Champions League
Pep Guardiola und Thomas Tuchel: Zwei Super-Hirne verändern die Fußballwelt
- Aktualisiert: 11.04.2023
- 14:53 Uhr
- ran.de
Das Champions-League-Spiel zwischen Manchester City und dem FC Bayern ist vor allem auch das Duell zwischen Pep Guardiola und Thomas Tuchel. Die beiden Trainer gelten als Genies ihres Fachs, deren Verhältnis zueinander schon beinahe ein Mythos geworden ist.
Aus Manchester berichtet Stefan Kumberger
Rein optisch könnten Pep Guardiola und Thomas Tuchel nicht unterschiedlicher sein. Der City-Trainer tritt stets adrett auf. Seine eng geschnittenen Anzüge, die teuren Rollkragenpullover und glänzenden Schuhe lassen ihn stets weltmännisch wirken. Die Kleidung als Spiegel seiner Idee vom Fußball: Elegant, virtuos, durchdacht.
Der Bayern-Trainer tritt an der Seitenlinie dagegen eher locker auf. Trainingsanzug und eine etwas schlaff auf dem Kopf sitzende Kappe des Ausrüsters sind in München die Markenzeichen von Thomas Tuchel geworden. Spitze Zungen vergleichen ihn in diesem Punkt bereits mit Otto Rehhagel, der fast ausschließlich in "Ballonseide" zu sehen war. Doch der Schein trügt.
Am Dienstagabend (ab 21 Uhr im Liveticker) treffen an der Seitenlinie zwei Männer aufeinander, die das gleiche Verständnis von ihrer Arbeit haben. Ihre Gehirne scheinen sich oft im gleichen Takt zu bewegen. Sie sind Brüder im Geiste.
Guardiola und Tuchel: "Verdammt viele Gemeinsamkeiten!"
Einer der ganz genau weiß, wie beide ticken, ist Michael Reschke. Der ehemalige Technische Direktor des FC Bayern sagt im Gespräch mit ran: "Es gibt verdammt viele Gemeinsamkeiten. Beide sind sehr strukturiert und bereiten sich sehr detailversessen und strategisch auf solche Spiele vor. Beide haben eine klare, offensive Spielidee, in der ihre jeweiligen Mannschaften Dominanz ausüben sollen."
Dass beide Fußball-Philosophen zueinander gefunden haben, ist auch das Verdienst von Reschke. Er brachte Guardiola und Tuchel einst an einen Tisch. Es war ein Abend im Jahr 2015, der mittlerweile fast mythisch verklärt wird.
Rückblick: Guardiola gilt damals als bester Trainer der Welt. Tuchel befindet sich zu dieser Zeit in einem Sabbatjahr. Er will sich nach seiner Zeit bei Mainz 05 erholen - und lernen. Da ist er beim katalanischen Fußballgenie genau richtig.
Schauplatz: Das "Schumann's" am Odeonsplatz. Dort also, wo München so ist, wie sich Nicht-Münchner die bayerische Landeshauptstadt vorstellen. Ein wenig snobistisch und leicht abgehoben. Eine Bar, in der erstmal "alles reserviert" ist, ehe man als für würdig befunden wird, Platz zu nehmen.
Der Inhaber und Namensgeber ist nicht nur Gastronom, sondern auch Model, Autor und Erfinder des Cocktails "Swimming Pool". Insgesamt also der perfekte Ort für zwei Fußball-Schöngeister.
Michael Reschke arrangiert 2015 ein legendäres Treffen
Reschke bringt Tuchel und Guardiola zusammen. Der Legende nach fangen beide Feuer füreinander. Sie schieben Salzstreuer umher, die sich vor ihren Augen in Spieler verwandeln. Weingläser kommen hinzu. Der Katalane erklärt dem damals 42-jährigen Tuchel, warum er in einem Spiel gegen Gladbach mit Vierer- und nicht mit Dreierkette agierte.
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"Er hat es mir erklärt, und ich habe das Glas genommen und gesagt: Aber die spielen doch so", erzählte Tuchel Jahre später in einem Interview mit der "Sport-Bild".
"Er hat es verschoben und gesagt: Nein, dieser Spieler muss da stehen und dieser auf jeden Fall hier", so Tuchel weiter: "Und ich habe das alles aufgesogen und gespürt, mit welcher Intensität, Detailverliebtheit und Überzeugung er coacht und welchen Erfahrungsschatz er hat."
Selbst Peter Hermann staunte über Tuchel und Guardiola
Zwei Fußball-Vordenker unter sich. Selbst den Mann, der das Treffen damals arrangierte, vergaßen die beiden während ihrer fast fiebrigen Diskussion. Reschke sagt heute: "Es ist vielleicht eine gewagte These, aber ich glaube, dass es in den letzten Jahren nicht viele Gespräche über Fußball gegeben hat, die auf diesem Niveau stattgefunden haben, wie das damals bei den beiden war."
Heute ist der 65-Jährige in einer namhaften Spielerberatungsagentur tätig. Er ist immer noch fasziniert, von der fachlichen Tiefe des Treffens und verrät gegenüber ran, dass es noch ein zweites Mal einen intensiven Austausch gab. Mit dabei: Peter Hermann, die Co-Trainerlegende, die noch bis Dezember 2022 in Dortmund aktiv war und viele erfolgreiche Jahre beim FC Bayern erlebte.
Reschke erinnert sich: "Ich weiß noch, wie mich Peter am Tag darauf anrief und sagte: 'Michael, ich wollte mich bedanken. Was für ein fantastischer Abend! Ich habe jetzt nochmal etwas dazugelernt. Ich habe nochmal eine neue Sicht auf viele Details bekommen.'"
Bezeichnend, dass selbst Hermann, der bereits unter vielen Top-Trainern erfolgreich arbeitete, sich von Tuchel und Guardiola mitreißen ließ. "Die Aussagen von Peter damals sprechen Bände", erklärt Reschke.
Thomas Tuchel blieb lang in Guardiolas Schatten
Im Nachhinein hatten die Gespräche Tuchel aber offenbar mehr fasziniert als Guardiola. Von einem Reporter-Urgestein während einer Pressekonferenz auf das legendäre Treffen angesprochen, zischte Guardiola nur: "Das ist privat".
Das klang nicht so, als hätte der Katalane sein Gegenüber auf Augenhöhe gesehen. Zumindest wollte er nicht mit leuchtenden Augen von diesem Treffen berichten. Noch war er der Mentor.
Für Tuchel, der später sehr gerne von diesem legendären Austausch erzählte, war es dagegen womöglich die Initialzündung zu einer großen Trainerkarriere. Vielleicht beschloss er an jenen Abenden, ein Coach von Weltformat werden zu wollen.
Er lebte - wie Guardiola in dessen arbeitsfreier Phase vor dem Engagement bei Bayern - einige Zeit in New York und ließ sich dort für das "Zeit Magazin Mann" in modischer Kleidung ablichten.
Es wurde deutlich: Tuchel wollte ab sofort eine Marke werden. Und er wurde es - auch in Spielen gegen Guardiola. Doch bevor der 49-Jährige in den Trainer-Olymp vorgelassen wurde, musste er einen Tiefschlag hinnehmen.
In seiner ersten Partie mit dem BVB gegen Peps Bayern im Oktober 2015, wurde Tuchels Team regelrecht zerlegt. 5:1 für den Rekordmeister hieß es am Ende. Die Dortmunder wirkten über die gesamten 90 Minuten wie kleine Buben, die kopflos ins Verderben rennen. Und ihr Trainer vermochte es nicht, ihnen zu helfen.
Tuchel befand sich noch im Fan-Modus, keine Spur von Augenhöhe mit Guardiola: "Die Bayern haben auf einem Level gespielt, das vielleicht so in Deutschland noch nicht gespielt wurde. Die erreichen gerade eine neue Stufe und es ist eine Inspiration, da zuzuschauen und sich selbst dadurch weiterzuentwickeln", sagte der damals 42-Jährige nach der Klatsche.
Tuchel stellte bald Augenhöhe mit Pep her
"Aus meiner Sicht ist Pep Guardiola derjenige, der den Fußball in den letzten Jahren am meisten in einer extrem positiven Art beeinflusst hat. Ich glaube, dass es Generationen von Trainern und Spielern gibt, die von der Zusammenarbeit – oder auch nur dem Beobachten – sehr profitiert haben", sagt Reschke heute.
Und genauso machte es Tuchel. Er beobachtete, lernte und lieferte schließlich. Es folgten ein 0:0 in Dortmund und ein packendes Pokalfinale 2016, das Tuchel und seine Schwarz-Gelben erst im Elfmeterschießen verloren.
In England beim FC Chelsea gewann der heutige Bayern-Trainer dann schließlich erstmals die Oberhand über Guardiola. Sieg im Halbfinale des FA Cup (1:0), Sieg in der Premier League (2:1) und als Krönung der Triumph im Champions-League-Finale 2021 (1:0).
Guardiola schickte seine Mannschaft damals ohne echten Stürmer, ohne Fernandinho und auch ohne Rodri aufs Feld und verzockte sich. "Über die Personalie waren wir überrascht. In 46 der 47 Spiele zuvor war immer einer von ihnen auf dem Feld", sagte Tuchel später. Und trotzdem siegte der Deutsche. Endlich Augenhöhe!
"Mittlerweile ist eines klar: Thomas Tuchel steht nicht in irgendeinem Schatten von Guardiola. Er zählt zu den Top-Trainern der Welt und ist in einer Riege mit Pep, Carlo Ancelotti und Jürgen Klopp angekommen. Das ist überhaupt keine Frage", lobt Reschke den Bayern-Trainer im Gespräch mit ran.
Schöngeist Pep vs. Pragmatiker Tuchel
Dass die letzten zwei Duelle der Top-Trainer beide an Pep Guardiola gingen, mag vermutlich am allgemeinen Chaos liegen, das den FC Chelsea seit mehreren Monaten umgibt. Tuchel dürfte die beiden 0:1-Pleiten daher schnell aus seinem Kopf wischen können. In der anstehenden Partie sind die Karten völlig neu gemischt, die Dinge liegen anders.
"Ich persönlich ziehe keine Schlüsse aus den vorherigen Duellen", sagte Tuchel auf der Abschlusspressekonferenz am Montagabend auf ran-Nachfrage. Er wolle sich in der Analyse nur auf die letzten vier Wochen von Manchester City konzentrieren.
Und dann wurde Tuchel deutlich. Zwar habe er ein besonderes Verhältnis zu Guardiola und lerne von ihm, aber: "Sie dürfen das nicht verwechseln. Ich bin kein Fanboy!" Da ist sie, die klare Ansage. Tuchel hat auch aus seiner Sicht Augenhöhe erreicht. Er ist nicht länger nur der Schüler des Katalanen.
Es spricht viel dafür, dass der Bayern-Trainer sich am Dienstagabend vor allem auf eine sichere Defensive setzen wird. Denn das ist es auch, was ihn dann doch auch im Geiste von Guardiola unterscheidet.
"Thomas ist ähnlich gelagert wie Pep, aber ein Tick mehr Pragmatiker. Am Ende des Tages ist für ihn auch das nackte Resultat von entscheidender Bedeutung. Er ist auch mal bereit, der Defensive und dem Spiel gegen den Ball mehr Aufmerksamkeit zu widmen", sagt Reschke. Das unterscheide ihn ein wenig vom stets offensiv denkenden Guardiola.
Egal wer in den beiden Viertelfinal-Spielen die Oberhand behält, eines ist klar: Tuchel und Guardiola werden die kommenden Jahre des europäischen Fußballs prägen. Sie sind die taktischen Super-Hirne, deren beide legendäre Gespräche die Fußballwelt ein wenig besser gemacht haben dürften.