Löw hört nach 15 Jahren als Bundestrainer auf
Unrühmlicher Abschied des Bundestrainers: Die Stimmen von der PK mit Löw und Bierhoff
- Aktualisiert: 30.06.2021
- 17:55 Uhr
- ran
Mit dem Aus im Achtelfinale der Europameisterschaft endet für Joachim Löw nach 15 Jahren seine Zeit als Bundestrainer. In einer Pressekonferenz verabschiedet sich der Weltmeister-Coach. Die Stimmen von der PK mit Löw und Oliver Bierhoff.
München/Herzogenaurach - Es ist der Tag nach der eiskalten EM-Dusche. Die deutsche Nationalmannschaft ist nach einer 0:2-Niederlage im Achtelfinale der Europameisterschaft gegen England ausgeschieden.
Gleichzeitig war die Pleite im Londoner Wembley-Stadion das letzte Spiel von Joachim Löw nach 15 Jahren als Bundestrainer. Nach der Rückkehr der Mannschaft nach Deutschland stellten sich Löw und DFB-Direktor Oliver Bierhoff in Herzogenaurach der Presse. Der Bundestrainer verabschiedete sich.
ran fasst die Stimmen von der Pressekonferenz zusammen.
Bundestrainer Joachim Löw
... über EM-Aus: Die Enttäuschung nach der Niederlage sitzt sehr tief. Es waren viereinhalb sehr intensive Wochen. Ich hatte immer das absolute Vertrauen in die Mannschaft. Es tut mir natürlich auch leid, dass wir unsere Fans gestern enttäuscht haben und dass wir nicht die Begeisterung ausgelöst haben, die wir uns vor dem Turnier vorgestellt haben. Ich übernehme die volle Verantwortung für das Ausscheiden.
... über seinen Abschied als Bundestrainer: Es waren 15 sehr lange Jahre für mich mit vielen schönen Momenten, aber auch vielen Enttäuschungen. Ich wünsche meinem Nachfolger Hansi Flick alles Gute und natürlich viel Erfolg. Mein Herz schlägt weiterhin schwarz-rot-gold.
Man ist geistig immer angespannt und diese Verantwortung zu tragen, das ist nicht immer ganz so leicht. Man ist ja auch eine Person des öffentlichen Lebens. Natürlich gab es auch Momente, in denen mir das nicht so gefallen hat. Es ist gut, nach 15 Jahren die Verantwortung nun auch mal abgeben zu können. Es ist vielleicht in einigen Jahren nicht mehr ganz so entscheidend, ob man eine Niederlage oder einen Sieg mehr hatte. Für mich bleibt das Wichtigste der Weg, den ich mit all den Menschen gegangen bin. Das Vertrauen war insgesamt unglaublich groß. Das sind Momente, die mir immer in Erinnerung bleiben. Für diese Momente ist man wirklich gerne Trainer.
... über Gründe für das EM-Aus: Wir hatten viele Spieler, die noch nicht so viel Turniererfahrung haben. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass manche Spieler schon zwei bis drei Turniere brauchen. Einige Spieler sind noch nicht an ihrem Leistungslimit. Bei solchen Turnieren braucht man schon auch diese Kaltschnäuzigkeit und Cleverness. Das hat gestern vielleicht ein bisschen gefehlt. Die Mannschaft hat einen sehr großen Willen gezeigt. Man hat es gespürt, sie wollten etwas erreichen.
Für mich ist es jetzt zu früh, eine Analyse zu machen. Einige Dinge haben zeitweise hervorragend funktioniert, einige nicht. Wir haben alles investiert, wir haben uns mit vielen Dingen auseinandergesetzt und uns mit allem vorbereitet, was wir zur Verfügung hatten. Ich habe schon vor dem Turnier gesagt: 'Ich werde Fehler machen.' Ins Detail zu gehen, dazu bin ich im Moment nicht in der Lage.
... über Abschied vom DFB-Team: Natürlich gab es von mir eine Ansprache an die Mannschaft und an alle im Team. Viele davon haben mich ja sehr lange begleitet. Von daher lag es mir am Herzen, mich für diesen Einsatz und für dieses Vertrauen, was sie in mich hatten, zu bedanken. Verabschiedet haben wir uns dann heute Morgen. Ich habe bis jetzt nichts geplant, weder einen Urlaub noch sonstige Dinge. Jetzt muss man das erstmal verarbeiten.
... über Reaktion der Mannschaft auf seinen Abschied: Man hat bei allen auch gemerkt, dass die Nacht kurz war. Niemand konnte so richtig die Ruhe finden. Die Spieler werden auch ein paar Tage brauchen. Es gab mit jedem auch nochmal kurze Gespräche. Natürlich werde ich mit einigen Spielern auch immer wieder den Kontakt halten, man wird sich ja auch immer mal wieder sehen.
... über die Zeit seit dem WM-Desaster 2018: Die letzten drei Jahre waren geprägt von einigen Schwierigkeiten. Wir hatten einige Pläne geschmiedet und hatten schon ein klares Konzept, wie wir die nächsten zwei bis drei Jahre angehen wollen. Es war aufgrund der Coronakrise und wegen vieler Verletzungen schwierig, die Mannschaft für so ein Turnier zu formen. Das hatten uns andere Nationen etwas voraus. Wir hatten sehr viele Wechsel und deshalb ist es uns nicht gelungen, das zu erreichen, was wir uns vorgestellt haben.
... über die Amtsübergabe an Hansi Flick: Mit dem Hansi war ich eigentlich die letzten Monate ständig in Kontakt, natürlich auch in seiner Funktion als Trainer von Bayern München. Auch jetzt während des Turnieres haben wir das eine oder andere Mal telefoniert. Wir kennen uns ja auch schon viele Jahre. Ein Abendessen ist jetzt in diesem Moment nicht geplant. Der Hansi hat ja auch seine eigenen Vorstellungen. Sollte er irgendwelche Fragen haben, stehe ich natürlich gerne zur Verfügung. Aber ansonsten bleibt unser freundschaftliches Verhältnis.
... über Pläne für die Zukunft: Ich habe mir darüber wirklich keine Gedanken gemacht, weil ich natürlich auch gespürt habe, dass ich nach dieser langen Zeit auch einen emotionalen Abstand brauche. Von daher kann ich im Moment gar keine konkreten Gedanken fassen. Natürlich werde ich aber Fan dieser Mannschaft und dieser Spieler bleiben. Ich werde mit meinem ganzen Herzen die Daumen drücken und mit jeder Faser hoffen, dass diese Spieler erreichen, was sie sich wünschen. Denn das haben sie sich verdient.
... über die vergebene Großchance von Thomas Müller: Ich habe natürlich nochmal kurz mit Thomas gesprochen. Er hat das in seiner humorvollen Art kommentiert. Er hat gesagt: 'Trainer, wenn ich diese Chance gemacht hätte, hätte uns das sicher nicht geschadet.' Klar hätte uns das in der Situation geholfen. Wir hätten dann vielleicht auch den Vorteil auf unserer Seite gehabt. Aber Thomas kann mit so etwas gut umgehen und wird das auch gut verarbeiten.
... über sein Vermächtnis als Bundestrainer: Ich habe mit all meiner Kraft für die Nationalmannschaft und den DFB gearbeitet. Als ich damals zum DFB gekommen bin, hätte ich mir nicht erträumen können, so eine lange Zeit zu erleben. Ich habe über 190 Spiele erlebt, jedes Turnier war für sich spannend und prägend. Ich habe alles dafür getan und alles gegeben. Jetzt bei diesem Turnier sind wir ausgeschieden, dafür nehme ich absolut die Verantwortung. Dennoch werden viele Dinge bleiben, die mir für mein Leben viel gegeben haben. Ich bin mit mir im Reinen. Ich freue mich jetzt auf die Zeit danach.
... über seine bitterste Niederlage: Warschau 2012 war es auf keinen Fall. Das war wichtig für uns als Mannschaft. Wir haben uns danach so sehr eingeschworen auf das nächste Turnier, auf Rio. Wir haben alle daraus gelernt. Die bitterste Niederlage, die ich im Nachhinein erleben musste, war 2016 im Halbfinale gegen Frankreich. Wir hatten eine Halbzeit in Marseille ein gutes Spiel gemacht. Hätten wir Frankreich geschlagen, was möglich gewesen wäre, dann hätten wir auch den EM-Titel geholt. Natürlich gehört aber auch das Spiel gestern dazu. Diese Niederlage schmerzt mich auch sehr.
... über ein mögliches Interesse als Bondscoach bei der niederländischen Nationalmannschaft: Da bin ich momentan nicht daran interessiert. Holland hat einige sehr gute Trainer und eine gute Ausbildung. Sie sind auch zu früh aus dem Turnier ausgeschieden. Aber es gibt da genug gute Trainer.
... über seine Zeit als Bundestrainer: Was wir in den letzten Jahren entwickelt haben, darauf bin ich stolz. Wir waren die Benchmark für viele. Es ist unglaublich schwierig, über mehrere Turniere immer unter den letzten Vier zu sein. Wir haben das geschafft. Wir haben mit unserem Stil viele, viele Fans begeistert. Und das ist für mich eine sehr große Befriedigung.
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DFB-Direktor Oliver Bierhoff
... über das EM-Aus: Es tut enorm weh, weil man jetzt so viel investiert hat. Wir hatten eine tolle Vorbereitung, wir hatten ein gutes Umfeld hier im Home Ground. Man nimmt sich natürlich Vieles vor. Ich war davon überzeugt, dass wir bei diesem Turnier bis zum Ende marschieren können. Am Ende steht aber natürlich das Ergebnis und das ist das Ausscheiden im Achtelfinale und damit sind wir natürlich nicht zufrieden. Auch wenn es England war, unser Anspruch ist es immer, bis zum Ende dabei zu sein.
... über aktuelles Ansehen der deutschen Nationalmannschaft: Ich kann mich mit der Außenseiterrolle nicht zufrieden geben. Es ist in diesem Turnier schon auch wieder etwas zusammengewachsen. Die Spieler wollten gemeinsam etwas erreichen. Der Anspruch jetzt ist eine souveräne WM-Qualifikation zu spielen und dann auch wieder mit unseren Ansprüchen in die WM zu gehen.
... über Ziele mit neuem Bundestrainer Hansi Flick: Wir werden uns in den nächsten Tagen zusammensetzen und schauen, was er für Pläne mit der Mannschaft hat. Er hat natürlich sehr wenig Zeit, im September geht es schon weiter. Das Ziel ist es, dass wir in Katar wieder eine schlagfertige Mannschaft haben. Soweit ich Hansi kenne, ist er natürlich jemand, der gerne auch junge Spieler einbaut und entwickelt. Wir werden aber in ein paar Wochen die Gelegenheit haben, das genauer vorzustellen.
... über mögliche Rücktritte: Natürlich ist nach so einem Turnier erstmal totale Enttäuschung da. Ich habe von keinem Spieler gehört, dass er zurücktreten will. Es ist auch wichtig, dass auch Hansi Flick mit ihnen spricht. Natürlich müssen wir junge Spieler aber weiter aufbauen und ihnen die Möglichkeit geben, Erfahrung zu sammeln. Ich wünsche mir, dass wir wieder mehr U21-Spieler einbauen können. Das müssen wir angehen. Und ich weiß, dass Hansi Flick seine Ideen auch in den Jugendbereich einbringen wird.
... über Änderungen im Assistenten-Team: Wir denken aktuell schon über einen weiteren Co-Trainer nach. Hermann Gerland war da bis jetzt aber kein Thema, auch wenn wir seine Kompetenz als Fußballfachmann natürlich schätzen.
... über die Entwicklung der Nationalmannschaft: Es ist eine bessere Verbindung in dieser Mannschaft entstanden. Das lag auch an der Corona-Pandemie. Das müssen wir versuchen, jetzt auch in sportliche Leistungen umzuwandeln. Ich erhoffe mir jetzt mehr Kontinuität und dass dieses Bild der Mannschaft sich weiterträgt.
... über weniger nachkommende Talente im deutschen Fußball: Das beschäftigt uns schon seit längerer Zeit. Bei der Weltmeisterschaft waren acht oder neun Spieler aus der Erfolgs-U21, jetzt ist nur ein Spieler von der 2017er-Mannschaft dabei. Es gibt viele Spieler, die einen weiteren Schritt nach vorne gemacht haben. Wir schauen da aber trotzdem besorgniserregt hin. Wir müssen es schaffen, dass mehr gute Spieler zur Verfügung stehen. Das fängt bei den ganz Kleinen an und dann aber auch in der Leistungs- und Talentförderung. Das müssen wir einfach angehen. Ich hoffe, dass sich der deutsche Fußball zusammentut und diesen Maßnahmen folgt.
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