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Tampa Bay Buccaneers

Ickes NFL-Kolumne über Tom Brady: "Käpt'n auf der Brücke"

  • Aktualisiert: 18.06.2020
  • 09:59 Uhr
Article Image Media

Christoph "Icke" Dommisch schreibt in seiner NFL-Kolumne über Tom Bradys Abschied bei den Patriots und seine neue Herausforderung in Tampa Bay. Der G.O.A.T jagt in Florida nicht weniger als die größte Geschichte des Profi-Footballs.

München - Er hat es also wirklich getan: nach 17 Spielzeiten in Folge mit mehr als zehn Siegen. Nach 614 Touchdown-Pässen und einer allerletzten Interception gegen Tennessee. Nach neun Super-Bowl-Teilnahmen, sechs Siegen und 20 Jahren New England Patriots hat Tom Brady Boston verlassen und ist nach Tampa Bay aufgebrochen. Der Anführer der Bostonians wird zum Anführer der Freibeuter (das heißt übrigens Buccaneers).  

Tom Brady hat sich für Tampa entschieden. Die Trennung von den Patriots war im Einvernehmen, hieß es im feinsten Presse-Schnack Mitte März. Wann immer ihr diese Worte irgendwo wahrnehmt, merkt euch, das Gegenteil ist der Fall! Doch wer hat sich nun von wem getrennt? Erinnert ihr euch noch an den 2. Februar? Es war Super-Bowl-Sonntag auf ProSieben. Die Werbung von Hulu, quasi das Joyn der USA, in der Brady durchs Gillette Stadium in Foxborough läuft und sagt:  

 "They say all good things come to an end", und weiter: 

"For me, I am not going anywhere."

BOOM! Er bleibt ganz sicher in Boston. Vermutlich habe ich das auch in der Sendung gesagt. Natürlich war das nur Werbung, aber alles andere machte auch keinen Sinn.  

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Tom, Kobe, Derek und Dirk

20 Jahre als Leistungsträger mit einem Team im Profisport sind fast unmöglich. Kobe und Dirk im Basketball, Derek Jeter im Baseball und Tom Brady in der NFL. Das gibt man eigentlich nicht auf, von beiden Seiten. In der Liebe wäre das so, als würde sich ein 70-jähriges Paar nach 50 Jahren Ehe scheiden lassen, um zu sagen: "Wir haben gemeinsam entschieden, noch mal jemand Neues zu daten." 

Brady hat kurz nach seiner Unterschrift in Tampa ein zweistündiges Radiointerview bei Howard Stern gegeben. Dort sagte er, die finale Entscheidung gegen die Patriots war erst im Moment selbst gefallen. Aber er wusste schon vor dem Start der letzten Saison, dass die gemeinsame Zeit enden würde. Er sprach natürlich auch über Belichick in dem Interview. Den gemeinsamen Weg der beiden, den großen gegenseitige Respekt und die gleichen Werte die man teilte. Das klang alles aufrichtig positiv und wenig verbittert. Auch wenn man retrospektiv wohl feststellen kann, dass es seit der 2016er Deflate-Gate-Saison erstes G-Stein auf dem Weg der beiden gab.

Damals war Brady 39 Jahre alt. Er musste die ersten vier Spiele der Saison aussetzen, wegen eines nie bewiesenen Vorwurfs, er allein habe vor einem AFC Championship Spiel den Luftdruck der Bälle manipuliert. Ein Moment, in dem für 99 von 100 Sportlern in dieser Situation die Karriere endet. Tom Brady hatte ab Woche fünf der 2016er Saison in der Folge den besten Drei-Jahre-Lauf eines Quarterbacks jemals. Drei Super Bowls in Folge! Einen mit 500 Yards und Philly Special und einen, mit dem NIEMALS erklärbaren 25-Punkte-Comeback gegen Atlanta. Zwei Titel in drei Jahren. Und doch ist klar, Belichick hat ihm am Ende nie ein Vertragsangebot gemacht nach der letzten Saison.  

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"Die Besten wissen, wann sie gehen sollten"

Er hat für beide entschieden, dass es noch mal gut wäre, auf die Pirsch zu gehen. Am Ende des gemeinsamen Weges sind nun beide die G.O.A.T. auf ihrer jeweiligen Position. Da sollte sich doch jemand finden, oder? 

In der Hulu-Werbung sagte Brady außerdem: "Die Besten wissen, wann sie gehen sollten." Sind wir ehrlich zu uns, Quarterbacks wissen es bestimmt, aber die Mehrzahl von ihnen ignoriert es erfolgreich. Montana hat nach den 49ers noch zwei Jahre bei den Chiefs gespielt, Favre hat nach Green Bay noch Jets-Grün und Vikings-Violett übergestreift. Denvers Peyton Manning hat zwar im letzten Spiel seiner Karriere den Titel gewonnen, das war aber nicht wegen, sondern trotz ihm. Quarterbacks können es sich erlauben, sie sind auch über ihren Zenit begehrt. Selbst wenn die Leistung nachlässt, am Ende einer großen Karriere liefern sie Verheißung, für die Fan-Base einer siechenden Franchise.  

Brady ist 43 Jahre alt und war letzte Saison 19. im Quarterback-Passer-Rating und 27. bei Yards pro Passversuch. Mittelmaß mit Tendenz nach unten und schlimmer noch, Brady sah das erste Mal alt aus. Der Leistungsabsturz bei alternden Quarterbacks kommt häufig von einem Moment auf den nächsten. Ein falscher Schritt oder ein Hit zu viel und es ist vorbei. Selten ist es ein langsames Ausklingen, häufiger eher ein Ende mit Schrecken. Bei Brady scheint das Ende mit großen Schritten näher zu kommen. 

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Tampa Bay wird zur Prime-Time-Franchise

In der US-Sitcom Happy Endings hieß es mal an einer Stelle: "Tampa's not a place you go. It's a place you end up."

In der Saison 2002 enterten die Freibeuter zum ersten Mal in ihrer Teamgeschichte den Thron der NFL. Eine Handvoll Jahre davor und danach war das Team eines, über das man sprach. In 45 Jahren Franchise-Geschichte zählte Tampa eher zu den Teams, die außerhalb der eigenen Postleitzahl keine Rolle spielten. In den letzten 15 Jahren gab es kein Team, das weniger in landesweiten Prime-Time Spielen zu sehen war als Tampa. 

Mit Bradys Ankunft haben sie nun fünf solcher Spiele, ein geteilter erster Platz in dieser Saison. Nachdem man im April in Tampa Bay ein neues Jersey-Design vorstellte, waren vier der Top sechs verkauften Jerseys im NFL-Shop Brady-Shirts. TB12-Jersey in Schwarz, TB12-Jersey in Weiß, in Orange und überhaupt. "Sind die Buccaneers gut genug für den Titel?", ist die Leadstory in jeder US-Sportsendung in diesen Wochen. Im Windschatten des G.O.A.T.-Hype will nun auf einmal auch jeder ein Stückchen von den Buccs abhaben.

Die Rechnung für Tampa Bay geht bis hierhin auf. Es war ein no-brainer Brady zu holen. Life is good in Florida.  

Die Westküste war keine Alternative für Brady

Zwei Angebote hatte er wohl noch am Ende der Liaison mit Belichick. Los Angeles Chargers und Tampa Bay Buccaneers. Und auch wenn aufhören offiziell keine Alternative war, ohne das Angebot aus Tampa hätte Brady wohl aufhören müssen. Aus familiären Gründen ist die Westküste für den Vater von vier Kindern keine Alternative. In Florida findet Brady nun auf dem Papier gute Voraussetzungen. Offensivgenie und Quarterbackflüsterer Bruce Arians als Headcoach. Eine solide O-Line sowie die Chris Godwin und Mike Evans. Die Football-Bromance wird komplettiert von Kumpel Rob Gronkowski, der extra für Tommy aus dem Ruhestand gekommen ist. 

Und so hat Brady, einer, der schon jede Geschichte geschrieben hat, jemand der jetzt schon als der G.O.A.T. seines Sports gilt, am Ende doch nochmal die Chance, eine letzte Story abzuliefern, die es in 100 Jahren Football noch nie gab. Ich gehe davon aus, dass Brady nichts mehr motiviert als diese Geschichte.  

Die Amerikaner stehen auf Märchen im Sport. Fast noch mehr stehen sie aber auf Flüche im Sport. LeBron James hat seinen Cleveland Cavaliers nach 52 Jahren den NBA Titel nach Ohio gebracht. Die Cubs haben nach 108 Jahren erneut die Baseball-Meisterschaft nach Chicago geholt. Seit 54 Ausgaben des Super Bowls hat es nie ein Team geschafft, das Endspiel im eigenen Stadion zu erreichen.

Super Bowl 55 findet am 7. Februar im Raymond-James-Stadion in Tampa Bay statt. Ist das ne Geschichte? DAS IST NE GESCHICHTE, egal wie sie endet! Erreicht Brady den Super Bowl, ist es die größte Geschichte im Profi-Football. Egal ob mit Happy oder tragischem End. Riskiert Brady den Mythos vom G.O.A.T. anzukratzen, sollte er nicht mal in die Playoffs kommen? Nein. Diesen Status kann man nicht im Sport nicht verlieren, den muss sich jemand erarbeiten.  

Christoph "Icke" Dommisch

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