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Europa rückt in weite Ferne

Anspruch im Himmel, Leistung im Keller: Das traurige Doppelleben der Hertha

  • Aktualisiert: 11.01.2021
  • 15:24 Uhr
  • ran.de
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© Getty Images

Nicht nur die Verantwortlichen haben sich in dieser Saison mehr von Hertha BSC erhofft. Auch Fans und Experten gingen aufgrund der namhaften Neuzugänge euphorisch in die neue Spielzeit. Kurz vor dem Hinrundenende ist der Abstand zur Abstiegszone deutlich geringer als der zu den Europapokal-Plätzen.

Berlin/München - Das neue Jahr startete vielversprechend, doch nur eine Woche später steht Hertha BSC wieder vor einem Scherbenhaufen.

Der 3:0-Sieg gegen den FC Schalke 04 zum Jahresauftakt der Bundesliga machte nicht nur den Hertha-Fans Mut, sondern auch Trainer Bruno Labbadia. "Ich hoffe, dass wir so weitermachen, dass wir die Konsequenz übernehmen", so der 54-Jährige nach dem Sieg bei "Sky". Spoiler: Sie machten es nicht.

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Denn unter eigentlich optimalen Bedingungen zerplatzten die Hoffnungen auf eine Trendwende nur einige Tage später. Beim Aufsteiger Arminia Bielefeld zeigte sich die Hertha wiederholt kampflos und unterlag mit 0:1. Einen "brutalen Rückschritt" nannte es Labbadia. 

Nach dem 15. Spieltag steht nun Platz zwölf zu Buche - neun Punkte Rückstand auf Europapokal-Platz sechs, nur fünf Zähler Puffer auf den Relegationsplatz. 

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Hertha-Profis lassen Kampf vermissen

Die niederschmetternde Analyse: "Wir haben einfach den Kampf nicht richtig angenommen", meinte Verteidiger Maximilian Mittelstädt. Und das beschreibt das Problem ziemlich genau. Individuelle Qualität macht noch lange keine gute Fußballmannschaft.

Lange versuchte Labbadia die Darbietungen noch mit dem Prozess des Zusammenfindens und Einspielens zu erklären. Doch nach 15 Spielen gilt das nicht mehr. Zu heftig sind die Rückschläge, zu deutlich die Niederlagen.

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Und trotzdem zeigten sich auch nach dem Rückschlag auf der Alm, wie groß die Hoffnungen auf mehr sind - oder vielmehr waren. "Wir haben vor allem die große Möglichkeit verpasst, den Anschluss nach vorne herzustellen", meinte Labbadia, der sonst als eher vorsichtiger Typ bekannt ist, was Zielsetzungen und Erwartungen angeht.

Aber was soll der Retter der vergangenen Saison mit drei Trainerwechseln auch anderes sagen? Der Wunsch nach mehr klingt zwar vermessen, ist auf der anderen Seite aber auch notwendig, wenn dein Verein im vergangenen Jahr über 100 Millionen Euro für neues Personal in die Hand genommen hat.

Millionen-Neuzugänge bleiben Leistung schuldig

Doch weder 25-Millionen-Mann Lucas Tousart noch 24-Millionen-Stürmer Krzysztof Piatek konnten die in sie gesetzten Erwartungen bisher erfüllen - zumindest nicht in zwei aufeinanderfolgenden Spielen. Auch Matheus Cunha und Jhon Cordoba - beide kosteten jeweils mehr als zehn Millionen Euro - können ihr Potenzial nicht vollumfänglich abrufen. Cunha ist derzeit verletzt, half der Hertha von allen Genannten aber noch am ehesten.

Das zeigt: Geld allein reicht nicht aus, um in der Bundesliga erfolgreich zu sein. 

Denn der "Alten Dame" fehlt es vor allem an einer stabilen Achse. Alexander Schwolow im Tor und auch Niklas Stark in der Abwehr können diese bilden, danach hört es aber auch schon auf. Zu wenig Identität, zu wenig Einsatz, zu viel Klein-klein. 

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Hertha auf dem Transfermarkt "handlungsfähiger" als andere Klubs

Am runden Tisch wird bereits über weitere Transfers gesprochen. Neue Spieler, die den alten Neuen dabei helfen, besser zu werden. Der neue Geschäftsführer Carsten Schmidt - erst seit Dezember auf dieser Position installiert - schloss Wintereinkäufe vor wenigen Woche nicht aus: "Unser gesamter Fokus gilt, mehr Fußballspiele zu gewinnen. Darauf ist die Organisation heiß."

Gleichzeitig verwies Finanz-Boss Ingo Schiller darauf, dass die Hertha im Vergleich zu anderen Bundesligisten "handlungsfähiger aufgrund der Kapitalausstattung" sei. Investor Lars Windhorst und seine "Tennor Holding" statteten den Verein 2019 bereits mit 224 Millionen Euro aus. Auch im vergangenen Jahr pumpte Windhorst weiter Geld in den Klub. Laut einem Bericht der "Bild" seien kurz vor Weihnachten frische 20 Millionen Euro investiert worden.

Raum für Verbesserung hat die Hertha eigentlich an allen Ecken und Ende - speziell aber in der Offensive.

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Gerüchteküche brodelt - aber sie brodelt zu sehr

Konkreter werden die Gerüchte um Papu Gomez von Atalanta Bergamo. Wie der "Corriere dello Sport" berichtet, stehen die Berliner bereits mit den Italienern in Kontakt. Fraglich ist dem Blatt zufolge, ob der offensive Mittelfeldspieler Italien verlassen will und die Hertha einen Kauf überhaupt stemmen könnte, weshalb auch eine halbjährige Leihe realistisch erscheint.

Sicher ist lediglich, dass der 32-Jährige bei Atalanta unter Trainer Gian Piero Gasperini keine Zukunft mehr hat. Gomez überwarf sich gleich doppelt mit dem Coach: Zunächst ignorierte der Argentinier bewusst eine taktische Anweisung und wurde wochenlang suspendiert, nach seiner Rückkehr sorgte er dann für einen Eklat, als er beim Spiel gegen Juventus Turin auf der Bank die Vereinshymne des Gegners mitsang. 

Gerücht Nummer zwei: Emmanuel Dennis vom FC Brügge, der ohne jeden Zweifel ein begnadeter Fußballer ist. Doch auch der Nigerianer zeigt Verhaltensauffälligkeiten. Beim Champions-League-Spiel gegen den BVB stand er nicht im Kader, weil er sich weigerte im Mannschaftsbus auf einem anderen Platz zu sitzen als sonst. 

Gerücht Nummer drei: Julian Draxler, der aber eigentlich lieber seinen dicken Vertrag (bis Sommer) bei Paris Saint-Germain aussitzen will. Der Nationalspieler ist ein paar Nullen mehr auf dem Gehaltscheck gewohnt und dürfte entsprechend nicht günstig sein. 

Allesamt Namen, die die individuelle Klasse in den Reihen der Berliner verstärken würden, wohl aber nicht das Teamgefüge. 

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Diskussionen um Labbadia nehmen Fahrt auf

Unterdessen wird auch über die Zukunft von Trainer Labbadia spekuliert. "Wir haben bewusst den Ansatz gewählt, dass wir die Lust aufs Gewinnen entwickeln müssen und weniger Angst vorm Verlieren haben dürfen", erklärte der erst während der Liga-Unterbrechung im April 2020 installierte Coach seinen Plan. Doch ist es nicht langsam zu spät, um immer noch zu entwickeln? 

Als Labbadia die Mannschaft im Frühjahr übernahm, stand Hertha auf Platz 13 - sechs Punkte vor dem Relegationsplatz, acht hinter den europäischen Rängen. Geändert hat sich wenig. Muss sich also wieder deutlich mehr ändern - auch auf der Trainerbank?

So oder so müssen sich die Verantwortlichen bei der Hertha in den nächsten Tagen Gedanken machen. Der "Big City Club" heißt in erster Linie immer noch so, weil er aus einer großen Stadt kommt, nicht weil er so überragenden Fußball spielt. 

Justin Werner

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