Adler im Exklusivinterview
ranFussball-Experte Rene Adler zu RB Leipzig: "Nagelsmann ist der X-Faktor"
- Aktualisiert: 18.08.2020
- 23:04 Uhr
Er ist in Leipzig geboren und aufgewachsen, kennt die Stadt, ihre Menschen und natürlich auch ihre Fußballklubs wie seine Westentasche: ranFussball-Experte Rene Adler. Mit "ran.de" spricht der ehemalige deutsche Nationalkeeper vor dem Champions-League-Halbfinale der "Roten Bullen" gegen Paris St. Germain (Die., ab 20:30 Uhr im Liveticker auf ran.de) unter anderem über die Entwicklung dieses Vereins, die Wirkung auf Stadt und Menschen in seiner Heimat und warum Julian Nagelsmann und Co. durchaus vom Finale der Königsklasse träumen dürfen.
ran.de: Herr Adler, welche Gefühle kommen in Ihnen hoch, wenn Sie sehen, dass mit RB Leipzig ein Verein aus Ihrer Heimatstadt zum ersten Mal in der Geschichte in einem Champions-League-Halbfinale spielt? (Die., ab 20:30 Uhr im Liveticker auf ran.de)
Rene Adler: "Ich bin natürlich genauso wie die meisten Leipziger ein Stück weit Fan dieser Mannschaft und somit auch sehr stolz auf diesen Erfolg. Ich war zum Zeitpunkt des Viertelfinals gegen Atletico Madrid gerade mal wieder in der Heimat, habe das Spiel gemeinsam mit meinem Vater auf der Couch verfolgt und gemerkt, wie gefühlt die ganze Stadt mit der Mannschaft mitgefiebert hat. Als meine Mutter gegen Ende des Spiels nochmal mit den Hunden draußen war und das 2:1 für Leipzig fiel, kamen laut ihren Erzählungen aus sämtlichen Häusern Jubelschreie. Das spricht schon für sich."
ran.de: Wie wird dieser Erfolg in Leipzig von den Menschen aufgenommen?
Adler: "Ich kann da jetzt nur für meine Familie und meine Freunde sprechen, aber da wird RB Leipzig durchweg positiv aufgenommen. Die Sehnsucht nach richtig gutem Fußball war in dieser Stadt über viele Jahre hinweg so groß, dass viele einfach nur froh sind, diesen Verein jetzt dort zu haben. Natürlich gibt es nach wie vor auch viele Kritiker, die RB vor allem fehlende Tradition vorwerfen – aber die muss ja auch irgendwann erst einmal angefangen werden. Und RB ist gerade dabei, seine eigene Geschichte zu schreiben. Ich habe selbst mal dort hospitiert und weiß somit, wie innovativ und mit welcher unglaublichen Geschwindigkeit dort gearbeitet wird. Jeder Schritt in diesem Verein ist genau geplant, nichts wird dem Zufall überlassen. Selbstverständlich wurde in all den Jahren auch sehr viel Geld investiert, aber es braucht auch Leute, die kluge Entscheidungen damit treffen. Das ist in Leipzig definitiv der Fall. Mein Vater ist für mich das beste Beispiel: Er kennt noch die alten Lok Leipzig-Zeiten und heute folgt er bei Instagram fast jedem RB-Spieler. So viel dazu, wie der Klub in der Stadt von den Menschen angenommen wird."
ran.de: Inwiefern ist der Klub RB Leipzig nach anfänglicher Skepsis in der Stadt nun doch richtig dort angekommen? Wie werden die "Roten Bullen" von den Leipzigern wahrgenommen?
Adler: "Ich wohne seit nunmehr 20 Jahren nicht mehr in Leipzig, aber aus meiner Perspektive von außen betrachtet würde ich sagen, dass RB Leipzig ganz klar in dieser Stadt angekommen ist. Es sind, soweit ich das beurteilen kann, nur noch die wenigsten, die zu Lok Leipzig oder Chemie Leipzig ins Stadion gehen, der Großteil, so wie mein persönliches Umfeld, gehen ins Stadion zu RB. Sie alle wollen guten, hochklassigen Fußball sehen, die Kinder ihren Idolen aus dem Fernsehen zujubeln. Das Halbfinale in der Champions League ist jetzt auch eine absolute Bestätigung der Arbeit und der Leidenschaft, die die Verantwortlichen in diesen Klub stecken. Und ich bin mir sicher, dass dieser Erfolg nochmal eine ganze Menge neuer Fans ziehen und dem Verein noch mehr Respekt einbringen wird."
ran.de: Was halten Sie persönlich von diesem Konstrukt RB Leipzig?
Adler: "Zunächst einmal ist es ja völlig legitim und rechtlich zulässig, einen Verein zu gründen, wie es RB Leipzig im Jahr 2009 gemacht hat. Und vor allem der Standort passt aus meiner Sicht wie die Faust aufs Auge und hätte nicht cleverer gewählt werden können. Sie nutzen beispielsweise die, aus der DDR-Zeit, bereits vorhandenen Sportstrukturen und das Talente-Pool. Ich selbst musste mit 15 Jahren von zu Hause weg gehen, um meine Karriere weiter voran zu treiben. Heute könnte ich einfach zu RB Leipzig gehen. Und genau so machen es die aktuellen Talente ja auch, das Einzugsgebiet von RB geht ja fast bis nach Berlin. Dieses ganze Projekt ist von der Umsetzung her hochprofessionell und für den neutralen Leipziger Fußballfan das Beste, was passieren konnte. Wie gesagt, die Stadt und die Menschen haben eine gefühlte Ewigkeit auf guten, professionellen Fußball in Leipzig gewartet. Ich selbst kann mich noch an 1993 erinnern, als ich als kleiner Junge im Stadion und später auf dem Marktplatz den Bundesliga-Aufstieg des VfB Leipzig in die Bundesliga gefeiert habe und mächtig stolz war. Ein Jahr später sind wir wieder abgestiegen und in der Folge immer weiter durchgereicht worden. Und heute steht ein Leipziger Verein im Halbfinale der Königsklasse."
ran.de: 2009 noch in der Oberliga, heute im Champions-League-Halbfinale. Wenn Sie die Entwicklung von RB Leipzig mit nur einem Wort beschreiben müssten, welches wäre das?
Adler: "Herausragend."
ran.de: Warum?
Adler: "Die Planung und die Umsetzung dieses 'Projekts' RB Leipzig sind einfach perfekt. Wenn ich da als Beispiel nur an das Scouting denke: Ein Yussuf Poulsen hat mit RB schon in der Dritten Liga gespielt, heute spielt er im Halbfinale der Champions League und ist bei Leipzig ein Führungsspieler. Natürlich sind bislang unheimlich viel finanzielle Mittel investiert worden, aber damit wurden gleichzeitig auch unglaubliche (Spieler-)Werte geschaffen. Man schaue sich zum Vergleich nur Manchester United oder den FC Barcelona an. Auch dort wurden zig Millionen investiert, im Moment ohne Erfolg. RB hat bisher immer Spieler geholt, die Potenzial haben. Ich denke da unter anderem an Dayot Upamecano, Lukas Klostermann, Emil Forsberg, Dani Olmo, Marcel Halstenberg, Marcel Sabitzer oder Konrad Laimer. Dieser Klub hat ein klares Leistungsumfeld, einen klaren Plan und will sich immer und auf allen Ebenen verbessern, nie stehen bleiben. Stillstand und Zufriedenheit gibt es dort nicht, das Ziel ist immer den nächsten Schritt zu machen."
ran.de: Was macht die "Roten Bullen" vor allem in dieser Saison so erfolgreich?
Adler: "Nach einer überragenden Hinrunde mit der Herbstmeisterschaft, folgte sportlich eine etwas durchwachsene Rückserie, an deren Ende aber immerhin noch ein Champions-League-Platz stand. Was mir dabei aber immer gefallen hat, ist, dass Trainer Julian Nagelsmann allen Widrigkeiten der Rückrunde zum Trotz nach außen hin selbstbewusst immer an seinem Ziel, die deutsche Meisterschaft gewinnen zu wollen, festgehalten hat. Am Ende hat es zwar nicht gereicht. Sie haben wie gesagt insgesamt eine ordentliche Runde gespielt, aber sicherlich noch Luft nach oben. Es wäre vielleicht ein bisschen mehr drin gewesen, das weiß Nagelsmann auch. Deswegen hat er ja auch sein ehrgeiziges Ziel bis zum Ende nicht aus den Augen verloren. Der nächste Schritt in der Entwicklung muss nun sein, auch mal die Spiele zu gewinnen, in denen man selbst schlecht spielt, sowie Topspiele wie gegen den FC Bayern für sich zu entscheiden. Das gilt für die Liga. In der Champions League haben sie, dank Nagelsmann, in meinen Augen bereits einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Von der reinen Kontermannschaft, zu einem Ballbesitz-Team. Das ist für mich auch der Inbegriff des modernen Fußballs: Ballbesitz und bei Ballverlust, sofort ins Gegenpressing gehen. Und: Gegen Atletico standen nur Männer auf dem Platz. Sie haben dem vielleicht härtesten Team der Welt den Schneid abgekauft. Das war schon unglaublich zu beobachten, wie krass die Jungs in diesem Spiel dagegengehalten haben. Also auch da, in Sachen Einstellung und Körpersprache, ist RB ein ganzes Stück weitergekommen."
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ran.de: Selbst der Abgang von Top-Torjäger Timo Werner scheint den Leipzigern nichts auszumachen – beim 2:1-Sieg gegen Atletico Madrid war er ja schon nicht mehr dabei. Was sagt das über dieses Team aus?
Adler: "So ein Abgang ist ja auch immer eine Chance für andere Spieler, ins Rampenlicht zu treten. Ein Yussuf Poulsen zum Beispiel ist zwar ein ganz anderer Spielertyp als Timo Werner, aber aufgrund seiner Präsenz und seiner Arbeit für die Mannschaft, mindestens genauso wichtig. Er läuft unentwegt die Gegner an, kreiert Chancen, erarbeitet Räume und ist vor allem bei langen, hohen Bällen klarer Zielspieler. Die Jungs können sich jetzt nicht mehr verstecken, sie müssen sich zeigen. Ich hatte zum Beispiel große Freude, als ich gesehen habe, wie sich der kleine Kevin Kampl gegen Atletico in wirklich jedes Kopfball-Duell geschmissen hat. Ohne Rücksicht auf Verluste. Oder wie stark sich ein Marcel Sabitzer entwickelt hat. So oder so: Die Jungs gehen jetzt mit viel Dynamik und Rückenwind ins Halbfinale gegen Paris."
ran.de: Welchen Anteil hat Coach Julian Nagelsmann an diesem Erfolg?
Adler: "Man sieht genau, was er fordert. Die Spieler müssen sein Spiel leben, sich damit auseinandersetzen. Für mich ist er schon so ein bisschen der X-Faktor und vielleicht sogar eine wichtigere Verpflichtung, als so mancher Spielertransfer in den vergangenen Jahren."
ran.de: Im deutschen Trainer-Duell geht es im Halbfinale der Königsklasse für Nagelsmann und Leipzig nun gegen Thomas Tuchel und Paris St. Germain. Ein sportliches Duell auf Augenhöhe oder ist RB krasser Außenseiter?
Adler: "Mit alle den großen Namen im Kader, ist Paris St.-Germain für mich schon der klare Favorit. Das war Manchester City gegen Olympique Lyon aber auch. Doch Lyon hat in diesem einem Spiel alles rausgehauen und vor allem füreinader gespielt und gekämpft – und das ist das Entscheidende und kann in nur einem K.o.-Spiel den Unterschied machen und vielleicht sogar wichtiger sein, als spielerische Klasse. Die Einstellung und der Kampfeswille spielen eine enorme Rolle."
ran.de: Was muss Leipzig machen, um gegen Paris eine Chance zu haben?
Adler: "Paris ist eine brutale Kontermannschaft, so dass sich Leipzig keine Ballverluste in der gefährlichen Zone leisten darf. Denn vor allem mit Kylian Mbappe und Neymar haben sie unglaubliches Tempo in der Offensive. Und RB selbst muss bei Ballgewinn schnell umschalten, um so die mögliche Unordnung in der Pariser Hintermannschaft auszunutzen."
ran.de: Wie geht man als Gegenspieler mit der Theatralik eines Neymar um?
Adler: "Bei aller Emotion – und da kann man von Neymars Spielchen ja halten was man will – muss man einfach versuchen, ruhig zu bleiben und weg zu gehen, wenn es denn wirklich mal zu einer direkten Konfrontation mit ihm kommt. Denn das Credo lautet: Beende das Spiel zu elft, lass' dich zu nichts hinreißen. Allerdings sind ja vor allem die Leipziger Außenverteidiger Lukas Klostermann und Marcel Halstenberg nicht unbedingt dafür bekannt, Heißsporne zu sein. Das ist in diesem Fall auch gut so."
ran.de: Und was geht einem als Torwart vor einem Aufeinandertreffen mit Torjägern wie Kylian Mbappe und Neymar durch den Kopf? Wie bereitet man sich das vor?
Adler: "Ehrlich gesagt nicht anders, als bei jedem anderen Stürmer auch. Man macht Videoanalysen, schaut sich sämtliche Elfmeter oder Freistöße nochmal an und schaut, welchen Fuß er im Eins-gegen-eins meistens nimmt – wobei genau das bei Neymar sehr schwer ist, da er der vielleicht trickreichste Spieler in solchen Situationen auf der ganzen Welt ist. Unter dem Strich ist es aus meiner Sicht wichtig, seine Routine zu behalten und nichts anders machen zu wollen, ‚nur' weil es ein Champions-League-Halbfinale ist."
ran.de: Wie realistisch ist aus Ihrer Sicht ein rein deutsches Champions-League-Finale?
Adler: "Ich halte es wirklich nicht für unrealistisch. Bayern ist für mich sowieso der klare Favorit auf den Titel. So wie sie miteinander spielen und mit welchem Selbstverständnis sie auftreten, das ist schon Wahnsinn. RB wird aber gegen Paris auch alles reinwerfen, die haben spätestens seit dem Atletico-Spiel Blut geleckt und wollen mehr – Atalanta Bergamo war ja auch schon ganz nah an der Sensation gegen Neymar und Co. dran. Wenn alles passt und sie ihre Erfolgswelle weiter reiten, kann in einem Spiel immer alle passieren. Deswegen hoffe ich als gebürtiger Leipziger auch auf ein 2:1 für RB."
Das Interview führte: Dominik Hechler
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