Parallelen zum deutschen Fußball
Niederlande in der Krise: Warum sich ein Blick über die Grenze nach Deutschland lohnt
- Aktualisiert: 29.03.2017
- 18:16 Uhr
- ran.de / Andreas Reiners
Der niederländische Fußball befindet sich taumelnd in Richtung absolutem Tiefpunkt. Gerade jetzt würde sich für Oranje ein Blick über die Grenze lohnen.
München - Arjen Robben könnte es sich leicht machen. Sollen doch die anderen den Karren aus dem Dreck ziehen.
Doch der Bayern-Profi will mit anpacken. Will mitreden und auch mitentscheiden. Dafür verzichtete er am Montag sogar auf die ursprünglich geplante Rückreise zu den Bayern. Stattdessen weilte er bei der niederländischen Nationalmannschaft, die sich weiter im Sinkflug befindet.
Kurz gesagt: Der WM-Dritte von 2014 und Vizeweltmeister von 2010 steht vor den Trümmern seines einst so hochgelobten Fußballs. Nach dem Verpassen der EM 2016 sieht es danach aus, dass die Elftal auch bei der WM im kommenden Jahr nicht dabei sein wird. Deutsche Fans kramen in diesen Tagen schon mal vorsorglich den Gassenhauer "Ohne Holland fahr'n wir zur WM" heraus. Doch die Nachbarn haben ganz andere Probleme als deutsche Gehässigkeit.
Am Sonntag warf der Verband die übliche Maschinerie an und entließ Bondscoach Danny Blind. Bei der Suche nach einem Nachfolger will Robben gemeinsam mit Wesley Sneijder nun aktiv mitwirken, in den Prozess mit einbezogen werden. Bezeichnenderweise zwei Überbleibsel der Goldenen Generation.
"Eine gute Idee, was passen kann"
"Wir haben viele Erfahrungen mit Trainern und Spielern gemacht. Wir wissen, was für eine Spielergruppe wir jetzt haben, und ich glaube, dass wir eine gute Idee haben, was passen kann", sagte Robben.
Aber: Am Trainer alleine liegt es nicht, die Probleme im Fußball des Nachbarn liegen viel tiefer als bei einer simplen Personalie. Und sie sind nicht innerhalb von ein paar Monaten zu lösen. Ein harter Schnitt, eine Art Neuanfang muss her. Dafür müssten die Verantwortlichen aber genau das auch erst einmal erkennen. Die Schieflage ist zwar schon länger kaum noch zu übersehen, die bisherigen Maßnahmen wirken aber wie Flickschusterei, wie hektische und kopflose Maßnahmen.
Dabei würde ein kurzer Blick über die Grenze für's Erste reichen. In Deutschland war es ähnlich, als bei der EM 2000 der Rumpelfußball mit dem Vorrundenaus seinen Tiefpunkt erreicht hatte. Der DFB zog damals die Konsequenzen, die Nachwuchsarbeit wurde umgekrempelt, neu aufgebaut, revolutioniert. Seit der Generation um die jüngst aus der Nationalmannschaft zurückgetretenen Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger kann Bundestrainer Joachim Löw aus einem riesigen Fundus an Talenten schöpfen.
Der Unterschied zu Oranje: Die Übergänge sind heute fließend, Stützen wie Podolski und Schweinsteiger, aber auch Lahm, Mertesacker oder Klose können problemlos ersetzt werden. Verdiente Nationalspieler müssen nicht vom Platz getragen werden, sondern wissen, wann es an der Zeit ist, aufzuhören. Auch aufgrund des Drucks aus der zweiten Reihe durch hochveranlagte Youngster. In den Niederlanden gibt es aktuell entweder zu alt oder zu jung und unerfahren, in der Mitte fehlt praktische eine ganze Generation.
Die Talente haben in der Bundesliga die Chance, sich auf einer ebenso großen wie herausfordernden Bühne zu zeigen und zu reifen. Es ist nicht so, als hätten die Niederlande keine Talente mehr, wobei es bei einem Land mit knapp 17 Millionen Einwohnern auch nicht ungewöhnlich ist, dass die Talenteflut zwischendurch schlicht mal versiegt. Die Niederlande sind nicht die erste große Fußball-Nation, der das passiert.
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Dem Trend entgegenwirken
Aber man kann dem Trend entgegenwirken. Allerdings ist die heimische Eredivisie im europäischen Vergleich höchstens noch zweitklassig, einstige Topklubs wie Ajax Amsterdam, PSV Eindhoven oder Feyenoord Rotterdam spielen nur noch die dritte Geige.
Das führt dazu, dass Talente sich nicht mehr auf hohem Niveau messen können. Oder aber zu schnell verkauft werden und bei den Vereinen im Ausland auf der Bank versauern. Was man dazu dringend benötigt, ist Geduld. Das musste der deutsche Fußball auch erst lernen.
Verzweifelte Trainersuche
Doch hinzu kommt in den Niederlanden ein Trainerkarussell, das wenig System erkennen lässt. Marco van Basten, Bert van Marwijk, Louis van Gaal, Guus Hiddink und nun Danny Blind saßen auf der Bank, seit Jürgen Klinsmann ab 2004 in Deutschland einen für damalige Verhältnisse revolutionären Umbruch vorantrieb. In dieser Zeit ließen sich die unflexiblen Verantwortlichen von den Erfolgen blenden, anstatt parallel einen Umbruch einzuleiten. Was nun wiederum dazu führt, dass sich offenbar niemand mehr um den Job als Bondscoach reißt.
Neben dem gewachsenen Selbstverständnis, zu den größten Fußball-Nationen zu gehören, halten unsere Nachbarn fast schon trotzig an ihrem "Voetbal totaal" fest, dem 4-3-3, für das die gesamte Fußball-Nation steht. Für die Schönheit des Offensivspiels, auch wenn der letzte große Erfolg 2014 mit van Gaals Defensivbollwerk und einem 5-3-2 geholt wurde.
Vielleicht ist der Status Quo aber auch einfach das aktuelle Leistungsvermögen. Was aber nicht bedeutet, dass man sich damit abfinden muss. Auch hier lohnt sich ein Blick über die Grenze.
Denn Jürgen Klinsmann wäre theoretisch zu haben. Ein Querdenker und Umkrempler, der frischen Wind in die verkrusteten Strukturen bringen kann. Er wäre der erste Ausländer als Bondscoach seit Ernst Happel 1978, dazu auch noch ein Deutscher. Mehr Revolution geht nicht. Bleibt dann eigentlich nur die Frage, was Arjen Robben davon hält.
Andreas Reiners
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