nun zurück in London. Joe Flacco ist längst Geschichte, mit Lamar Jackson führt mittlerweile einer der größten Stars der NFL die Ravens aufs Feld. Von den einst 53 Mannen, die von Jacksonville gedemütigt wurden, stehen nur noch fünf im aktuellen Roster.
Die größte Veränderung zu 2017 ist allerdings auf Harbaugh selbst zurückzuführen – und unterstreicht gleichzeitig seinen Willen, London diesmal mit einem positiven Gefühl verlassen zu wollen. Anders als damals bauten die Ravens ihr Übergangsnest frühzeitig auf.
Während Baltimore schon am Montag auf britischem Boden landete, reisten die Tennessee Titans erst am Freitagmorgen an. Fast eine komplette Woche Zeit also, um sich an die bekannten Strapazen zu gewöhnen.
"Natürlich lässt sich das darauf zurückführen, dass wir uns 2017 nicht so glücklich angestellt haben", unterstrich Harbaugh, der die ungewöhnliche Maßnahme mit angeordnet hatte, schon zu Beginn des Aufenthalts.
Es sei eine monumentale Aufgabe, die mehr als 200 Menschen nach London zu schaffen und gleichzeitig ein Gefühl der Heimat entstehen zu lassen, gestand Bud Reinecke, der "Director of Team Services", gegenüber "The Athletic".
NFL in London: Baltimore Ravens scheinen perfekt vorbereitet
Eine relativ einfache und auch sinnvolle Entscheidung – die aber schon Wirkung zeigt. Auf dem großzügigen Gelände der Tottenham Hotspur wird während der Einheiten viel gelacht, auch das typisch graue, britische Wetter scheint die Atmosphäre nicht zu trüben.
"Die Stimmung innerhalb der Jungs ist fantastisch", schwärmt Marisol Renner, die PR-Direktorin der Ravens, im Gespräch mit ran: "Klar, am Anfang der Woche gab es noch hier und da einige Schwierigkeiten, gerade bei der Müdigkeit. Aber jetzt sind alle gut drauf, ich habe ein sehr gutes Gefühl."
"Ich persönlich schlafe sehr gut", ließ Linebacker Roquan Smith schon am Donnerstag durchblicken. "Am Anfang der Woche haben einige Jungs noch etwas rumgezickt wegen dem Flug", verriet derweil Cornerback Marlon Humphrey, der auch schon 2017 in London für die Ravens auf dem Feld stand, "aber mittlerweile haben wir alle unseren Rhythmus gefunden."
Anzeige
Anzeige
John Harbaugh: Alte Geister lassen Head Coach keine Ruhe
Der Einzige der scheinbar nicht zur Ruhe kommt, ist weiterhin Harbaugh, der seit 2008 die Zügel in Baltimore in der Hand hält.
"Ich werde von allen immer wieder daran erinnert. Während der Offseason, während des Training Camp, vor drei Wochen, letzte Woche und seit Mittwoch hier in England. Ich habe das Gefühl, es ist irgendwie eine ganz große Sache", schmunzelt der 61-Jährige fast schon gequält, als er mal wieder zurück in das Jahr 2017 gerufen wird.
Der 24. September 2017 beschäftigt ihn noch immer, er nagt merklich an seinem Stolz. Der Frust ist spürbar, glaubwürdig, so als wolle Harbaugh gleich selbst auf das Feld rennen und einen Touchdown erzielen.
"Das ist sechs Jahre her, natürlich vergisst du das nicht, so etwas bleibt in Erinnerung", fasst er seine Gedanken zusammen, ehe er einen Moment innehält und zur nächsten Kampfansage ausholt: "Andererseits musst du dich auch der nächsten Herausforderung widmen – und das sind eben die Tennessee Titans."
Das ist sechs Jahre her, natürlich vergisst du das nicht, so etwas bleibt in Erinnerung.
John Harbaugh, über die höchste Niederlage seiner Karriere
Baltimore Ravens in London: "Es ist ein toller Ausflug"
Fernab des Schwarz-Weiß-Denkens und der markanten Kampfansagen fällt aber auch eine Sache auf: Egal, wen man fragt, die Ravens scheinen ihre Woche in London zu genießen.
"Wir hatten auch Zeit, endlich etwas mehr von der Stadt zu sehen", jubelt beispielsweise Marlon Humphrey. "Die Leute hier sind fantastisch, ich genieße London in vollen Zügen. Es ist allgemein ein tolles Erlebnis, ein toller Ausflug", ergänzt weniger später Star-Tight-End Mark Andrews, der zum ersten Mal Europa besucht.
"Es stellt eine einzigartige Möglichkeit dar, deinen Horizont zu erweitern", bilanziert Harbaugh treffend, als er auf die positiven Aspekte der anstrengenden Woche angesprochen wird: "Andererseits wachsen wir auch enger zusammen: Wir reisen zusammen, wir verbringen im Hotel oder Bus viel Zeit zusammen. Die Jungs haben einfach Spaß – wir toben uns hier alle zusammen aus."
Anzeige
John Harbaugh: Kampfansage an die Tennessee Titans
Am Sonntag könnte der seit 2008 amtierende Harbaugh endlich einen Haken hinter eines der tragischsten Kapitel seiner Head-Coaching-Karriere setzen.
Seine Mannschaft ist ausgeruht, scheint über die vergangenen Tage noch enger zusammengewachsen zu sein und ist vor allem fit: Mit Odell Beckham Jr., Marlon Humphrey und Tackle Morgan Moses sind gleich drei wichtige Starter vom Injury Report verschwunden. Die Voraussetzungen für einen wichtigen Sieg könnten besser kaum sein.
"Ich kann mich nicht mehr an meine genauen Emotionen erinnern, aber es wird ein ganz wildes Gemisch gewesen sein", gesteht Harbaugh gegenüber ran, nachdem sein Lachen über die anfangs erwähnte Einleitung abgeklungen ist.
Kurz scheint er seinem Frust etwas Raum zu geben, so als sei er gedanklich wieder zurück an diesem einen Tag im September 2017: "Normalerweise möchtest du in jedem Spiel dein Bestes geben und dieses Spiel war sehr wichtig für uns."
Doch plötzlich weicht die Nachdenklichkeit aus seinem Gesicht. "Das Spiel diese Woche ist nicht weniger wichtig", gibt er deutlich zu bedenken, ehe ein leichtes Lächeln über seine Lippen huscht, "aber ich hoffe, dass ich am Sonntag deutlich glücklicher bin als beim letzten Mal."