Motorsport Formel 1
Red Bulls Fahrer-Situation: Was Singapur für Erkenntnisse brachte
Nach Jahren, in denen Red Bull auf eine ausgedünnte Nachwuchsstruktur zurückblickte und deshalb sogar auf den erfahrenen Sergio Perez als Teamkollegen von Max Verstappen setzte, drängen nun gleich mehrere neue Talente aus dem Juniorprogramm in Richtung Formel 1.
Das bedeutet, wie so oft im Red-Bull-System, Gefahr für alle Fahrer außer natürlich Max Verstappen. Denn Motorsportberater Helmut Marko führt das Nachwuchsprogramm traditionell nach dem Prinzip "Aufstieg oder Rausschmiss".
Und womöglich gilt das nun stärker als je zuvor, seit Christian Horner, mit dem Marko oft unterschiedlicher Meinung war, keine Rolle mehr spielt.
Marko wollte Perez bereits nach dem Miami-GP im Vorjahr aus dem Cockpit nehmen, doch Horner hielt die Hand über den Mexikaner. Im Rückblick hätte diese Entscheidung wohl kaum den Saisonverlauf verändert. Aber sie verdeutlicht die Dynamik innerhalb des Teams.
Diese harte Personalpolitik betrifft auch Vertragsverlängerungen: Die Zukunft von Yuki Tsunoda, Isack Hadjar und Liam Lawson bleibt bis mindestens Ende Oktober unklar. Marko bestätigte zwar, dass Hadjar für 2026 unter Vertrag steht, ließ jedoch offen, in welchem Team.
Hadjar selbst widersprach jüngst Gerüchten über einen kurzfristigen Aufstieg zu Red Bull Racing, die nach seinem herausragenden Rennen in Zandvoort aufgekommen waren.
Unterdessen tauchen mit Alex Dunne und Arvid Lindblad zwei weitere Namen in der Diskussion um zukünftige F1-Sitze auf. Dunne und McLaren beendeten ihre Zusammenarbeit vor dem Singapur-Wochenende - offenbar auch, weil McLaren ihm keine zeitnahe Perspektive auf ein Formel-1-Cockpit bieten konnte.
In anderen Jahren wäre die Lösung einfach gewesen: den schwächsten Fahrer ersetzen. Doch die bevorstehende Regelreform 2026 erschwert die Lage. Angesichts der unklaren Kräfteverhältnisse argumentieren manche, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für personelle Umbrüche ist.
Hadjars nächster Schritt
Isack Hadjar hat derzeit einen hohen Marktwert, und das zu Recht. Nach einer enttäuschenden Debütsaison 2023 in der Formel 2 etablierte er sich im Folgejahr als Vizemeister. Technische Probleme in den letzten Rennen verhinderten ein noch stärkeres Ergebnis, doch sein Aufwärtstrend ist unübersehbar.
Sein einziger grober Fehler war der Unfall in der Einführungsrunde von Melbourne. In Zandvoort holte er dagegen ein verdientes Podium.
Auch in Singapur überzeugte er - trotz fehlender Streckenerfahrung. Lediglich ein Verbremser in Kurve 8 verhinderte ein besseres Qualifying, und seine aufgebrachte Reaktion auf ein Motorenproblem im Rennen war unprofessionell.
Hadjar ärgerte sich über sich selbst, weil er ohne den Fehler wohl Fünfter geworden wäre. Doch Wut hilft nicht weiter - sie muss in Leistung umgewandelt werden. Ebenso war sein Schimpfen über die Technik sinnlos; Spitzenfahrer zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich auf das Kontrollierbare konzentrieren.
Trotz eines Leistungsverlusts von rund einer halben Sekunde pro Runde verteidigte sich Hadjar aggressiv, aber sauber gegen Fernando Alonso - was viele beeindruckte, Alonso jedoch weniger: "Wir haben fünf Sekunden mit dem Helden des Tages verloren, Glückwunsch", knurrte der Spanier.
Vor der Saison wurde Hadjar intern unterschätzt - inzwischen gilt er als fester F1-Kandidat. Doch Red Bull steht vor einem Dilemma: Wenn Hadjar zu Red Bull Racing aufsteigt und das Team 2026 den Anschluss verliert, wird sich alles noch stärker auf Verstappen konzentrieren. Das zweite Cockpit wäre dann ein Schleudersitz.
Das Lawson-Dilemma
Liam Lawson befindet sich gefährlich nah an der Zone, in der schon viele Red-Bull-Junioren gescheitert sind: talentierte Fahrer, die in eine Abwärtsspirale des Selbstvertrauens geraten. Er ist schnell, entschlossen, aber ihm passieren zu viele kleine Fehler, die sich summieren.
In Singapur verunfallte Lawson sowohl im zweiten als auch dritten Freien Training - zweimal innerhalb von 24 Stunden. "Nicht gut genug von mir", gab er ehrlich zu. Der Verlust an Fahrzeit erschwerte die Vorbereitung, und obwohl er sich bis ins Q2 kämpfte, war ein Platz außerhalb der Top 10 unvermeidbar.
Im Rennen fiel er durch eine unglückliche Strategie zurück: Nach einem langen ersten Stint steckte er hinter einem Zug von Autos fest, darunter Alex Albon, der ihn auf Teamorder hin aufhielt, um Carlos Sainz zu helfen. Lawson trug mit einer langsamen Inlap selbst dazu bei.
Das fasst seine Saison zusammen: schnell, kampfstark, aber fehleranfällig. Marko muss nun entscheiden, ob ein Nachrücker wie Lindblad konstanter wäre - und ob sich ein Risiko lohnt.
Warum Tsunoda?
Yuki Tsunoda erlebt eine schwierige Saison - wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Ungleiches Material und ein Team, das sich stark auf den anderen Fahrer fokussiert, machen ihm das Leben schwer.
Positiv: Red Bull erkennt inzwischen, dass die Probleme am Auto liegen, nicht am Fahrer. Nach einer Serie starker Rennen folgte in Singapur jedoch ein Rückschritt. "Am Freitag war er auf gutem Niveau", sagt Teamchef Laurent Mekies. "Der Samstag war schlecht."
Tsunoda klagte über mangelnden Grip, doch weder Team noch Ingenieure konnten eine plausible Ursache finden. Das ältere Frontflügel-Design allein erklärt nicht, warum er in Q2 acht Zehntel hinter Verstappen lag.
Im Rennen war sein Schicksal nach einem schwachen Start besiegelt. Tsunoda verlor vier Plätze in Kurve 1, weil er sich für die mittlere Spur entschied und zurückziehen musste. Ein unauffälliges, schwaches Wochenende.
Markos Benchmark für Verstappens Teamkollegen liegt bei drei Zehnteln Rückstand im Qualifying. Solange kein zweiter Red-Bull-Fahrer konstant in der Nähe von Verstappen fährt, bleibt der Konstrukteurstitel außer Reichweite.
Da diese Saison ohnehin gelaufen ist, wäre ein Rauswurf Tsunodas jetzt unsinnig. Red Bull steht ohnehin an einem Wendepunkt in der Fahrzeugentwicklung und es könnte sich lohnen, zu beobachten, ob Tsunoda diesen Sprung noch schafft.
Seine Zukunft hängt nun davon ab, ob Marko Hadjar 2026 im Topteam sieht oder ihm ein weiteres Jahr Entwicklungszeit gibt.
Revolution 2026 - Vorteil für frisches Blut?
Das kommende Formel-1-Reglement ab 2026 wird die Charakteristik der Autos grundlegend verändern. Fahrer müssen sich komplett umstellen, und das könnte sogar ein Vorteil für Neulinge sein.
Oliver Bearman etwa betonte kürzlich, dass Rookies mit weniger "alten Gewohnheiten" sich schneller anpassen könnten. Das spricht für frisches Blut im Red-Bull-System - aber ebenso dagegen, jetzt für zusätzliche Unruhe zu sorgen, wo ohnehin ein Umbruch bevorsteht.
Auch praktisch gibt es Hürden: Alex Dunne besitzt noch keine Superlizenz und ist daher kein Kandidat für 2026. Arvid Lindblad hat sie zwar, doch seine F2-Saison mit Platz sieben und zwei Siegen liefert kein zwingendes Argument für einen schnellen Aufstieg.
Aber wer Helmut Marko kennt, weiß: Sein Hang zum radikalen Schnitt ist nie zu unterschätzen.