EM 2021: Italien ist der Top-Favorit - aus diesen sieben Gründen
EM 2021: 7 Gründe, warum Italien Top-Favorit auf den Titel ist
Wir sehen einige der italienischen Nationalspieler bei ihrer zweiten Lieblingsbeschäftigung neben dem Fußballspielen: das inbrünstige Intonieren der Nationalhymne. Auch darin sind sie eine Klasse für sich bei dieser EM. Noch viel beeindruckender ist aber, was die "Squadra Azzurra" zwischen An- und Abpfiff auf dem Rasen abliefert. Nicht erst mit dem überzeugenden 2:1 über Belgien im Viertelfinale hat sich der Europameister von 1968 die Bürde des Top-Favoriten verdient. Doch warum scheint das Team von Trainer Roberto Mancini über allem zu schweben? ran zeigt sieben Gründe.
Grund 1: Weltklasse zwischen den Pfosten
Wo fangen wir an? Am besten ganz hinten. Wie sehenswert Gianluigi Donnarumma nach Bällen hechten kann, durfte der Keeper erst in den K.o.-Spielen gegen Österreich und vor allem die stark eingeschätzten Belgier beweisen. Zu überlegen war Italien in der Gruppenphase. Der erst 22-jährige Schlussmann bewies dennoch, dass er auf Betriebstemperatur ist. Der Schützling von Staragent Mino Raiola gilt schon jetzt als einer der weltbesten seines Fachs und trieb in München Romelu Lukaku und Co. zur Verzweiflung. Seine jüngste Bilanz im Trikot mit der Nationalflagge auf der Brust ist mehr als beeindruckend: In elf Spielen musste er nur zweimal hinter sich greifen. Das war zwar in den vergangenen beiden Partien, aber für die Fortsetzung dieser Serie müssen sich die kommenden Gegner schon strecken.
Grund 2: Abwehr wie gewohnt das Prunkstück
Was auch mit der Abwehrreihe vor Donnarumma zu tun hat. Das Innenverteidiger-Pärchen Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci, das nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Ersterem gegen Belgien wieder zusammenfand, ist europaweit wohl das Maß der Dinge. Robust im Zweikampf, perfekt im Stellungsspiel, dazu kommt ein blindes Verständnis. Dieses Abwehrbollwerk bremst allerhand Angriffe aus. Und das zumeist mit Auge. Von den beiden Ü30ern, die so langsam auf das Ende ihrer Nationalmannschaftskarriere zusteuern, kann jeder ambitionierte Abwehrspieler noch eine Menge lernen. Und auch die Nebenleute auf den Außenbahnen kratzen zuweilen an der Weltklasse.
Grund 3: Unausrechenbarkeit in der Offensive
Offensiv gibt es nicht die klassischen Fixsterne im Spiel. Beim Unterfangen, dem Gegner einzuschenken, tun sich verschiedene Akteure hervor. Das macht es natürlich umso komplizierter und schwerer ausrechenbar. Trotz seiner zwei Turniertreffer in den ersten beiden Spielen scheint Ciro Immobile noch nicht so ganz im Wettbewerb angekommen zu sein. Dafür springen andere in die Bresche. Schon sechs verschiedene Torschützen verzeichnet die "Squadra Azzurra". Sie ging jedes Mal durch einen anderen Spieler mit 1:0 in Führung: Gegen die Türkei war es ein Eigentor von Juventus Turins Merih Demiral, gegen die Schweiz besorgte Manuel Locatelli den Türöffner, gegen Wales war es Matteo Pessina, gegen Österreich dann Federico Chiesa und nun also Nicolo Barella. Die Gegner dürfen also niemanden aus den Augen lassen, jeder kann zustechen.
Grund 4: Viele Impulse von der Bank
Und dann wären da noch die hungrigen Ersatzspieler, die auf ihre Chance lauern, wenn ihre Zeit gekommen ist. Auffällig ist: Wenn Mancini einen Wechsel vornimmt, ist nicht einmal ein Hauch von Qualitätsverlust spürbar. Auch die Akteure auf der Bank verkörpern höchstes Niveau und den unbedingten Willen, den Griff nach der EM-Trophäe Wirklichkeit werden zu lassen. Wenn es mal nicht so läuft, was wirklich höchst selten vorkommt, richten die Joker es aber auch selbst. So brachten Chiesa und Pessina die strauchelnde Elf gegen Österreich in der Verlängerung auf die Siegerstraße. Wohl dem, der so wechseln kann.
Grund 5: Überragender Teamspirit
Getragen werden die Italiener aber nicht nur von der Ausgeglichenheit und herausragenden Ausnahmekönnern, sondern vor allem auch von einem unbändigen Teamspirit. Das beste Beispiel für die besondere Beziehung der Profis untereinander waren die Sekunden nach Leonardo Spinazzolas unkonventioneller Rettungstat, als er Lukakus Abschluss auf Vorlage von Kevin de Bruyne gerade noch mit dem Oberschenkel abblockte. Nacheinander bestürmten ihn Chiellini, Bonucci und Marco Verratti und feierten den Römer, als hätte er gerade selbst getroffen. Obendrein gab es noch einen Schmatzer von Donnarumma, der zuvor schon geschlagen war. Diese Szene allein schon zeigte, wie das Team für den Titeltraum lebt. Und dass es wirklich ein Team ist. Dazu passt auch, dass sich selbst die Doppeltorschützen Locatelli und Pessina klaglos auf die Bank setzen.
Grund 6: Verletzungen werfen Team nicht um
In Rückstand geraten ist die "Squadra Azzurra" bei diesem Turnier noch nicht. Dennoch musste sie bereits einige Rückschläge verkraften - was mit Bravour gelang. So fehlte Antreiber Verratti zu Turnierbeginn wegen einer Knieverletzung, nach einer Hälfte musste Rechtsverteidiger Alessandro Florenzi wegen einer Wadenverletzung passen, Kapitän Chiellini musste wegen Oberschenkelproblemen zwei Spiele zuschauen, nun fällt der überragende Linksverteidiger Spinazzola aus. Doch all diese Verluste kompensierte die Mannschaft, ohne dass sie ins Gewicht gefallen wären. Es wirkt also ganz so, als wäre wirklich jeder ersetzbar. Und wer weiß: Vielleicht schweißen diese Ausfälle das Team noch mehr zusammen. Auch Deutschland wurde 1996 auf dem Weg zum EM-Titel von Verletzungen gebeutelt, ließ sich davon aber nicht beirren. Das wäre doch ein gutes Vorbild.
Grund 7: Perfektes Zeitmanagement
Einen Titel haben die Italiener sich schon vor dem Halbfinale gegen Spanien (Di., ab 21 Uhr im Liveticker auf ran.de) quasi bereits gesichert. Denn besser als gegen Belgien kann man einfach nicht an der Uhr drehen, um einen hauchdünnen Vorsprung über die Zeit zu retten. Im Grunde kam in der Schlussphase überhaupt kein Spielfluss mehr zustande, weil die "Squadra Azzurra" auf Spielunterbrechungen aus war, diese ausreizte und manchmal auch fast magisch von der Eckfahne angezogen wurde. Ganz schön clever. Oder auf neudeutsch: smart. Dass die "Roten Teufel" davon reichlich genervt waren, dürfte dem Mancini-Team zusätzlich in die Karten gespielt haben. Von Italien kann man eben bei dieser EM allerhand lernen - längst nicht nur beim Toreschießen und -verhindern.