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Anfänge der brasilianischen Nationalmannschaft

Morawes WM-Kolumne: Die Geburtsstunde des Rekordweltmeisters Brasilien

  • Aktualisiert: 17.06.2018
  • 10:18 Uhr
  • ran.de / Uwe Morawe
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Wie Brasilien zum Rekordweltmeister wurde? Aus einem unbändigen Willen und der Motivation, nachdem das junge brasilianische Team sogar eine englische Mannschaft geschlagen hat. ran-WM-Experte Uwe Morawe blickt auf das sportliche Wunder der Südamerikaner zurück. 

München - Das 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland vor vier Jahren war für Brasilien ein Schock. Traumata dieser Art können verarbeitet werden, indem man sich dem Geschehenen stellt und vor den Ursprung des Erlebten zurückkehrt. Insofern: Rohr frei für eine erfolgreiche WM 2018, Brasil!

Denn es erfolgte, von der Weltöffentlichkeit nahezu unbemerkt, die sofortige Verarbeitung des Desasters vom 1:7. Keine zwei Wochen später kam es zu einem Rematch des ersten Länderspiels überhaupt in der Geschichte der Selecao. Pränatales Rollenspiel nichts dagegen, eher schon Phönix aus der Asche.

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Hundert Jahre später: Rematch des ersten Länderspiels

Auf den Tag genau hundert Jahre später, am selben Ort - dem Estadio das Laranjeiras im Aristokratenviertel Rios - trat auf Einladung von Fluminense der selbe Gegner wie 1914 bei der Geburtsstunde der brasilianischen Nationalmannschaft auf: der Exeter City FC!

Unglaublich, aber richtig gelesen: das erste offizielle Länderspiel des Rekordweltmeisters Brasilien fand am 21. Juli 1914 gegen eine chronisch erfolglose englische Vereinsmannschaft statt, die in ihrer gesamten Historie nie über die dritte Liga hinausgekommen ist.

Eine Saga voller Missverständnisse, Gefängnisaufenthalte und verlorener Zähne.

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Brasiliens elitäres Netzwerk nach England

Brasiliens Fußball stellte zu dieser Zeit eine Angelegenheit des finanzstarken Großbürgertums dar. Die ersten Mannschaften in Rio und Sao Paulo gingen aus elitären Rudervereinen hervor, meist gegründet von englischen Auswanderern oder Geschäftsleuten. Es bestand ein eng geflochtenes Netzwerk nach Großbritannien.

Bereits 1910 waren die sagenumwobenen Corinthians aus London zu einer Testspielreihe nach Südamerika gereist. Ein Team austrainierter Gentlemen, das aus Ehrenkodex auf schnöde Wettkampfspiele verzichtete und bei gegnerischen Strafstössen den Schützen stets aufs leere Tor schießen ließ. Vorausgegangen war ja stets ein Foul eines Corinthians - ein ungebührliches Verhalten, das auf alle Fälle gesühnt gehörte. 

Real schaut zu Corinthians auf

Diese Mannschaft gespickt mit Cracks hatte in dieser Zeit Manchester United 11:3 geschlagen und eine ehrfürchtige Anfrage von Real Madrid wohlwollend beschieden, dass die Spanier zukünftig in derselben weißen Spielkleidung wie die berühmten Corinthians auflaufen dürften. Natürlich war man sich bei Real Madrid darüber bewusst, die Größe und Klasse der Corinthians niemals werde erreichen zu können.  

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Eine Mannschaft ganz in weiß: Der Corinthians FC. 

Diese Übermannschaft zerlegte im Jahr 1910 mit größtenteils zweistelligen Siegen ihre Gegner in Brasilien - Vereinsteams, gemischt aus europäischen Einwanderern und einigen Einheimischen. In Sao Paulo wurde aus Bewunderung vor dieser Fußballkunst ein eigener Club Corinthians gegründet.

Wie konnten die bemitleidenswerten Brasilianer erahnen, dass längst nicht jede englische Mannschaft von derartiger Güte war?

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Klubs aus Rio und Sao Paulo schmieden Allianz

Eine Allianz wurde geschmiedet zwischen den Vereinen aus Rio und Sao Paulo. Nur eine Auswahl der Allerbesten könne gegen britische Professionals halbwegs bestehen. Vereinbarungen waren für 1914 getroffen und eine Depesche zum englischen Verband abgeschickt.

Die FA wusste von einer bevorstehenden Argentinienreise zweier sehr guter Mannschaften, Nottingham Forest und FC Southampton, konnte aber beide partout nicht zu einem Abstecher nach Brasilien bewegen. Nach allerlei abschlägigen Telegrammen und Telefonaten bleib nur ein gewillter Verein übrig: der Exeter City Football Club.

Nun denn, nicht eben die Vorzeigeadresse des Königreichs. Dritte Liga, doch was soll's?

Abenteuerlustige Drittligisten auf dem Weg nach Brasilien

Die Termine mit den Brasilianern wurden festgezurrt, der Exeter City FC den Südamerikanern großspurig als "Professionals" angepriesen. Formal nicht falsch, nur dass "Profis" lediglich bedeutete, dass die Spieler nicht zwölf Stunden in der Fabrik stehen mussten. Ihr Verdienst lag nicht über dem eines Arbeiterlohns. Und von der Spielstärke eines Erstligisten war Exeter Lichtjahre entfernt.

Abenteuerlustige stramme Jungs aus Liga Drei, nicht mehr, nicht weniger.

Wie stramm, wurde sofort auf dem fremden Kontinent deutlich. Überwältigt von der Schönheit eines Strandes, legte die Mannschaft an, entledigte sich der Oberbekleidung und badete im Meer - an einem Strand, an dem dies strengstens untersagt war.

Exeters Mannschaft in Untersuchungshaft

Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, das gesamte Team von Exeter City wanderte hinter Gitter in Untersuchungshaft. Nach einigen Stunden die Aufklärung des Missverständnisses. Oha, die Wundermannschaft aus Europa, die Cracks aus Übersee, der Gegner des ersten brasilianischen Auswahl am kommenden Wochenende, Entschuldigung für das Versehen!

Ja, die Ausrichter hatten mächtig getrommelt. Plakate waren gedruckt, erstmals wurden in Brasilien 10.000 Zuschauer bei einem Fußballspiel erwartet. Ein gemischtes Team der allerbesten Spieler; zwei von Flamengo, Fluminense und Vasco sowie einer von Botafogo. Dazu vier Jungs aus Sao Paulo, darunter der beste Stürmer des Landes: Arthur Friedenreich. Die Trikots aus Ehrerbietung an die Corinthians ganz in Weiß ...

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Ein gemischtes Team der allerbesten Spieler: die brasilianische Nationalmannschaft

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Die Holzfällertruppe aus England

Alles war gerüstet für ein Fußballfest. Überfülltes Stadion, knisternde Atmosphäre, voller Spannung fieberte man den Ballkünsten der gepriesenen Engländer entgegen.

Und dann diese maßlose Enttäuschung. Exeter City stellte sich als Holzfällertruppe heraus. Als eine totale Holzfällertruppe. Die Brasilianer waren dem englischen Drittligisten technisch deutlich überlegen. Exeters einzige Stärke: die Härte. Zu Beginn der zweiten Hälfte wurden Arthur Friedenreich zwei Zähne ausgeschlagen. Der Mann, der in seiner Karriere inoffiziell mehr Tore erzielte als Pele, spielte weiter und führte Brasilien zu einem ungefährdeten 2:0.

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Brasilien siegte ungefährdet 2:0 gegen Exeter City. 

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Brasilien vs. Exeter City: Das brasilianische Wunder

Nüchtern betrachtet war dieses Spiel sportlich eine kleine Farce - doch es hatte weitreichende Auswirkungen. Anstatt den Nebel zu lüften und aufzuklären, dass es in England über 50 Teams gab, die besser waren als Exeter City, entwickelte sich in Brasilien eine Eigendynamik des Sieges.

Die meisten der Zuschauer waren erstmals beim Fußball gewesen, sie vermochten die Spielstärke des Gegners nicht einzuschätzen und übernahmen die im Vorfeld gestreute Mär vom Wunderteam aus Europa. So jemanden hatte das junge Brasilien in die Knie gezwungen.

Nationalstolz machte sich breit - und diese Idee mit den besten Spielern unterschiedlicher Vereine, gar nicht schlecht. Daraus könnte man doch was machen ...

Sogar Michael Jackson ist beim Viertliga-Kick

P.S.: Obwohl Exeter City dieses Jahr wieder am Aufstieg von der vierten in die dritte Liga gescheitert ist, gelten die Fans des Vereins als mit die besten im Lande. Zum hundertjährigen Jubiläumsspiel 2014 in Rio de Janeiro wurde das Team von 600 Zuschauern begleitet.

Bereits zehn Jahre zuvor hatte der Club ein Spiel gegen eine brasilianische Legendenauswahl um Dunga und Jorginho in Exeter organisiert. Schön, dass die Brasilianer sich ihrer Verbundenheit mit diesem Club weiterhin bewusst sind. Und nebenbei: das rührige Exeter schaffte es 2002 sogar, Popikone Michael Jackson ins Stadion zu bewegen. Michael Jackson bei einem englischen Viertliga-Kick, geil!

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Selbst Popikone Michael Jackson kam 2002 ins Stadion. 

Die Brasilianer haben für ihr allererstes Länderspiel zufällig einen kleinen, und doch ganz großen Gegner erwischt: Exeter City FC!

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Das hundertjährige Jubiläumsspiel 2014. 

Uwe Morawe


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