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FC Bayern: Englische Bundesliga-Legende Tony Woodcock: "Kane und die Bayern wäre der perfect fit"
- Aktualisiert: 07.07.2023
- 23:32 Uhr
- ran.de / Marie Schulte-Bockum
Tony Woodcock kam 1979 als englischer Meister in die Bundesliga, sein Transfer glich einer Sensation. Im ran-Interview rät der 46-fache englische Nationalspieler Harry Kane zu einem Bayern-Wechsel und schwelgt selbst in seinen Erinnerungen an Hennes Weisweiler, Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge.
Das Interview führte Marie Schulte-Bockum
Als Tony Woodcock im November 1979 völlig überraschend vom englischen Meister Nottingham Forest zum 1. FC Köln wechselte, löste dies einen Riesen-Hype in der Domstadt aus. Der damals 22-Jährige war wenige Monate vorher zum besten Spieler der englischen Liga gekürt worden, ein Preis, den zuletzt Erling Haaland gewann.
Woodcocks Landsmann Kevin Keegan spielte bereits in der Bundesliga, war 1977 vom FC Liverpool zum HSV gekommen. Die Engländer und die Fußball-Bundesliga: In den 70er und 80er Jahren eine einzige Erfolgsgeschichte. Diese soll nun von Harry Kane fortgeschrieben werden, denn der FC Bayern buhlt intensiv um den Kapitän der englischen Nationalmannschaft.
Als technisch versierter Linksaußen spielte Woodcock insgesamt fünf Jahre lang beim 1. FC Köln. Woodcock traf dabei fast in jedem dritten Spiel: 46 Tore machte er in 155 Spielen für den deutschen Traditionsverein. Mit ran sprach Woodcock über seine eigenen Erfahrungen als Engländer in der Bundesliga. Der 42-fache Nationalspieler spricht dabei perfektes Deutsch, war vor Kurzem noch privat in Bayern unterwegs und erklärt warum er Kane den Schritt nach Deutschland absolut zutraut.
Tony Woodcock über die Bundesliga: "Viele Parallelen zwischen mir und Harry Kane"
ran: Tony Woodcock, Sie sind 1979 von Nottingham Forest nach Köln gewechselt. Das war damals eine Sensation. In England waren Sie kurz zuvor zum Young Player of the Year gewählt worden, jenem Preis, den Erling Haaland zuletzt gewann. Wie kam es zu Ihrem Wechsel in die Bundesliga?
Tony Woodcock: (lacht) Das war damals tatsächlich selten. Ich habe gesehen, wie Kevin Keegan zum HSV ging (kam 1977 vom FC Liverpool in die Bundesliga, Anm d. Red.). Er war schon ein paar Jahre älter. Ich dachte dann, das wäre auch etwas für mich. Ich hatte mit Nottingham Forest schon alles gewonnen, auch individuelle Preise. Es gab Interessenten aus Spanien und Italien. Aber Kevin Keegan hat immer gesagt: "Die Bundesliga ist die beste Liga der Welt, die besten Spieler spielen dort". Ich hatte mit Nottingham Forest bereits im Europapokal-Halbfinale in Köln gespielt. Deshalb wusste ich, dass der FC gute Fußballer hat. Dann habe ich viel über die Stadt und den Verein gelesen, als wir in Köln gespielt haben. Da habe ich gemerkt: Der 1. FC Köln will auch in Europa nach ganz oben.
ran: Die 70er Jahre waren ein anderes Fußball-Zeitalter, die meisten Profis kickten in der Heimat. Woher kam 1979 der Kontakt zum 1. FC Köln und den anderen interessierten Klubs?
Woodcock: Das ging über einen belgischen Agenten, der damals untypisch war. Der Typ kam zu mir und meinte, er arbeitet im Auftrag mehrerer Vereine. Und dann ist er wie ein Mafioso plötzlich überall aufgetaucht. Das war wie im Film: Beim Flughafen kam einmal ein Bote auf mich zu, steckte mir ein Stück Papier in die Jacke und sagte: "Ruf diese Telefonnummer heute Abend an". So fing das ganze Theater an.
ran: Heute ist der Fußball-Transfermarkt wirklich ein großes Theater. Wie ging es denn bei Ihnen weiter nach der Flughafen-Nummer?
Woodcock: Nottingham Forest fragte mich, "willst du einen neuen Vertrag?" Ich habe gesagt, "Nein, ich warte noch". Die höchste Ablösesumme, die Nottingham Forest für mich fordern konnte, war damals 2.500.000 Deutsche Mark. Nottingham machte klar: Wenn ich gehe, dann wollen sie das Geld - und ich sollte nicht in England bleiben und bei Manchester United oder Arsenal spielen. Der FC Köln hat dann seine Hausaufgaben gemacht. Der Präsident Karlheinz Thielen hat mich dann nach Köln eingeladen und mich von dem Verein überzeugt. Thielen wohnt heute noch in Köln.
ran: Das klingt ja wie Tottenham-Boss Daniel Levy, der Kane dem Vernehmen nach nicht verkaufen möchte - und schon gar nicht an einen Konkurrenten innerhalb der Premier League. Hatten Sie selbst denn gar Angst vorm Schritt nach Deutschland?
Woodcock: Doch, natürlich! Das war ganz neu. Nur Kevin Keegan hatte das schon gemacht. Nottingham Forest war mein Heimatklub, ich war schon in der Jugend dort. Das ist dann eine ganz andere Beziehung zum Verein als wenn man eingekauft wäre. Ich kam als kleiner Junge, der bei Nottingham groß geworden ist. Sie haben mich aus der Jugend zu den Profis geholt, ich habe in der ersten Mannschaft gespielt - und auf einmal wollte ich dann mit 22 Jahren aus meiner Heimatstadt und meinem Jugendverein ins Ausland gehen! Ich hatte einige schlaflose Nächte.
ran: Ihre Karriere hat viele Parallelen zu Harry Kanes: Die Treue und Liebe zum Heimatverein in der Heimatstadt, in Ihrem Falle zu Nottingham, in Kanes Fall zu Tottenham. Überrascht es Sie, dass Kane sich einen Wechsel zu Bayern überhaupt vorstellen kann?
Woodcock: Nein, das überrascht mich gar nicht. Denn es gibt eine weitere Parallele: Unsere Stammvereine haben uns beide verliehen. Tottenham hat Kane als jungen Spieler mehrfach verliehen. Ich selbst wurde von Nottingham zweimal weggeschickt: Zu Lincoln City und den Doncaster Rovers. Das ist ein gutes System, finde ich: Du gehst von deinem Heimatverein eine oder zwei Ligen tiefer, um zu spielen. Die Profis in den unteren Ligen nehmen keine Gefangenen. Die sind mit Leidenschaft und Disziplin dabei. Auch heute gehen viele junge Engländer per Leihe weg, versuchen weiter unten ihr Glück. Aber ich lese immer wieder von Englands größten Talenten, die runterschauen und denken: "Der Trainingsplatz ist nicht so gut wie unserer, die Kabine ist nicht so schön wie in der Premier League, das Gehalt ist schlechter". Früher war das ein Schritt zum Lernen! Bist du tough genug, um gegen echte Männer zu spielen? Deshalb machen die Klubs das ja! Sie wollen sehen: Ist der Bursche "metal" oder nicht? Harry wusste das. Er hatte den Willen und Charakter, sich bei Millwall und Leyton Orient durchzusetzen: In Englands zweiter und dritter Liga.
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Harry Kane: "Arbeit ist für ihn kein schmutziges Wort"
ran: Seit 2017 ist Kane Kapitän der englischen Nationalmannschaft, seit März auch alleiniger Rekordschütze der Three Lions. Was ist Ihr persönlicher Eindruck vom 29-Jährigen, wie tickt er?
Woodcock: Wie er mit seinen Mitmenschen umgeht, ist vorbildlich. Trotz seiner dicken Verträge und dem ganzen Geld. Freunde von mir, die ihn kennen, sagen: Harry ist bodenständig, einfach "humble" (Anm. d. Red: bescheiden). Arbeit ist für ihn kein schmutziges Wort. Nicht nur jeder Fußballverein, sondern jede Familie schätzt solche Eigenschaften in einem jungen Mann.
ran: Kane ist 29 Jahre alt. Seine Ehefrau Kate ist schwanger mit dem vierten Kind. Die Familie baut gerade ein riesiges Haus außerhalb von London. Die älteste Tochter Ivy (6) wird bald eingeschult. Da wäre der Weg ins Ausland kein leichter, oder?
Woodcock: Als ich mit 22 nach Köln ging, hatte ich keine Kinder. Mein Sohn wurde in Köln geboren. Ich war erst letzte Woche privat in Regensburg, weil eine meiner Töchter dort lebt. Da bin ich mit meiner Partnerin Susan nach München geflogen. Wir haben uns gedacht: 'Selbst ohne diesen ganzen Hype um Harry Kane: München ist eine wunderbare Fußballstadt. Wenn du die Chance hast, da zu spielen, musst du sie ergreifen'. Das meine ich gar nicht despektierlich gegenüber Inter Mailand, Arsenal, Manchester United oder Real Madrid. Aber für mich ist Bayern seit vielen, vielen Jahren der am besten geführte Fußballverein. Ich weiß, Bayern hatte in den vergangenen Wochen und Monaten den ein oder anderen kleinen "Hiccup". Aber sie haben schnell reagiert - Uli und Kalle sind ja wieder da. Sie wollen immer die besten Spieler holen, das Interesse an Harry ist der Beweis. Für mich persönlich wäre Kane und Bayern ein "perfect fit".
ran: Sie sind im Sommer 1979 nach Köln gegangen. Hast du dich schnell an die Bundesliga und den deutschen Fußball gewöhnt?
Woodcock: Ich erinnere mich auch an ein Spiel im Grünwalder bei 1860 München. Die Sechziger hatten "den Doktor", einen Spieler namens Jupp Kapellmann, Sie kennen ihn bestimmt. Er hatte davor auch schon bei Bayern München und bei Köln gespielt. Meine Mitspieler haben mich gewarnt: "Och, du kriegst den Doktor heute. Der klebt 90 Minuten an dir". Jupp war ein bisschen kleiner als ich, aber unglaublich aggressiv. Ich glaube, das Spiel ging 0:0 aus. Nach Abpfiff geh' ich kaputt in die Kabine, dusche sofort - und schau dann in den Spiegel. Und wer steht hinter mir? Der Jupp! Er hatte immer noch sein Trikot und seine Hose an. Er steht also hinter meinen Schultern und sagt mir in den Spiegel: "Ich bleibe bei dir, bis du das Stadion verlässt". Als ich dann später in den Mannschaftsbus steige, steht er wieder da - immer noch in seinem Trikot - und winkt mir.
ran: Sie haben sogar gegen den FC Bayern getroffen. Das war im Herbst 1980 bei Kölns 4:0-Sieg im Münchner Olympiastadion. Damals saß Uli Hoeneß mit 28 schon als junger Sportdirektor auf der Bank, raufte sich die Haare…
Woodcock: Dieter Hoeneß hat da noch gespielt, ein kleiner, flitziger Kerl. Die Bayern hatten super Spieler. Da waren Kalle, der Vorstopper Klaus Augenthaler, Sepp Maier, Paul Breitner und wie sie alle heißen. Später habe ich mit Köln auch gegen Franz Beckenbauer gespielt, als er beim HSV war. Fast wäre ich sogar Mitspieler vom Kaiser geworden. Als unser Köln-Trainer Hennes Weisweiler nach meiner ersten Bundesliga-Saison zu den New York Cosmos ging, wollte er mich nach New York mitnehmen! Er war ein lustiger, ein ehrlicher Kerl. Weisweiler sagte bei Köln in der Kabine immer zu uns: "Glaubt nicht alles, was in der Zeitung steht, sondern hört auf mich!" Ich habe Weisweiler 1980 aber abgesagt, weil ich beim 1. FC Köln bleiben wollte.
ran: Falls Harry Kane Sie nach Ihrem Rat fragt, ob er nach Deutschland wechseln sollte… Was würden Sie ihm sagen?
Woodcock: Ich würde in höchsten Tönen vom FC Bayern sprechen. Sie haben mich gefragt, wie es mit Familie und Kindern gehen würde. Das ist ein bisschen Arbeit, das gehört auch dazu. Aber dafür gibt es heutzutage ganze Abteilungen in den Vereinen. Bayern würde es ihm total einfach machen, so leicht wie möglich, sodass er sich komplett auf den Fußball konzentrieren kann. Am Ende kenne ich Harry aber nicht persönlich. Ich weiß daher nicht, ob er diese Abenteuerlust fürs Ausland hat.