6:0 gegen Marokko
Frauen WM: Kapitänin Popp überragt, zwei Flügelspielerinnen blühen auf - die Erkenntnisse nach gelungenen WM-Auftakt
- Aktualisiert: 24.07.2023
- 18:10 Uhr
- ran.de/90 Min
Das war ein Start nach Maß: Die DFB-Frauen fegen Außenseiter Marokko im ersten Spiel vom Platz - gewinnen deutlich und verdient mit 6:0. Die Erkenntnisse zum ersten WM-Gruppenspiel in Australien.
Brand und Bühl - zwei Flügelspielerinnen die Hoffnung verbreiten
Klara Bühl und Jule Brand werden als eines der talentiertesten Flügel-Duos dieser WM gehandelt. Aber Talente, das wollen die beiden trotz ihres jungen Alters (20 und 22) gar nicht mehr sein. Schließlich spielen beide schon bei den Top-Adressen des deutschen Fußballs, in Wolfsburg und Bayern, und werden auch beim Nationalteam langsam, aber sicher, zu wichtigen Stützen.
Auch gegen Marokko hatte man nicht das Gefühl, unerfahrenen Talenten zuzuschauen. Beide zeigten Top-Leistungen, dabei haben sie keine einfache Saison hinter sich. Brand wechselte im letzten Sommer nach Wolfsburg und hatte es aufgrund des starken Konkurrenzkampfes dort schwer, sich durchzusetzen. Die 20-Jährige zeigte Momente der Brillianz, blieb in vielen Spielen aber auch zu blass und traf noch zu oft die falsche Entscheidung. Das Problem hatte auch Klara Bühl, die nach einer starken EM eine Saison mit Höhen und Tiefen erlebte.
Gegen Marokko war davon bei beiden nichts zu sehen. Im Gegenteil, Bühl und Brand spielten befreit auf, zeigten dabei aber gleichzeitig eine reife Leistung. Brands sehenswerter Übersteiger wurde nach dem Spiel sehr gefeiert, und das zu recht. Aber die 20-Jährige hat eben auch gelernt, wann es sinnvoll ist, die schlichtere Variante zu wählen, und verzettelte sich selten.
Brand wirbelte nicht nur auf dem rechten Flügel, sondern half auch hinten aus oder unterstützte Bühl auf der linken Seite. Die interpretierte ihre Rolle etwas klassischer und blieb meist außen, um von dort dann Richtung Strafraum zu ziehen. Mit diesen unterschiedlichen Rollen ergänzten sich beide gut und sorgten für mehr Variabilität. Auch ihr Treffer wird Bühl viel Selbstvertrauen geben. Es wird noch Teams geben, die die Doppel-B-Flügelzange mehr fordern als Marokko, aber in dieser Form können die beiden jedes Team vor Probleme stellen.
Die Kopfbälle von Alexandra Popp sind nur schwer zu verteidigen
Bei Alexandra Popp ist allerspätestens seit der EM bekannt, wie torgefährlich die 32-Jährige ist – speziell mit dem Kopf nach hohen Flanken. Und obwohl die deutschen Gegner sich dessen bewusst sind und aus diesen Grund mehrere Verteidigerinnen zugleich auf die Wolfsburger Stürmerin ansetzen, schafft es Popp doch immer wieder, sich durchzusetzen und irgendwie an den Ball zu kommen, so auch zweimal gegen Marokko. Gerade das zweite Tor steht symbolisch für den Einsatz, den Popp bereit ist zu zeigen.
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Popp flog mit dem Rücken zum Tor auf den Ball zu – eine Position, aus der es fast unvorstellbar ist, ein Tor zu erzielen. Die Stürmerin konnte sich von ihren beiden Bewacherinnen lösen und erwischte das Leder mit dem Hinterkopf, sodass das Spielgerät unhaltbar im Tor hinter ihr einschlug.
Das Stellungsspiel und Timing bei Popps Kopfbällen ist sowohl das Resultat von vielen Jahren an Erfahrung bei der 32-Jährigen als auch ein ausgeprägtes Spielverständnis. Doch die Komponente, die sie zur Weltklasse macht, ist der Wille, sich in ebendiese Bälle zu schmeißen und unbedingt das Tor erzielen zu wollen. Wenn es der Stürmerin gelingen sollte, diese Fähigkeiten konstant über den Turnierverlauf zu zeigen, hat sie nicht nur persönlich die Chance auf den Goldenen Schuh, sonder schafft auch für ihre Mannschaft eine hochwertige Grundlage, um in diesem Turnier weit zu kommen.
Svenja Huth als RV - Vorne stark, hinten anfällig
Hegering, Oberdorf, Nüsken, Lohmann: Die Verletztenliste war nicht ganz kurz vor dem Spiel. Und das sind nicht mal die Spielerinnen, die es nicht in den Kader geschafft haben, sondern diejenigen, die sich noch in Australien kleine Verletzungen zugezogen haben. Dazu kommt noch Giulia Gwinn, die bei der EM rechts hinten gesetzt war.
Die vielen Verletzungen sorgten für interessante Personalrochaden, weil im DFB-Team viele Spielerinnen vielseitig einsetzbar sind. Wenn Gwinn ausfällt, dann könnte ja Hendrich rechts spielen, aber dann fehlt jemand in der Innenverteidigung, weil Hegering verletzt ist, und Nüsken ebenfalls, die wiederum auch ein Backup für Oberdorf ist...
So musste Martina Voss-Tecklenburg kreativ werden, und sie holte eine alte Lösung wieder aus der Schublade: Svenja Huth spielte in der letzten Saison vorrangig im Sturm oder auf der 10, aber bei Turbine Potsdam war sie auch schon als Schienenspielerin, zwischen Abwehr und Sturm auf dem Flügel, unterwegs.
Die unkonventionelle Lösung führte dazu, dass Deutschland offensiv noch mehr Schwung hatte als sowieso schon, und Huth auch in der neuen Rolle ihre Dribblings und Flanken zeigen konnte. Andererseits musste sie eben auch so viel laufen, dass ein Auftritt in "Forrest Gump" niemanden mehr wundern würde. Bei jedem Ballverlust - und davon gab es dann doch mehr als erwünscht - hatte sie eine enorme Distanz zu bewältigen, und war nicht immer rechtzeitig zur Stelle.
Das kann man Huth kaum anlasten, es ist einfach eine Schwäche in dem System mit der asymmetrischen Viererkette. Hendrich spielte dadurch zum Teil so weit außen wie eine Rechtsverteidigerin, was Sara Doorsoun in der Mitte recht allein dastehen ließ. Marokko spielte den Steilpass oft eine Sekunde zu früh und lief daher ins Abseits, oder ihnen fehlte die Präzision. Gegen Kolumbien und Südkorea ist das Experiment für mehr Durchschlagskraft nach vorne wohl keine schlechte Idee, aber in der K.O.-Runde könnte das System doch sehr anfällig sein.
Leupolz solide - aber keine Lena Oberdorf
Die EM verpasste Leupolz wegen ihrer Schwangerschaft noch, jetzt stand die Chelsea-Spielerin als Vertretung für die verletzte Lena Oberdorf auf dem Platz. Sie konnte mit Passsicherheit und Übersicht durchaus überzeugen, und widerlegte damit die Bedenken vieler Fans.
Leupolz kann man keinen Vorwurf machen, und die Physis von Oberdorf fehlte gegen Marokko nicht wirklich. Trotzdem gab es im Mittelfeld einige Unsicherheiten, die vor allem mit dem Zusammenspiel des Leupolz-Däbritz-Magull-Trios zusammenhingen. Bei einem 6:0-Sieg kann das Mittelfeld eigentlich nicht viel falsch gemacht haben, aber streckenweise zeigten sie dennoch Schwächen.
Das gilt besonders für die Phase zwischen Alexandra Popps ersten und zweiten Tor. Dort verloren Magull und Co. zu oft die Kugel, was in einigen gefährlichen Kontern resultierte. Denn oft waren die anderen Mittelfeldspielerinnen falsch positioniert, sodass die Anspielstationen fehlten.
Sowohl Däbritz als auch Magull ließen sich auffällig oft fallen, um Leupolz zu unterstützen. Im Grunde keine falsche Idee, aber in manchen Szenen bedrängten sie sich bloß gegenseitig und durch die kurzen Abstände entstand kein Raum. Als Magull sich später im Spiel mehr vorne einschaltete und in Richtung Brand orientierte, wurde das besser.
Däbritz war weiterhin eher wenig im Spiel eingebunden, was auch bei der EM ein Thema war. Die Lyon-Spielerin tauchte manchmal wie aus dem Nichts mit einer gefährlichen Chance auf, aber diktierte das Spiel nicht wirklich. Wenn Oberdorf wieder fit ist, ist es sicher eine Option, Leupolz statt Däbritz auf die Acht zu setzen, um mehr Zugriff zu bekommen.
Parallelen zur EM: Das Gegenpressing bleibt eine Stärke
Schon bei der Europameisterschaft im letzten Jahr hatte das Team von Martina Voss-Tecklenburg zu Hauf bewiesen, dass das Gegenpressing zu einer der größten Stärken des Teams gehört. Am besten zu sehen war das damals gegen Spanien in der Gruppenphase: Spanien war über weite Teile die spielbestimmende Mannschaft, doch Deutschland schaffte es mehrere Male durch hohes Anlaufen der Torhüterin und Verteidigerinnen, für Unsicherheit zu sorgen. In einigen Fällen resultierte das bei schnellem und präzisem Umschalten sogar in einem Tor.
Dies war auch beim ersten Tor von Alexandra Popp und bei Klara Bühls Treffer gegen Marokko zu sehen. In der 11. Spielminute konnte Jule Brand durch das hohe Pressing ihrer Mitspielerinnen einen gegnerischen Pass abfangen und schaltete sogleich um, indem sie die aufgerückte Kathrin Hendrich bediente. Die Innenverteidigerin legte sich den Ball zurecht und setzte zur punktgenauen Flanke in den Strafraum an. Dort lauerte Popp bereits auf und versenkte den Ball per Kopf im Netz.
Ein ähnliches Spiel zeigte sich über Bühl kurz nach Wiederanpfiff. Die Mittelfeldspielerin vom FC Bayern München eroberte den Ball auf der linken Seite und brachte die Flanke ins Zentrum. Lina Magull scheiterte zunächst am Pfosten, doch Bühl konnte per Abstauber vollenden.