Deutschland-Ukraine findet trotz Corona-Fällen statt
ranSicht: Der Fußball nutzt seine Sonderstellung schamlos aus
- Aktualisiert: 14.11.2020
- 19:52 Uhr
- ran.de / Andreas Reiners
"The Show must go on": Das fehlende Fingerspitzengefühl vor dem Nations-League-Spiel zwischen Deutschland und der Ukraine ist ein fatales Zeichen und eine verpasste Chance, findet ran.de-Mitarbeiter Andreas Reiners.
München – Die Niederlage war sinnbildlich.
Die deutsche Nationalmannschaft verlor in Sachen Einschaltquoten zuletzt gegen eine Trödelsendung von Horst Lichter.
Ohne despektierlich klingen zu wollen: Dass ein offensichtliches Fan-Auslaufmodell nicht einmal mehr gegen eine Sendung über Gerümpel und Kram vom Dachboden anstinken kann, sollte den Verantwortlichen zu denken geben.
Schlechter war es kaum
Es ist alarmierend: Nach Angaben von RTL, ARD und ZDF war der Zuspruch beim Testspiel gegen Tschechien der schlechteste in den Abendstunden seit mindestens 20 Jahren.
"Das war jetzt so. Die Phasen gab es immer mal. Freundschaftsspiele, wie es allgemein hin heißt, interessieren die Zuschauer manchmal nicht so ganz brennend. Aber nächstes Jahr, wenn die EM gegen Frankreich beginnt, kann man davon ausgehen, dass die Einschaltquote sehr hoch sein wird", sagte Bundestrainer Joachim Löw.
Wenn er sich da mal nicht irrt.
Denn keine Mannschaft in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren so weit von der Basis entfernt wie "Die Mannschaft". Einst waren die Weltmeister die Lieblinge des Landes, das Aushängeschild der Nation. Doch heute sind die Länderspielpausen ein Ärgernis, das Team nur noch auf Hochglanz PR-poliert und mit einem großen Image-Problem behaftet.
Und jetzt auch noch die Corona-Peinlichkeit.
Während in Deutschland Debatten über den "Lockdown Light" und Maskenpflicht geführt werden, Menschen um Gesundheit und Existenzen bangen, sich seit Monaten durch die Pandemie und gegen das Virus kämpfen, wird alles dafür getan, dass ein Nations-League-Spiel gegen die Ukraine stattfindet, obwohl vier Spieler und ein Teammanager des Gegners kurz vorher positiv getestet wurden.
Externer Inhalt
Oder anders gesagt: Ein Wettbewerb, der bereits zu normalen Zeiten eine Farce und an Komplexität und Unnötigkeit kaum zu überbieten ist, wird dank Schnelltests durchgepeitscht.
Ist ja klar: "The Show must go on".
Mehr Respekt und Unterstützung
Passenderweise hat DFB-Direktor Oliver Bierhoff vor wenigen Tagen mehr Respekt und Unterstützung für den Umbruch bei der Nationalmannschaft gefordert.
Er wisse natürlich, "dass wir derzeit nicht gerade Deutschlands liebstes Kind sind und nicht das Lagerfeuer, das ist einfach Fakt", so Bierhoff: "Es ist wie im richtigen Leben: Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen."
Schöne Worte, wie so oft. Wie so oft verpuffen sie in Rekordzeit.
Denn im "richtigen Leben" gehört so ein Spiel abgesagt. Ohne wenn und aber.
Negative Tests und angebliche Ungefährlichkeit hin oder her – unter diesen Vorzeichen die Austragung durchzuziehen, ist ein Schlag ins Gesicht der Fans, die längst nicht den Schutz und Test-Luxus der Fußball-Millionäre genießen. Vor allem denjenigen, die ihre Unternehmen wegen des Lockdowns trotz eines Hygienekonzepts schließen müssen, ist so etwas immer weniger vermittelbar. Warum ist das Fußball-Geschäft mehr wert als andere?
Eine Absage durch den DFB als Veranstalter mit dem Verweis auf die Lage in Deutschland und die fatale Wirkung nach außen wäre ein Zeichen in Zeiten steigender Infektionszahlen gewesen. SO hätte man Vertrauen zurückgewinnen können.
Das wäre das richtige Leben, das wäre die oft für sich beanspruchte Vorbild-Funktion gewesen. Der richtige Zeitpunkt, um mal für die Anhänger zu sprechen: Ja, auch als Fans wollten wir, dass es weitergeht, aber es gibt Grenzen. Es muss Grenzen geben. Und eine Grenze ist erreicht, wenn es in einer Mannschaft fünf positive Fälle gibt. Dass die Ukrainer erklären, die Infizierten hätten keinen engen Kontakt zum Rest der Mannschaft gehabt, wirkt mindestens fragwürdig.
Stattdessen wird das Coronavirus verharmlost und die vollkommen falsche Message transportiert: Geld regiert die Fußball-Welt, koste es, was es wolle, dank einer Sonderstellung, mit der nicht mehr vorsichtig hantiert, sondern die so einfach nur noch schamlos ausgenutzt wird.
Die Seele geht verloren
Der Fußball verliert so auf internationalem Parkett auch den letzten Fitzel seiner Seele, den letzten Funken Anstand.
Wohlgemerkt vor allem durch die Entscheidung der UEFA, aber eben auch durch die Untätigkeit des DFB.
Doch so wird die Nationalmannschaft wohl noch länger ein Auslaufmodell bleiben.
Andreas Reiners
Du willst die wichtigsten Fußball-News, Videos und Daten direkt auf Deinem Smartphone? Dann hole Dir die neue ran-App mit Push-Nachrichten für die wichtigsten News Deiner Lieblings-Sportart. Erhältlich im App-Store für Apple und Android.