• Darts
  • Tennis
  • Alle Sportarten

Anzeige
Anzeige
Robert Enkes letzter Coach im Exklusivinterview

Andreas Bergmann: "Es darf bei den Spielern nicht das Gefühl aufkommen, nie zu genügen"

  • Aktualisiert: 10.11.2019
  • 17:29 Uhr
  • ran.de / Dominik Hechler
Article Image Media
© Imago Images
Anzeige

Am 10. November 2009 nahm sich Nationaltorwart Robert Enke das Leben. Seine starken Depressionen hatte er zuvor jahrelang vor der Öffentlichtkeit und auch vor seinen Teamkollegen bei Hannover 96 versteckt. Zum zehnjährigen Todestag spricht Enkes damaliger Trainer Andreas Bergmann im ran-Interview über Trauerverarbeitung, die Enttabuisierung psychischer Verletzungen sowie dringend notwendige Prävention im Jugendbereich.

München - Vor zehn Jahren starb Nationaltorwart Robert Enke auf tragische Weise. Der damals 32-Jährige, der seinerzeit bei Hannover 96 unter Vertrag stand, nahm sich getrieben von schlimmsten Depressionen das Leben und stürzte damit ein ganzes Land in tiefe Trauer. 

Seitdem ist viel passiert. Witwe Teresa Enke rief die "Robert-Enke-Stiftung" ins Leben und kämpft seither für die Enttabuisierung von Depressionen. Im Interview mit ran.de spricht Enkes damaliger Trainer Andreas Bergmann über die furchtbare Tragödie, die Sensibilisierung der Gesellschaft für psychische Probleme und den immer größer werden Druck auf junge Spieler.

Anzeige
Hannover 96 gedenkt Robert Enke mit emotionalen Worten
News

Hannover: 96 gedenkt Enke mit emotionalen Worten

Am zehnten Todestag von Robert Enke hat Fußball-Zweitligist Hannover 96 mit emotionalen Worten an seinen ehemaligen Torhüter erinnert.

  • 10.11.2019
  • 13:10 Uhr

ran.de: Herr Bergmann, am 10. November 2019 jährt sich der Todestag von Robert Enke zum zehnten Mal. Sie waren bei Hannover 96 damals Cheftrainer und haben eng mit Enke zusammengearbeitet. Sein Selbstmord hat damals über alle Grenzen hinaus für große Erschütterung gesorgt. Mit welchen Gedanken blicken Sie heute auf diese traurigen Tage zurück?

Andreas Bergmann: "Das Ganze war natürlich sehr komplex. Es war eine bewegende Zeit, mit bleibenden, tiefen Eindrücken. Aber ich kann sagen, dass ich einen gesunden Umgang damit für mich gefunden habe. Es war damals eine unglaubliche Tragödie, bei der wir einen ganz besonderen Menschen auf extrem dramatische Weise verloren haben. Wir als Mannschaft mussten damals im Fokus der Öffentlichkeit den Spagat zwischen intimer Trauer und Professionalität schaffen - egal ob beim Training oder unseren Spielen in der Bundesliga. Das war verständlicherweise nicht einfach. Aber da gibt es kein richtig oder falsch - jeder trauert auf seine eigene Weise. Es war sehr schwer, sich wieder auf Fußball zu konzentrieren und dabei auch wieder Lust und Freude am Spiel zu entwickeln. Ich habe die Mannschaft darauf hingewiesen, dass Fußball Roberts Leidenschaft war und er sicherlich gewollt hätte, dass wir wieder unbeschwert spielen."

ran.de: Hatten Sie das Gefühl, dass diese Ansprachen bei der Mannschaft ankamen? Und wie haben die Spieler es angenommen?

Bergmann: "Die Tragödie hat uns damals alle in eine tiefe Ohnmacht gestürzt, aber alle haben versucht ihr Bestes zu gegeben! Der Fokus der Berichterstattung, jede Bewegung, jede Geste wurde von nun an ständig im Zusammenhang mit Roberts Tod gesehen. Ich kann mich noch an das 3:5 bei Borussia Mönchengladbach erinnern, als wir eigentlich ein insgesamt ordentliches Spiel gemacht, aber letztlich auch drei Eigentore erzielt haben. Dies wurde im Nachgang auf unsere Traumatisierung zurückgeführt. Ich will damit sagen, dass die Spieler damals bei jedem noch so kleinen Fehler immer wieder darauf angesprochen und reduziert wurden. Natürlich ist dann der Weg zur Normalität sehr schwer wenn du immer wieder darauf hingewiesen wirst und es so nicht aus dem Kopf bekommst. Wir wurden nicht in Ruhe gelassen."

ran.de: Robert Enkes Witwe Teresa hat in aktuellen Interviews erzählt, dass sie zu Hause mit ihm häufig über seine dunklen Gedanken gesprochen habe. Konnten Sie diese als sein Cheftrainer auch erkennen oder war das vielleicht auch mal Thema in Ihren Gesprächen mit dem Keeper?

Bergmann: "Ich habe im Nachgang natürlich schon nach Signalen gesucht, die mir hätten auffallen können. Aber es gab überhaupt keine Auffälligkeiten oder Hinweise in diese Richtung. Robert war ein ruhiger, interessierter, unglaublich reflektierter Mensch, der seine eigene Meinung hatte und auch vertrat. Es muss ihn eine unglaubliche Energie gekostet haben, dieses 'Versteckspiel' aufrechtzuerhalten. Denn Robert war zu dieser Zeit deutscher Nationalspieler und hat auch bei uns in Hannover seine Leistung gebracht. Sportlich war er also über jeden Zweifel erhaben. Und dann gab es eben auch die Seite in ihm, die ihn verzweifeln und seelisch so sehr leiden ließ. Am Ende hat er es dann einfach nicht mehr ausgehalten. Dass er krank und so verzweifelt war, habe ich nie gespürt."

ran.de: Wie hat dieses schlimme Ereignis Sie selbst als Mensch verändert?

Bergmann: "Ich habe gelernt, mir selbst nicht zu hohe Erwartungen aufzuerlegen. Ich lebe heute noch bewusster und fokussiere mich nicht nur auf ein Thema, nämlich den Fußball. Das Leben ist vielschichtiger und bietet so viel mehr. Und mir ist vor allem klar geworden, wie wichtig die seelische Gesundheit für uns Menschen ist. In unserer Gesellschaft versuchen wir ja sehr häufig, unsere Zweifel und Ängste zu verstecken, wollen keine Schwäche zeigen, funktionieren. Psychische Störungen wie die Depression sind häufig noch ein Tabu-Thema und allgemein noch nicht wirklich anerkannt, obwohl es jeden treffen kann. Es ist eine Krankheit und sie ist vor allem behandel- und oft auch heilbar. Das sollte jeder wissen und es sollte meiner Meinung nach auch selbstverständlich sein, mit psychischen 'Verletzungen' offen umgehen zu können. Man sollte keine Angst vor gesellschaftlichen Vorurteilen haben, auch wenn ich weiß, dass es diese immer noch gibt."

ran.de: Haben die Erlebnisse auch zu einem Umdenken bei Ihnen als Trainer geführt? Sind Sie dann anders mit Ihren Spielern umgegangen? Wird man sensibler?

Bergmann: "Für mich ist Kommunikation wichtig und ich habe auch damals sehr viel mit meinen Spielern gesprochen, denn ich wollte von ihnen auch immer eine ehrliche Rückmeldung haben. Denn wenn man etwas erreichen will, geht das nur gemeinsam und wenn man miteinander spricht. Ich kann mich noch erinnern, dass bei meinen ersten Trainingseinheiten mit der Mannschaft getitelt wurde: 'Bergmann kuschelt die Krise weg.' Ich glaube, dass die Spieler nur dann optimale Leistung bringen können, wenn sie verstehen und mitdenken, also beteiligt sind. Eine Atmosphäre, die Lust und Leidenschaft für den Fußball zulässt, ist Voraussetzung! Von daher fühle ich mich in meiner Art und Weise des Umgangs durch diese Tragödie eigentlich eher bestätigt."

ran.de: Das Thema "Depression" stand auf einmal mächtig im Fokus, für sämtliche Verantwortliche war klar, dass sich im Profifußball etwas ändern muss. Ist das aus Ihrer Sicht auch passiert? Wie sehen Sie die Entwicklungen der vergangenen Jahre?

Bergmann: "Teresa und Robert wussten damals nicht, an wen sie sich mit seiner Krankheit wenden sollten. Mittlerweile gibt es, auch dank der 'Robert-Enke-Stiftung', sehr viele Anlaufstellen. Allerdings ist es im Leistungssport aus meiner Sicht immer noch schwierig, offen damit umzugehen. Es hat über die Jahre allerdings schon eine Sensibilisierung auch in den Vereinen stattgefunden und es gibt mittlerweile viele Experten, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Da hat sich im Hintergrund ein Netzwerk gebildet, bei dem man professionelle Hilfe findet. Die Versorgung für die betroffenen Spieler und deren Umfeld hat sich verbessert. Teresa und die 'Robert-Enke-Stiftung' leisten hier eine tolle Arbeit."

ran.de: Wo gibt es aus Ihrer Sicht noch Verbesserungspotenzial?

Bergmann: "Fußballer sind Idole und Superstars, zu denen aufgesehen wird. Da ist kein Platz für Schwäche und Rücksicht. Es geht nach wie vor darum, besser zu sein als die anderen. Nur der Sieg zählt. Auf dem Punkt fit sein. Hinzu kommt der öffentliche Druck und mit Social Media ein Instrument, bei dem man oft auch anonym seine Meinung kundtun kann. Hämische Rhetoriken, Diffamierungen nehmen zu, nicht ab. Halbwahrheiten werden in die Welt gesetzt. Das ist aus meiner Sicht eine gefährliche Entwicklung. Die elementaren Anforderungen des Leistungssports werden sich nicht ändern - die Erwartungshaltung ist eher noch größer geworden. Umso wichtiger ist es eben für die Spieler zu wissen, dass es jetzt Anlaufstellen wie die 'Robert-Enke-Stiftung' gibt, bei der man gezielt Rat und Hilfe bekommt. Aber es ist noch nicht annähernd so, wie es sein sollte."

ran.de: Wo genau würden Sie ansetzen?

Bergmann: "Vor allem sollten wir präventiv auf die jungen Nachwuchsspieler einwirken und deren Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Es ist wichtig, ihnen die Gesetzmäßigkeiten dieses Fußball-Geschäfts zu erklären und sie darauf vorzubereiten, was auf sie zukommt. Die Schnelllebigkeit des Profifußball mit seinen Aufs und Abs richtig einzuordnen. Junge Spieler müssen lernen, ihre Leistung richtig einzuschätzen und nicht alles, was auf sie einprasselt, persönlich zu nehmen. Es darf bei den Spielern nicht das Gefühl aufkommen, nie zu genügen. Ein großer Teil von ihnen wird irgendwann erfahren, dass es nicht reicht. Ich halte es für falsch, wenn man sich im Leben nur auf ein einziges Thema fokussiert und man dann vielleicht scheitert und vor dem Nichts steht. Wobei 'scheitern' ein schlimmes Wort ist! Deshalb sollten sie sich auch für andere Dinge interessieren, um später Zufriedenheit auf anderer Ebene zu finden. Das Leben hat mehr Facetten als nur den Fußball."

ran.de: Glauben Sie, dass sich ein Spieler heute öffentlich zu seiner Depression bekennen, also dem Beispiel des englischen Nationalspielers Danny Rose folgen kann? Oder ist die Akzeptanz hierfür einfach noch nicht gegeben?

Bergmann: "Es wäre natürlich absolut wünschenswert, wenn weitere Spieler dem Beispiel von Danny Rose folgen könnten. Denn dieses Thema braucht definitiv mehr Aufmerksamkeit und muss selbstverständlicher werden. In der Realität ist es eher so, dass so ein Spieler viel zu sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen und bei jedem noch so kleinen Fehler nur noch auf seine Krankheit reduziert werden würde. So weit sind wir leider noch nicht. Es gibt noch kein Verständnis und keine Akzeptanz für diese Krankheit. Wichtig ist, dass Betroffene sich ihren Nächsten anvertrauen und rechtzeitig professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Eine Depression ist behandelbar und je früher sie erkannt wird um so besser."

Das Interview führte: Dominik Hechler

Du willst die wichtigsten Fußball-News, Videos und Daten direkt auf Deinem Smartphone? Dann hole Dir die neue ran-App mit Push-Notifications für Live-Events. Erhältlich im App-Store für Apple und Android.


© 2024 Seven.One Entertainment Group