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Nach dem Rücktritt von Jürgen Klinsmann bei Hertha BSC

Die Trainer-Karriere von Jürgen Klinsmann: Ein machthungriger Reformer

  • Aktualisiert: 12.02.2020
  • 20:47 Uhr
  • ran.de / Tim Brack
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© imago images / Christian Schroedter
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Jürgen Klinsmann war im deutschen Fußball schon für bewegte Zeiten verantwortlich. Eine Annäherung an einen Menschen, der immer größtmöglich gedacht hat. 

München - Jürgen Klinsmann beherrscht überraschende Auftritte. 2004 kam er aus dem fußballerischen Niemandsland Kalifornien und wurde Chef der wichtigsten Mannschaft in Deutschland, der Nationalelf.

2019 verwandelte er sich - mittlerweile in Berlin - von einem Aufsichtsrat kurzer Hand in einen Trainer und übernahm die abstiegsbedrohte Hertha, die nach der Trennung von Ante Covic führungslos war.

Dass der ehemalige Stürmer aber auch überraschende Abgänge beherrscht, ist spätestens seit seinem Tonnentritt bekannt. In Berlin trat er zwar nicht zu, aber nach nur zehn Spielen zurück - per Facebook-Post. Am Mittwochabend schob er ebenfalls via Facebook eine Entschuldigung für die Art und Weise des Abgangs hinterher.

Es war trotzdem ein unwürdiges Ende, das Klinsmann sich und dem Verein da bescherte. Im Fußball ist damit ein weiteres Kapitel für ihn geschrieben.

Wie hat sich der 55-Jährige bei seinen vorherigen Stationen geschlagen? Und was treibt ihn an? Der Versuch einer Annäherung.

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Zeit beim DFB

Wie groß Jürgen Klinsmann denkt, zeigte sich schon in seiner Zeit als Bundestrainer. Es war seine erste Station als Trainer und gleich die größtmögliche. Doch das war Klinsmann immer noch nicht groß genug. Der gebürtige Schwabe wollte nicht nur trainieren, er wollte revolutionieren.

Der arg eingestaubte Deutsche Fußball-Bund war das perfekte Versuchsobjekt für den Reformer Klinsmann. Sein aus Kalifornien importiertes Sonnenschein-Gemüt war nach der enttäuschenden EM 2004 womöglich genau das Richtige für den deutschen Fußball. Er bekam jedenfalls weitgehende Befugnisse.

Klinsmann packte an, räumte auf, stellte um, sortierte aus. Das Funktionsteam wurde fast noch mehr umgestaltet als die Mannschaft. Neuer Torwarttrainer, neuer Teammanager, neuer Fitnesstrainer. Die Spieler mühten sich plötzlich an Gummibändern ab, genauso die Medien.

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Das ganze Projekt war ausgerichtet auf die Heim-WM 2006. Für den gebürtigen Optimisten Klinsmann war der Titel das Ziel. Am Ende wurde es Platz drei - ein beachtliches Ergebnis, bedenkt man, in welchem Zustand sich die deutsche Mannschaft 2004 befand. Für den ehrgeizigen Klinsmann aber sicher zu wenig. 

Klinsmanns Verdienst beschränkte sich aber nicht nur aufs Sportliche. In der Kabine trat er als Motivator auf ("Knallt die Polen durch die Wand") und schaffte es auch zusammen mit der Mannschaft, einen Sommer lang ein Land mitzureißen. Die positiven Gefühle der Fans aus dieser Zeit projizierten sich automatisch auch auf Klinsmann. Seinen Vertrag beim DFB verlängerte er nach Ende der WM aber nicht - die zwei Jahre hatten ihn zu viel Energie gekostet.

Zeit beim FC Bayern

Nach der Nationalmannschaft war die fast logische nächste Station für Klinsmann der Trainerposten beim FC Bayern. Doch das positive Bild vom positiven Jürgen trübte sich in seiner Zeit in München. Auch hier war er 2008 angetreten, um zu modernisieren. Und glaubt man Uli Hoeneß, wurden Klinsmanns Wünsche "nicht erfüllt, sondern übererfüllt".

Klinsmann hatte Visionen, die auch die Infrastruktur betrafen. So wurde aus einem alten Profitrakt ein modernes Funktionsgebäude. Dafür sind sie ihm in München heute noch dankbar - für die Buddhas weniger. Klinsmanns gestalterischen Fähigkeiten übertrugen sich allerdings nicht aufs Spielfeld.

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Während seiner Amtszeit stand der FC Bayern nie auf Platz eins, im DFB-Pokal scheiterte die Mannschaft im Viertelfinale, genauso wie in der Champions League.

Vor allem im taktischen Bereich hatte der ehemalige Stürmer Mängel. "Bei Klinsmann trainierten wir fast nur Fitness. Wir Spieler mussten uns selbstständig zusammensetzen, um vor dem Spiel zu besprechen, wie wir überhaupt spielen wollten", schreibt Philipp Lahm in seiner Biographie.

Bei der Nationalmannschaft hatte Klinsmann noch Joachim Löw an seiner Seite, um die taktischen Unzulänglichkeiten zu bereinigen.

In München wurde dieser Schwäche allerdings nicht kompensiert. "Nach sechs oder acht Wochen wussten bereits alle Spieler, dass es mit Klinsmann nicht gehen würde. Der Rest der Saison war Schadensbegrenzung", schreibt Lahm. 

Das bayerische Experiment mit Klinsmann endete bereits im April. Jupp Heynckes übernahm. Uli Hoeneß sagte später über die Zeit mit Klinsmann: "Da haben wir für zigtausend Euro Computer gekauft. Da hat er den Profis in epischer Breite gezeigt, wie wir spielen wollen. Wohlgemerkt wollen."

Heynckes habe dagegen "einen Flipchart und fünf Eddingstifte. Da kostet einer 2,50 Euro. Und da malt er auf die Tafel die Aufstellung des Gegners und sagt ein paar Takte dazu. Mit Heynckes gewinnen wir Spiele für 12,50 Euro, und bei Klinsmann haben wir viel Geld ausgegeben und wenig Erfolg gehabt".

Für die täglichen Anforderungen beim FC Bayern war der groß- und querdenkende Klinsmann überfordert. 

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Zeit bei der US-Mannschaft

Im Sommer 2011 wurde Klinsmann Trainer der US-Nationalmannschaft. Der Verband hatte ihn schon 2006 vergeblich versucht zu verpflichten. Es scheiterte an Klinsmanns Macht-Forderungen. Doch diesmal konnte man sich einigen, und Klinsmann schien der perfekte Kandidat für einen Fußballverband zu sein, der im internationalen Vergleich etwas Nachhilfe benötigt. 

Doch von Beginn an polarisierte der Schwabe - sportlich überzeugte er zwar mit dem Gewinn des Gold Cup 2013. Doch seine ständige Kritik an der US-Liga und seine Aussage, die eigene Mannschaft habe bei der WM keine Chance auf den Titel, kamen bei den stolzen Amerikanern nicht gut an.

Die sportliche Führung war aber von Klinsmann überzeugt. Sie verlängerte seinen Vertrag vor der WM vorzeitig bis 2018 und beförderte ihn zum Technischen Direktor.

Beim Turnier erreichte das US-Team das Achtelfinale. Ein sehr gutes Ergebnis, das aber aus interner Reibung heraus entstand. Klinsmann hatte Unruhe und Unsicherheit in seiner Mannschaft geschürt, als er erfahrene Spieler wie Landon Donovan nonchalant aus dem Kader strich.

Es waren die ersten Risse, die sich immer weiter über das Verhältnis zur Mannschaft legten. Zu diesem Zeitpunkt waren auch schon Zweifel an Klinsmanns taktischer Tauglichkeit laut geworden. Ein Kritikpunkt, der nach der WM unter den Spielern immer wieder Thema gewesen sein soll. Beim Gold Cup 2015 wurde das US-Team im eigenen Land nur Vierter.

Auch danach blieben gute Ergebnisse immer häufiger aus. 2016, zu Beginn der Qualifikation für die WM in Russland, manifestierten sich die Spannung zwischen Mannschaft und Trainer in einem 1:2 gegen Mexiko und einem 0:4 gegen Costa Rica. Klinsmann musste gehen.

Zeit bei Hertha BSC

Es ist bislang das kürzestes Kapitel in Klinsmanns Vita, aber auch das chaotischste. Der 55-Jährige kam Anfang November als Aufsichtsrat, übernahm Ende November die Mannschaft des entlassenen Trainer Ante Covic und schmiss Anfang Februar schon wieder hin - nach nur 76 Tagen.

Mit seinem Alleingang überrumpelte er den ganzen Klub, stellte ihn und vor allem sich selbst bloß. Der Grund: Klinsmann vermisste das Vertrauen "der handelnden Personen", wie er schrieb.

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Dahinter steckte offenbar, dass ihm die sportliche Führung der Hertha seine Machtfantasien nicht erfüllen wollte. Klinsmann wollte demnach zusätzlich zu seiner Trainertätigkeit Technischer Leiter werden - eine Position, wie er sie im US-Verband hatte - und hatte überzogene Gehaltsvorstellungen.

Es wäre eine Macht-Kumulation gewesen, wie sie Fußball-Deutschland zuletzt unter Felix Magath erlebt hat - und das braucht nun wirklich niemand.

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Fazit

Jürgen Klinsmann war im deutschen Fußball schon für eine bewegte Zeit verantwortlich. Im DFB hat er mit seinen Visionen und den Blick über den Tellerrand hinaus einiges vorangetrieben. Doch wer größtmöglich denkt, will eben oft auch größtmögliche Macht.

Ob im deutschen Fußball ein Verein noch einmal das Experiment mit Klinsmann wagt, dürfte nach seinem Berliner Abgang höchst unwahrscheinlich sein.

Tim Brack

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