NBA-Kolumne: Trae Young ist in der Hölle - Gibt es einen Ausweg?
- Aktualisiert: 21.04.2023
- 12:52 Uhr
- ran.de/Ole Frerks
Trae Young sieht in der Erstrundenserie gegen die Boston Celtics bisher kaum Land. Obwohl die Erwartungen an die Atlanta Hawks ohnehin gering waren, sind seine Leistungen ein massives Problem - weil sie zu Grundsatzfragen führen.
Von Ole Frerks
Die vergangenen zehn Tage hätten besser laufen können für Trae Young.
Zwar schafften die Hawks via Play-In mit einem einigermaßen überraschenden Sieg über die Miami Heat doch noch die Playoffs, getrübt wurde dieser Erfolg allerdings durch einen vorangegangenen Bericht seitens "The Ringer", dass das Front Office die Erlaubnis erhalten habe, sich mit Trade-Möglichkeiten für Young auseinanderzusetzen.
Wenige Tage später erschien ein weiterer Bericht, der Young eher nicht erfreut haben dürfte. In einer anonymen "The Athletic"-Umfrage unter 54 NBA-Spielern wurde sein Name bei der Frage am häufigsten genannt, wer der am meisten überschätzte Spieler der NBA sei.
Ein Umstand, der ihm am Ende von Spiel 2 in Boston von den Celtics-Fans durch "over-rated"-Sprechchöre noch einmal vor Augen geführt wurde.
Und dann waren da auch noch die Spiele gegen Boston. Zwei Niederlagen, die sich nicht angefühlt haben wie gewöhnliche Niederlagen.
Trae Young findet bei Boston keine Angriffsfläche
20 Punkte und 7 Assists legt Young gegen die Celtics bisher durchschnittlich auf, was zwar jeweils unter seinem Saisonschnitt ist, aber auf den ersten Blick sogar noch okay wirkt. Auf den zweiten Blick aber nicht. Die Quoten sind düster (35 Prozent aus dem Feld, 23 Prozent Dreier, 69 Prozent Freiwürfe), 10 Ballverluste hat Young auch schon fabriziert.
Die Probleme gehen indes weit über die klassischen Counting Stats hinaus. "Cleaning the Glass" zufolge ist die Hawks-Offense (!) gegen Boston bisher um 30,9 Punkte pro 100 Ballbesitzen schlechter, wenn ihr vermeintlich bester Spieler auf dem Court steht. Es ist zwar eine winzige Stichprobe, bisher wird diese Zahl aber durch den visuellen Eindruck bestätigt.
Young befindet sich gegen Boston in seiner persönlichen Basketball-Hölle. Die Celtics bieten ihm fast keine Angriffsfläche: Jeder ihrer Spieler ist größer als er und nahezu jeder ist mobil genug, um vor ihm zu bleiben oder zumindest schnell wieder "aufzuholen", wenn er vorbeikommt, zumal die Hilfe in der Regel sehr schnell da ist.
Trae Young spielt Boston in die Karten
Er wirkt oft komplett ratlos, was er mit der Defense anfangen soll, und trifft immer wieder falsche Entscheidungen. Selbst dann, wenn er das bekommt, was er per Game-Plan eigentlich haben will: In Spiel 2 holte er sich unter anderem einmal, als er von Bostons schwächstem Verteidiger Sam Hauser verteidigt wurde, einen Screen heran, der es Bostons bestem Verteidiger Derrick White wieder erlaubte, ihn zu übernehmen (es folgte ein Pass zum Schiedsrichter).
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Wenn Al Horford ihn durch Drop Coverage dazu einlud, sein gefährliches Floater Game einzusetzen, griff er stattdessen zum tiefen Pullup-Dreier. Drive-and-Kick-Möglichkeiten gegen bereits rotierende Verteidigung tauschte er gegen Logo-Dreier früh in der Wurfuhr, die zwar gewissermaßen sein Markenzeichen sind, aber in der Regel keine gute Idee (in der Regular Season traf er 31 Prozent seiner Versuche aus mehr als 9,14 Metern Entfernung).
Derrick White ist in Trae Youngs Kopf
Insbesondere White scheint mittlerweile tief in Youngs Kopf zu sein. Er ist der primäre Verteidiger für Atlantas Superstar (wobei die Celtics selbst Hauser ziemlich bereitwillig auf ihn switchen lassen) und demonstriert eindrucksvoll, warum er in dieser Saison wohl ein All-Defensive Team erreichen wird.
White ist für einen Guard ein unglaublicher Shotblocker, der nur selten auf Fakes reinfällt und selbst dann nicht "geschlagen" ist, wenn er geschlagen ist - weil er dank seiner Länge und Schnelligkeit leicht wieder zurück in ein Play finden kann. Young wirkt deshalb teilweise nahezu paranoid, selbst wenn er eigentlich gute Möglichkeiten hat.
Im folgenden Video sind ein paar Szenen aus Spiel 2 zusammengestellt, die das Matchup zeigen - inklusive mehrerer Abschlüsse, die Young normalerweise im Schlaf beherrscht, die White nun jedoch durch seine reine Anwesenheit erschwert.
Boston ist zu groß für Trae Young
Es ist dabei natürlich nicht nur White. Boston hat es nicht nötig, die Minuten Youngs mit einem designierten Verteidiger zu "spiegeln" - die Celtics haben allein im Backcourt ja auch noch den Defensive Player of the Year 2022, Marcus Smart, der Young ähnlich stark verteidigen kann. Oder Malcolm Brogdon. Oder Jaylen Brown. Oder Jayson Tatum.
Alles Spieler, die einigermaßen komfortabel mit dem Young-Matchup sind und keine Hilfe benötigen, schon gar nicht am Perimeter, wo er nach wie vor zu oft abdrückt, statt zum Korb zu ziehen. So komisch das bei Youngs Ruf wirkt - mit seinem Dreier aus dem Dribbling kann die Defense durchaus leben. Unter den 17 Spielern, die in der Regular Season mindestens vier Pullup-Dreier pro Spiel nahmen, trafen nur drei schlechter als Young (32,7 Prozent).
Mit der jetzigen Version von Young - und damit auch der Hawks - hat Boston folglich wenig Mühe. Das ist einerseits keine Überraschung, weil Boston ein grauenhaftes Matchup für Atlanta und unterm Strich schlichtweg ein besseres Team ist. Und andererseits ist es das jüngste Symptom eines grundsätzlichen Problems; im Prinzip ist Boston ja da, wo Atlanta ebenfalls sein möchte. Anspruch und Realität passen nur keineswegs zusammen.
Hawks: Die Enttäuschung der letzten Jahre?
2021 erreichten die Hawks überraschend die Conference Finals und Young erarbeitete sich vor allem in Runde eins gegen die Knicks den Ruf eines Playoff-Killers. Auf diesem Run wollte Atlanta eigentlich aufbauen, doch seither war man zweimal in Folge vielleicht die größte Enttäuschung der Regular Season, zumindest in der Eastern Conference.
Vergangene Saison ging es ebenfalls über das Play-In in die Postseason, wo Atlanta (und insbesondere Young) von Miami vorgeführt wurde. Gegen die Heat waren Youngs Zahlen sogar noch schlechter als aktuell gegen Boston, als Folge wurde in der Offseason Dejounte Murray geholt, um Last von seinen Schultern zu nehmen.
Murray spielte eine gute Saison, den erhofften Schritt nach vorne brachte er jedoch auch nicht. Atlanta gewann 41 Spiele, sogar noch zwei weniger als im Vorjahr. In der Zwischenzeit wurde noch der Head Coach ausgetauscht, auf Nate McMillan, mit dem Young ebenso aneinander geriet wie zuvor mit Lloyd Pierce, folgte Quin Snyder.
Das Ende der Narrenfreiheit?
Der frühere Jazz-Coach hatte noch nicht genug Zeit, um über 24 Spiele jede Änderung zu implementieren, die er für sein neues Team im Sinn hat. Das wird erst in der Offseason möglich sein, wo sich der Kader ohnehin noch einmal ziemlich verändern dürfte. Ob Young auch Teil dieser Änderungen sein wird, ist mittlerweile eine legitime Frage. Snyder will viel Bewegung, viele Pässe, viele Dreier sehen. Young steht bisher nur für eine dieser Komponenten.
Der 24-Jährige hatte in Atlanta lange eine gewisse Narrenfreiheit. Das ermöglichte seine herausragenden individuellen Zahlen (in Jahr zwei legte Young 29,6 Punkte und 9,3 Assists im Schnitt auf, in den vergangenen beiden Jahren verteilte er die meisten Assists ligaweit), zumal er - natürlich - grandiose offensive Fähigkeiten mitbringt. Er ist ein genialer Passer, ein gefährlicher Scorer, eine ständige Bedrohung für die Defense.
Er ist nur auch eigenwillig und bisher kaum wandlungsfähig. 21/22 war das beste Shooting-Jahr seiner Karriere, 22/23 waren die Quoten die schwächsten seit seiner Rookie-Saison. Noch immer bewegt sich Young kaum abseits des Balles, obwohl mit Murray nun ein zweiter fähiger Playmaker da ist. Die früheren Vergleiche mit Stephen Curry sehen mit jedem Jahr etwas alberner aus, in dem Trae sich weigert, auch ohne Ball in der Hand an der Offense teilzunehmen. Und dabei sind wir noch nicht einmal bei der Defense angekommen, wo er weiter in der Verlosung für den schlechtesten Spieler der Liga ist.
Trae Young: Die Grundsatzfrage(n)
Aktuell ist Young ein sehr guter Offensivspieler, aber zu limitiert, um der Superstar zu sein, als den ihn die Hawks bezahlen. Elitäre Verteidigungen können ihn offensichtlich zum Non-Faktor machen. Elitäre Offensiven können ihn darüber hinaus sehr wohl zu einem negativen Faktor machen, hier ist Boston bisher sogar noch gnädig mit ihm.
Was bleibt dann übrig? Ist Young offensiv gut genug, dass es sich lohnt, ein Team (neu) um ihn aufzubauen, kann er sich weiterentwickeln und effizienter werden? Oder sind seine Defizite so vielfältig, sein Starrsinn so ausgeprägt, dass es tatsächlich mehr Sinn für die Hawks ergibt, eine andere Richtung einzuschlagen?
All diese Fragen müssen Snyder, der Young über die ersten zwei Spiele auch mal frühzeitig auf die Bank setzte, weil Lineups mit Murray schlichtweg flüssiger spielten, und das Front Office schnell beantworten. Es steht also einiges auf dem Spiel für Young, wenn die Serie kommende Nacht in Atlanta weitergeht.
Niemand erwartet von ihm, den amtierenden Vizemeister im Alleingang zu schlagen. Es wäre aktuell schon ein Fortschritt, wenn er nicht - wie im Vorjahr - komplett untergehen würde, sobald das Rampenlicht am hellsten scheint.