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FC Bayern und die Transfers: Michael Reschke bescheinigt dem FCB einen "auf Kante genähten" Kader
- Veröffentlicht: 02.09.2025
- 22:08 Uhr
- Tobias Hlusiak
Transfer-Experte Michael Reschke ordnet bei ran die Geschehnisse der abgelaufenen Wechselperiode ein. Dem FC Bayern attestiert er einen zu kleinen Kader, von den Aktivitäten anderer Bundesliga-Klubs ist er beeindruckt.
Michael Reschke gehört zu den profiliertesten Managern im deutschen Fußball. Als Nachfolger von Reiner Calmund bei Bayer Leverkusen war er unter anderem am Transfer des späteren Nationalspielers Simon Rolfes beteiligt, der heute die sportlichen Geschicke des Werksklubs leitet.
Anschließend war er als Technischer Direktor beim FC Bayern München und bei Schalke 04 für die Kaderplanung zuständig, für den VfB Stuttgart arbeitete er als Sportvorstand. Auch heute noch ist er ein ausgewiesener Fachmann für Transferfragen.
Im Interview mit ran bewertet der 67-Jährige die abgelaufene Transferperiode. Er nennt die Gewinner der Bundesliga auf dem Transfermarkt und geht auch auf die Probleme des FC Bayern ein.
ran: Eine ereignisreiche Transferperiode geht zu Ende. Sind Sie überrascht, dass auf den letzten Drücker so viel passiert ist oder ist das völlig normal?
Michael Reschke: Dieser Dominoeffekt war in den vergangenen Jahren schon zu beobachten. Wenn die Engländer in der Endphase des Transfersommers mächtig aktiv werden, hat das natürlich Auswirkungen auf den übrigen Markt. Meine Überraschung hat sich dementsprechend massiv in Grenzen gehalten.
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ran: Wie bewerten Sie die Sommer-Transferperiode aus Sicht der Bundesliga – geht die Entwicklung in die richtige Richtung?
Reschke: Ich finde eine solche Kategorisierung irreführend. Am Ende geht es doch schlicht und ergreifend darum, wie man jeden einzelnen Transfer bewertet – und zwar auf lange Sicht. Wie entwickeln sich die Spieler im Preis-Leistungs-Verhältnis und welche Konsequenzen haben sie dadurch auf die Performance der Vereine. Jetzt eine Grundabrechnung zu machen, ist unmöglich.
Reschke: "Was passiert nun mit diesen Einnahmen?"
ran: Trotzdem gibt es Strömungen, die auffällig sind…
Reschke: Die Engländer dominieren den Markt. Diese Entwicklung ist offenkundig. Um das zu erkennen, muss man nicht studiert haben. Mit dem Geld, das sie investieren, geben die Premier-League-Klubs den Takt vor. Vieles davon ist in diesem Sommer in die Bundesliga geflossen. Was passiert nun mit diesen Einnahmen? Das ist doch die Kardinalfrage.
ran: Die Bundesliga hat im nun vergangenen Transferfenster 660 Millionen Euro aus der Premier League erhalten. Ein geradezu absurder Wert. Welche Verpflichtungen bringt eine solche Summe mit sich?
Reschke: Es wird darauf ankommen, dieses Geld so effektiv wie möglich einzusetzen. Für eigene Transfers, Optimierung der Infrastruktur und – ganz entscheidend – Scouting und die eigene Nachwuchsförderung. Denn das sind die Bereiche, aus denen man langfristigen sportlichen Erfolg erwirtschaften kann. Für jeden Verein, egal wie gut er aktuell ist, muss es das Bestreben sein, intelligent zu scouten und den Nachwuchs zu verbessern. Dabei können hohe Transfereinnahmen entscheidend helfen.
ran: Gibt es weitere Konsequenzen aus der Transferperiode?
Reschke: Es wird sich deutlich auszahlen, vorausschauend zu arbeiten und frühzeitig Entscheidungen zu treffen. Welcher unserer Spieler ist sportlich top und somit interessant für englische Klubs und könnte uns mit hoher Wahrscheinlichkeit verlassen? Basierend auf diesem Wissen frühzeitig zu agieren und nicht nur zum Reagieren gezwungen werden, kann extrem helfen. Wir haben früher in meinen Klubs immer versucht, Verpflichtungen frühzeitig zu tätigen – auch wenn das etwas Risikobereitschaft erfordert – um eben vorbereitet zu sein.
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ran: Sind die Bundesligisten auf den entscheidenden Positionen gut genug aufgestellt, um die von Ihnen beschriebenen kreativen Lösungen zu finden?
Reschke: Derjenige, dem ich hier ein Urteil zutrauen würde, ist Hannes Wolf, der als Sportdirektor für Nachwuchs, Training und Entwicklung des DFB arbeitet. Er hat den Gesamtüberblick, den ich an dieser Stelle nicht bieten kann. Ich habe aber den Eindruck, dass sich die Überzeugung zur individuell optimalen Förderung der talentiertesten Spieler in der Bundesliga immer nachdrücklicher durchsetzt. Die Vereine sind auf einem sehr bewussten Weg. Es ist ein Prozess, den Ausbildungsgedanken in den Vordergrund zu stellen und wegzukommen von der Ergebnisorientierung.
Reschke: "Die Bundesliga ist keine Ausbildungsliga"
ran: Wenn man sich die Menge der Wechsel nach England beispielsweise anschaut, drängt sich die Frage auf, ob die Bundesliga zu einer Art Ausbildungsliga geworden ist. Wie sehen Sie das?
Reschke: Die Bundesliga ist keine Ausbildungsliga. Ganz im Gegenteil. Die Bundesliga ist eine hervorragend funktionierende Liga. Ich war am vergangenen Sonntag im Stadion und habe mir Köln gegen Freiburg angesehen. Da spielten also zwei Mannschaften, die definitiv nicht im Verdacht stehen, in absehbarer Zukunft die Champions League zu gewinnen oder auch nur um die Deutsche Meisterschaft mitzuspielen. Wenn ich aber die Euphorie und Begeisterung der Fans sehe, übrigens in nahezu allen anderen Bundesliga-Stadien und auch in der zweiten und dritten Liga, dann halte ich das für einzigartig in Europa. Die Bedeutung und Identifikationskraft, die die Klubs in Ihren Region entfachen, ist gerade in der heutigen Zeit sehr wertvoll und definitiv nicht davon abhängig, ob ein paar Spieler nach England wechseln.
Dass die Premier League sportlich und wirtschaftlich auf einer anderen Ebene spielt, ist klar. Die Verantwortlichen dort haben in den vergangenen Jahren viel richtig gemacht. Zudem schafft die dortige Eigentümer-Struktur extreme wirtschaftliche Vorteile. Wenn die Bundesliga am Ende des Tages die zweit- oder drittstärkste Liga in Europa ist, dann ist das doch hervorragend.
ran: Ist es dann eher eine Auszeichnung, dass mit weitem Abstand das meiste Geld aus England nach Deutschland geflossen ist? Frankreich (400 Mio. Euro) und Italien (300 Mio.) haben deutlich weniger eingenommen.
Reschke: Exakt. Wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen. Die Bundesliga lebt – und zwar sehr gut.
Reschke: "Großes Kompliment an Thomas Kessler und sein Management"
ran: Welcher Verein hat sich Ihrer Meinung nach auf dem Transfermarkt die beste Note verdient?
Reschke: Ich habe den 1. FC Köln im Mai in der zweiten Liga beim 1:1 gegen Regensburg gesehen. Danach wollten viele Fans zum Augenarzt. Glücklicherweise folgte dann ja dank Friedhelm Funkel doch noch der Aufstieg. Seitdem wurde das Team sehr geschickt verstärkt und mit Lukas Kwasniok ein sehr guter Trainer verpflichtet. Da muss man dem Management um Thomas Kessler ein großes Kompliment aussprechen. Der FC macht im Moment richtig Freude. Eintracht Frankfurt hat eine Transfer-Philosophie, die in ganz Europa für Respekt sorgt.
Es gibt für mich in der Bundesliga aber zwei Personalien, die ich besonders herausheben möchte. Dass Christian Heidel in Mainz Nelson Weiper verlängert hat und Thomas Kessler in Köln mit Said El Mala das gleiche gelungen ist, wird sich für beide Klubs sportlich und vermutlich in Zukunft wirtschaftlich extrem auszahlen. Mir geht dies im allgemeinen Transfergeraune zu sehr unter. Solche Vertragsverlängerungen sind mindestens genauso wichtig, wie ein Top-Transfer. Großes Lob an beide Vereine, die Verantwortlichen, aber auch an die beiden Jungs, die sich zu ihren Jugendklubs bekannt haben, obwohl sie andere interessante Alternativen hatten. Absolut top.
Bayern? "Der Kader ist im Hinblick auf seine internationalen Ambitionen auf Kante genäht"
ran: Rund um den FC Bayern gab es natürlich wieder viel Aufruhr. Am Ende wurde nun doch Nicolas Jackson verpflichtet. Herausgekommen ist eine kostspielige Leihe samt Kaufpflicht. Aus Ihrer Sicht ein guter Deal?
Reschke: Für ein komplettes Urteil fehlt mir der gesamtwirtschaftliche Einblick in den Transfer und ich kann auch Jackson nicht gut genug einschätzen. Fakt ist, dass Bayern München selbst nach diesem Transfer in der Spitze des Kaders sehr dünn aufgestellt ist. Natürlich kommen in der entscheidenden zweiten Phase der Saison drei derzeit verletzte Leistungsträger zurück (Jamal Musiala, Alphonso Davies und Hiroki Ito; Anm. d. Red.). Aber der Kader ist grade im Hinblick auf seine internationalen Ambitionen auf Kante genäht.
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ran: Der Rekordmeister musste einige Absagen einstecken. Florian Wirtz und Nico Williams entschieden sich anders. Auch eine Verpflichtung von Nick Woltemade hat am Ende nicht geklappt. Kann der FC Bayern ganz oben nicht mehr mitfischen?
Reschke: An Florian Wirtz waren von den besten zehn Klubs in Europa mindestens acht interessiert und Bayern München zählte zu den beiden letzten Kandidaten. Woltemade wäre ja sogar liebend gerne nach München gewechselt. Dass die Bayern sich mit dem VfB Stuttgart, obwohl sie bereit gewesen wären eine hohe Ablöse zu bezahlen, nicht auf eine Transferlösung einigen konnten, ist natürlich bitter. Das sind aber keine klassischen Niederlagen und erst recht kein Anzeichen dafür, dass man den Anschluss an die internationale Spitze verloren hat. Der FC Bayern ist der deutsche Klub, der mit der europäischen Spitze mithalten kann - auch mit der Spitze der Premier League.
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ran: Der Transfer von Nick Woltemade springt ins Auge. Waren Sie überrascht, dass so viel Geld geflossen ist, um ihn nach England zu holen?
Reschke: Dieser Wechsel beruht auf einem klassischen Domino-Effekt. Als sich der Abgang von Alexander Isak bei Newcastle United abzeichnete, musste der Klub reagieren und hat dann viel Geld in Nick investiert, weil sie ihm sportlich extrem viel zutrauen. Rund 90 Millionen ist mächtig, aber Woltemade ist auch ein klasse Spieler mit außergewöhnlichen Qualitäten. Wenn er seine Physis und sein Kopfballspiel noch weiterentwickelt, wird er ein internationaler Top-Stürmer. Solche Jungs haben halt ihren Wert. Für Newcastle ist Nick ein spannendes Investment in die Zukunft.