"Es ist ein riskanter Weg"
Thomas Tuchel und Borussia Dortmund: Ein gefühlter Neuanfang
- Aktualisiert: 14.10.2016
- 08:04 Uhr
- ran.de/Andreas Reiners
Die Verluste von Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan fängt Borussia Dortmund vor allem durch vielversprechende Talente auf. Ein Umbruch, ein gefühlter Neuanfang und ein riskanter Weg, wie Thomas Tuchel einräumt. Doch der BVB-Coach ist gewillt, etwas Neues zu schaffen.
Dortmund/München - Thomas Tuchel muss kurz lachen, als die Sprache sofort auf das Unvermeidliche kommt. Er schüttet sich erst einmal ein Glas Wasser ein. Der 42-Jährige atmet kurz durch, dann versucht er, einen Einblick in sein aktuelles Seelenleben zu geben.
Tuchel wirkt dabei aufgeräumt, entspannt, ausgeruht und auf eine gewisse Art auch angriffslustig, gleichzeitig aber auch realistisch. Auch wenn der Trainer von Borussia Dortmund vor einem großen Umbruch steht, hat er seinen Humor nicht verloren.
Als er darauf hingewiesen wird, dass er sich nach seinem Wechsel nach Dortmund sicher nicht vorgestellt habe, dass er wie in Mainz die besten Spieler verliere, lacht er erneut. Es ist kein süffisantes, kein verbittertes Lachen. Eher ein lockeres, trotz der Verluste ein gut gelauntes. Klar habe er gedacht, dass ihm ein personeller Aderlass beim BVB nicht mehr widerfahre. "Es passiert aber auf einem anderen Niveau. Es fühlt sich an wie ein Neuanfang. Das sind mehr als normale Abgänge", sagte Tuchel.
100 Millionen Euro Transfereinnahmen
Die mehr als normalen Abgänge sind Mats Hummels (FC Bayern), Ilkay Gündogan (Manchester City) und Henrikh Mkhitaryan (Manchester United), die knapp über 100 Millionen Euro in die Kassen spülten. Geld, das der BVB umgehend in Ersatz investierte. Dabei gingen die Dortmunder einen anderen, laut BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke "alternativlosen" Weg.
"Wir haben uns für Talent, Entwicklungsfähigkeit und ihre Persönlichkeit, Lust, Kreativität und das Leuchten in ihren Augen entschieden", sagte Tuchel. Leuchtende Augen, Kreativität und Lust fand Tuchel bei Flügelstürmer Ousmane Dembele (19), dem linken Außenbahnspieler Raphael Guerreiro (22), Stürmer Emre Mor (18) und Mittelfeldmann Mikel Merino (20).
Für das Quartett hat der BVB immerhin fast 40 Millionen Euro auf den Tisch gelegt. Daneben holte der Vizemeister noch die gestandenen Profis Sebastian Rode vom FC Bayern für zwölf Millionen Euro und Marc Bartra vom FC Barcelona für acht Millionen Euro.
Die besten Talente Europas?
Zum Großteil sind das alles vielversprechende Talente, laut Ex-Trainer Jürgen Klopp die derzeit besten in Europa. Doch so vielversprechend diese Talente auch sind – in erster Linie sind es erst einmal Talente. Also Nachwuchs, der zwar mit einer Menge Potenzial ausgestattet und noch formbar ist, aber deshalb auch nicht unbedingt sofort einschlägt und die Abgänge Eins-zu-Eins ersetzen kann. Es sind Rohdiamanten, die erst noch geschliffen werden müssen.
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Das weiß auch Tuchel, der wie der gesamte Klub von einem Angriff auf die Bayern nichts hören will. Das ist weit weg, auch wenn man die eigenen Ansprüche nicht zurückstellen will. Doch bezeichnenderweise will Tuchel noch nicht einmal etwas über seine geplante Spielweise verraten.
Die werde sich abhängig von den Neuen entwickeln. "Bestimmte Vorstellungen würden uns zu diesem Zeitpunkt schon beengen. Wir brauchen Zeit, die Dinge neu zu ordnen. Wir wollen die Talente weiter fördern und ausbilden. Und nicht festhalten an dem, was wir hatten, sondern loslassen und versuchen, etwas Neues zu schaffen", sagte der BVB-Coach.
Viele Fragezeichen?
Es ist eine große Herausforderung für Verein und den Trainer, zugleich aber auch ein spannendes Projekt mit nicht zu unterschätzenden Risiko-Faktoren. Wie schnell findet sich die Mannschaft? Findet sich eine optimale Hierarchie? Wie stabil ist das ganze Gefüge?
"Eine Mannschaft ist ein sensibles Gebilde. Das muss man immer pflegen. Es fehlen uns auf jeden Fall Säulen, die das Gebilde gefestigt haben", meinte Tuchel: "Wir sind kreativ geworden und haben nach neuen Lösungen gesucht. Es ist ein riskanter Weg."
Parallel ist der Weg aber auch der Beweis, wie groß die Kluft zwischen Primus Bayern und dem ersten Verfolger wirklich ist. Eine großartige Saison des besten Zweiten aller Zeiten, die nicht einmal zum Titel reichte, sorgte für einen personellen Aderlass, wie ihn der BVB seit zehn Jahren (Watzke) nicht mehr erlebt hat. Der Angriff auf die Dominanz der Bayern? Der wird so wohl erst einmal weiter aufgeschoben. Auch wenn aufgeschoben bekanntlich nicht aufgehoben bedeutet.
Die bisherigen Investitionen bedeuten aber auch: Es ist noch Geld vorhanden, um den Umbruch weiter voranzutreiben. So soll Andre Schürrle vom VfL Wolfsburg kommen. Der 25-Jährige soll angeblich 30 Millionen Euro kosten. Dafür ist der Nationalspieler aber auch immerhin kein Talent mehr.