Bundestrainer nimmt auf PK Abschied
EM 2021 - Jogi Löws letzter Akt zeigt: Die Luft war längst raus
- Aktualisiert: 01.07.2021
- 08:06 Uhr
- ran.de / Tobias Hlusiak
Nicht ganz einen Tag nach dem bitteren Aus gegen England bei der Europameisterschaft endet die Ära Joachim Löw beim DFB. Auf einer Pressekonferenz in Herzogenaurach nimmt der scheidende Bundestrainer Abschied. Dabei wird eins mehr als deutlich: Die vergangenen Jahre haben ihn sehr mitgenommen.
München/London - Im weinroten Kapuzenpulli war Joachim Löw rund 17 Stunden nach dem Abpfiff des EM-Achtelfinals zwischen Deutschland und England in Wembley zur Pressekonferenz in Herzogenaurach erschienen.
Es war sein letztes Spiel in verantwortlicher Position gewesen. Denn durch das Aus des DFB-Teams endete auch Löws 15-jährige Amtszeit als Bundestrainer - das hatte er selbst weit vor dem Turnier so angekündigt.
Nun sah er abgekämpft und mitgenommen aus. Teilweise machte der sonst meist adrett gekleidete Löw in seinem Hoodie sogar einen regelrecht niedergeschlagenen Eindruck. Besonders im Vergeich zu Oliver Bierhoff.
Letzte DFB-PK: Löw und Bierhoff mit gegensätzlicher Agenda
Der DFB-Direktor hatte auf dem Podium rechts vom Bundestrainer Platz genommen. Auch ihm war die Enttäuschung deutlich anzumerken. Im Vergleich zum langsam und leise über vergangene Zeiten sprechenden Löw, hatte sich der 53-Jährige aber ganz offenbar vorgenommen, den letzten Pressetermin der EM für deutliche Ansagen in Richtung Zukunft zu nutzen. Der Stimmungsgegensatz hätte kaum frappierender ausfallen können.
Und so entwickelte sich ein Schauspiel, welches den Betrachter an seinem Ende nur zu einem Schluss kommen lassen konnte: Gut, dass nun ein neues Kapitel beginnt. Für alle Seiten!
Denn viel zu sagen hatte sich das Führungspersonal rund um "die Mannschaft" in den letzten Monaten offenbar nicht mehr.
Löw entschuldigt sich bei den Fans
Löw hatte in seiner ihm eigenen Art emotional eröffnet.
Ein langes Zischen der Luft zwischen seinen Zähnen, dann ein bedeutungsschwerer Blick. "Es tut mir leid, dass wir unsere Fans enttäuscht haben. Ich übernehme die Verantwortung", entschuldigte sich der Weltmeistercoach von 2014. Dies sei nicht der Abschied, "denn wir uns alle vorgestellt hatten".
Der Plan war ganz offensichtlich gewesen, durchs große Tor zu gehen. Ein letztes Aufbäumen, eine letzte wohlwollende Turnierdynamik, ein letzter Titel. Löw hatte an diese Dinge geglaubt. Und an seine Mannschaft natürlich. Das betonte er immer wieder.
Dass sein Weg nach 15 Jahren im Amt derart enttäuschend enden würde, das hatte den 61-Jährigen offensichtlich überrascht. Besonders nach der Blamage bei der WM 2018 schien Löw einen weiteren Tiefschlag kategorisch ausgeschlossen zu haben.
Unterm Strich aber wird die Ära Löw auch in der Rückschau kritischer aufgearbeitet werden müssen, als über lange Zeit ihrer Dauer. Zwei Titel (WM und Confed Cup) in eineinhalb Jahrzehnten, dazu nur jeweils ein gewonnenes Spiel bei seinen letzten zwei Turnieren, kaum taktische Weiterentwicklung in der Schlussphase seiner Amtszeit - das ist das, was bleibt.
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Bierhoff ohne Dankesworte an Löw
Wohl auch deshalb war es Löw wichtig, den Fokus auf andere Dinge zu richten.
"Es ist vielleicht in einigen Jahren nicht mehr ganz so entscheidend, ob man eine Niederlage mehr oder einen Sieg mehr erreicht hat", führte er aus. "Für mich persönlich war das Allerbeste, das, was bleiben wird, der Weg, den ich mit den Menschen gegangen bin. Da haben sich wirklich Freundschaften entwickelt, die auch über diese Zeit bei der Nationalmannschaft hinausgehen. Dafür bin ich wahnsinnig dankbar."
Bei der folgenden Namensaufzählung dankte Löw auch "Oliver" (Bierhoff, anm. d. Red.). Mit ihm hatte er die DFB-Elf durch die Stürme der vergangenen 15 Jahren geleitet. Nun, am Ende der gemeinsamen Zeit am Ruder, wirkten beide auffallend distanziert.
Bierhoff vermied - ob geplant oder zufällig - explizite Dankesworte an den scheidenden Bundestrainer. Während der gesamten PK verwendete er den Namen des zukünftigen Coaches Hans-Dieter Flick öfter als Löws. Es schien, als wolle er sich mit der - neben ihm sitzenden - Vergangenheit gar nicht mehr lange aufhalten.
Bierhoff mit klarer Forderung an Flick
"Am Ende steht das Ergebnis und das ist das Ausscheiden im Achtelfinale. Damit sind wir nicht zufrieden", sagte der Golden-Goal-Schütze von 1996, der mit dem Team nach zwei verkorksten Turnieren schleunigst wieder zu alter Stärke zurückkehren will.
"Ich kann mich nicht damit zufrieden geben, Außenseiter zu sein", sagte Bierhoff kämpferisch. Außerdem habe er das Gefühl, dass "hier in der Mannschaft etwas neues zusammengewachsen ist". In den nächsten Tagen werde er sich mit Flick zusammensetzen und "schauen, wie dessen Plan aussieht. Der Auftrag ist, erfolgreich zu sein!"
Um das zu erreichen, muss viel Arbeit verrichtet werden. Bierhoff hat diese auf dem Zettel. Immer wieder ließ er dies durchblicken. Der EM-Titel der U21 vor einem Monat sei ein toller Erfolg, ließ er wissen. "Aber auch von den 2017er Europameistern hatten wir im Endeffekt mit Serge Gnabry nur einen Spieler im Kader", so Bierhoff. Das war gleichermaßen Kritik an Löw und Auftrag an Flick.
Löws Pläne: Erstmal Urlaub, kein Bondscoach
Löw selbst wollte sich mit derlei Kleinigkeiten gar nicht mehr aufhalten, schon gar nicht zu tief in die Analyse gehen. Falls Flick Fragen hätte, könne er jederzeit anrufen, man sei ja schließlich befreundet.
Nun aber wollte Löw, der mit fortlaufender Dauer der Pressekonferenz immer sentimentaler und emotionaler zu werden schien, die Dinge in den Mittelpunkt rücken, die für ihn wichtig waren. "Diese große Verantwortung zu haben, ist nicht leicht", sagte er. "Natürlich gab es Momente, in denen ich das nicht so toll fand. Deshalb bin ich froh, sie jetzt abzugeben."
Verarbeiten müsse er die vergangenen 15 Jahre nun, sagte er noch. Erstmal im Urlaub, ohne Verpflichtungen. Auch Bondscoach wolle er "auf keinen Fall" werden, versicherte er einem niederländischen Journalisten.
Ganz im Gegenteil. "Mein Herz schlägt weiterhin schwarz-rot-gold", grinste Löw. Er werde nun "mit aller Hingabe und Kraft" Fan der deutschen Mannschaft sein. "Damit die Jungs die Ziele erreichen, die sie sich gesetzt haben."
Löw schwelgt in Erinnerungen an 2014
Den Kontakt werde er ohnehin aufrecht erhalten, nicht nur wegen der emotionalen Abschiedsworte einiger Spieler noch in der Nacht nach dem bitteren Aus von Wembley. Besonders über die WM 2014 dürfte dort geredet worden sein - mit Manuel Neuer, Thomas Müller, Mats Hummels oder Toni Kroos. Es war Löws Sternstunde.
Viele Bilder habe er aus dieser Zeit in seinem Herzen abgespeichert, seufzte er. "Ich erinnere mich an viele Gespräche im Campo Bahia. Am Pool oder beim Espresso mit den Spielern."
Was denn von seiner Zeit als oberster Trainer des Landes bleiben solle, wollte noch jemand wissen. "Ich habe alles getan und gegeben. Ich bin mit mir selbst im Reinen", meinte Löw und wurde auch hier nicht sportlich. Heute kam es ihm auf die Zwischentöne an.
Nach exakt einer Stunde endete der vermutlich letzte öffentliche Auftritt von Joachim Löw als Bundestrainer. Ein kurzes "Danke" erwiderte er noch auf die abschießenden Worte von Pressesprecher Jens Grittner, dann nahm der 61-Jährige sein Smartphone, schob den Stuhl ran und ging langsam vom Podium.
Oliver Bierhoff hatte dieses schnellen Schrittes längst verlassen.
Tobias Hlusiak
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