Kommentar
Jan Ullrich: Ein Geständnis so ehrlich wie der Radsport einst - Kommentar
- Aktualisiert: 23.11.2023
- 09:31 Uhr
- Rainer Nachtwey
Nach Jahren des Schweigens und Verleugnens gesteht Jan Ullrich etwas, was jeder schon weiß. Keiner fragt sich nach dem Warum - nur nach dem Warum jetzt erst.
Von Rainer Nachtwey
Gedacht hat es sich eh jeder. Nun ist es also Gewissheit: Jan Ullrich hat gedopt.
Wie anders hätte es denn auch sein sollen? Alle um ihn herum hatten gedopt, und sie hatten es gestanden. Von A wie Aldag und Armstrong bis Z wie Zabel ... nur er nicht?
Es wusste doch eigentlich jeder bzw. war es jedem klar - und dennoch schwieg er bei der Frage nach Doping, antwortete nur: "Ich habe niemanden betrogen."
Nun hat er es also zugegeben, das Doping. Es verwundert nicht. Keiner fragt sich nach dem Warum.
Vielmehr stellt sich die Frage: Warum jetzt erst? Warum nicht schon vor 15 Jahren? Als Erik Zabel auspackte, als Rolf Aldag auspackte.
Warum nicht vor zehn Jahren? Als Lance Armstrong bei Oprah Winfrey gestand, keinen seiner sieben Tour de France Triumphe auf ehrliche Weise errungen zu haben.
Ullrich sagt, es sei ihm nur um Chancengleichheit gegangen. Vielleicht hat er es wirklich geglaubt, es sich eingeredet, deshalb niemanden betrogen zu haben.
Wie sehr er immer noch in dieser Welt gefangen ist, verdeutlicht seine beim Geständnis getätigte Aussage: "Ich persönlich glaube, mir steht der Titel zu."
15 Jahre später beendet Ullrich seine Lebenslüge, eine Lüge, die ihn zerfressen hat, ihn in Alkohol und Drogen getrieben hat, fast sein Leben gekostet hat.
Jetzt sieht er es ein, dass das Geständnis viel zu spät kommt, dass er "viele schöne Jahre" hätte gewinnen können. Immerhin.
Dass seine neue Offenheit im Rahmen der Vorstellung einer neuen Dokumentarserie über ihn erfolgt, die jede Menge Aufmerksamkeit gut gebrauchen kann, sorgt dagegen für einen extrem faden Beigeschmack.
Sein Geständnis wirkt so ehrlich wie der Radsport zu jener Zeit.