WM 2022 in Katar
Kommt es wirklich zum WM-Boykott? Die wichtigsten Fragen und Antworten
- Aktualisiert: 13.03.2021
- 16:15 Uhr
- ran.de/Martin Jahns
Die WM in Katar spaltet die Fußballwelt seit Jahren. Boykott-Aufrufe werden immer lauter. In Norwegen könnte es am Sonntag zum Showdown kommen. Doch wie realistisch ist ein WM-Boykott wirklich? ran beantwortet die wichtigsten Fragen zu einem möglichen WM-Boykott.
München - Kurz vor dem Start der europäischen WM-Qualifikation hat ein Bericht über Tausende tote Arbeitsmigranten im WM-Gastgeberland Katar für Boykottaufrufe gesorgt. Während Frankreich diesen eine Abfuhr erteilt hat, wird es in Norwegen eng. Schon einmal haben Europäer auf eine WM-Teilnahme verzichtet - damals allerdings aus anderen Gründen.
Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um einen WM-Boykott.
Weshalb werden Forderungen nach einem WM-Boykott laut?
Schon seit Jahren berichtet Amnesty International von Menschenrechtsverstößen im WM-Ausrichtungsland Katar. Bereits 2015 beklagte die Organisation stetig die teilweise unwürdigen Arbeitsbedingungen für Arbeitsmigranten, die auch beim Bau der WM-Infrastruktur und -Stadien eingesetzt werden. So kamen laut Bericht in einigen Fällen "die Arbeitsbedingungen Zwangsarbeit gleich".
Zwar hat Katars Regierung auch auf Druck aus dem Ausland Reformen zur Verbesserung der Lage von Arbeitsmigranten eingeleitet, doch auch Ende 2020 beklagte Amnesty International, dass Verstöße durch Arbeitgeber noch immer zu selten geahndet würden.
"Die vorhandenen Kontrollsysteme sind nicht geeignet, um Missbrauch festzustellen, und es bleibt weiterhin schwierig für Arbeiterinnen und Arbeiter, sich zu beschweren, ohne dadurch ihr Einkommen und ihren rechtlichen Status aufs Spiel zu setzen", so Steve Cockburn, Leiter des Bereichs wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit bei Amnesty International.
Eine neue Dynamik erfuhr die Kritik am WM-Gastgeber durch einen Bericht des englischen "Guardian" vom 23. Februar 2021, demzufolge seit der WM-Vergabe an Katar im Dezember 2010 bereits 6500 Arbeitsmigranten aus Indien, Pakistan, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka ums Leben kamen. Die Zahlen stützen sich auf Behördenangaben der jeweiligen Länder. Mögliche weitere verstorbene Arbeitsmigranten aus anderen Ländern sind darin noch gar nicht erfasst.
Wer ruft noch zum Boykott auf?
Angesichts der schockierenden Berichte hat sich vor allem in Norwegen Widerstand formiert: Inzwischen haben sich sieben der 16 norwegischen Erstligisten, darunter Rekordmeister Rosenborg Trondheim, für einen WM-Boykott ausgesprochen. Auch 14 von 16 Fanklub-Vereinigungen und der Fan-Dachverband wollen einen WM-Verzicht.
Am Sonntag könnte es bei der Tagung des norwegischen Fußballverbands zum Showdown kommen, falls das Thema WM-Boykott mit einer Zweidrittelmehrheit auf die Tagesordnung gesetzt wird. Dann könnte ein Boykott sogar mit einer einfachen Mehrheit beschlossen werden.
Zwar ist Norwegen keine Fußballmacht - zuletzt war das Land 1998 für eine WM qualifiziert -, doch mit BVB-Stürmer Erling Haaland hat das Land Europas größten Shooting-Star im Aufgebot.
In Deutschland hat das Bündnis ProFans den DFB zum WM-Boykott aufgefordert. "Es gibt nichts, was es rechtfertigen könnte, die Menschenrechtsverletzungen in Katar hinzunehmen, ja, gar durch die Teilnahme am Turnier wissentlich, billigend zu unterstützen", so die Fan-Organisation in einer Mitteilung.
Ein Boykott der Weltmeisterschaft im Wüstenstaat sei "unumgänglich", eine Teilnahme "wäre das Ende von Ethik und Würde". Mit Blick auf die Berichte über mehrere tausend tote WM-Arbeiter wäre es "ein rauschendes Fußballfest auf den Gräbern von Tausenden Arbeitsmigranten", hieß es weiter: "Mit Entsetzen wenden wir uns davon ab."
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Wer boykottiert die WM schon?
Am Freitag ist bekannt geworden, dass der niederländische Sportrasenhersteller Hendriks Graszoden seine Lieferungen für die WM in Katar verweigert. "Wir wussten, dass es während der Arbeit Todesfälle gab, aber wir wussten nicht, dass es ungefähr 6500 sind", sagte Firmensprecher Gerdien Vloet der Nachrichtenseite "1Limburg". Das Unternehmen hat unter anderem das Grün für die WM 2006 in Deutschland sowie für die Europameisterschaften 2008 und 2016 geliefert.
Ebenfalls nicht nach Katar reisen werden der niederländische König sowie der Ministerpräsident. Das hat das Parlament im Februar entschieden.
Was sagen die Verbände?
Sowohl in Deutschland als auch in Norwegen halten sich die Verbände bislang zurück.
"Die Menschenrechtslage in Katar wird innerhalb des DFB, dessen Nationalmannschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für das Turnier qualifiziert ist, intensiv diskutiert", zitiert die "Sportschau" den DFB. "Der DFB setzt sich in seinem Einflussbereich gemäß seiner Satzung und Werte dafür ein, dass an den Missständen gearbeitet wird und Menschenrechte geachtet werden." Dank der Nachhaltigkeitsstrategie der FIFA und der WM-Organisatoren könne der Fußball Gutes bewirken. "Der Fußball hat bereits bewiesen, dass er die Kraft hat, über Grenzen hinweg Brücken zu bauen und die Grundlagen für Verbesserung zu schaffen."
Weltmeister Frankreich hat einem WM-Boykott bereits eine klare Absage erteilt. "Katar wurde vor langer Zeit von verantwortlichen Personen ernannt, wir werden ein Jahr vorher die Organisation nicht infrage stellen. Frankreich wird in Katar sein, wenn es sich qualifiziert", sagte Verbandspräsident Noël Le Graët der Nachrichtenagentur "AFP".
Aber auch in Norwegen herrscht bei den Verantwortlichen Skepsis bezüglich eines WM-Boykotts. Verbandspräsident Terje Svendsen beruft sich auf einen Dialog mit Katar. Nationalcoach Stale Solbakken fordert zwar: "Wir müssen Druck machen!" Ein Boykott würde seiner Meinung nach aber die Probleme der Arbeiter ebenfalls nicht lösen.
Wie reagiert die FIFA?
Wenig überraschend. "Ich glaube nicht, dass der Boykott der WM ein richtiger Ansatz ist", erklärte Präsident Gianni Infantino.
Beim Weltverband und dem Organisationskomitee laufen die Planungen für die WM in Katar weiter auf Hochtouren. Mehr als zehn Jahre nach der Vergabe des Turniers an den Wüstenstaat ist von der FIFA kein kurzfristiger Kurswechsel zu erwarten.
Stattdessen verweist die FIFA wie schon bei früheren Vorwürfen an das Ausrichterland auf die verändernde Kraft des Fußballs: "Es ist immer, war immer und wird immer der einzige Weg sein, in den Dialog zu treten und sich zu engagieren, um Veränderungen herbeizuführen", so Infantino. Er freue sich auf eine "fantastische" WM.
Wie realistisch ist ein Boykott?
Dass ein ganzer Verband die WM in Katar boykottiert und sich so selbst zur Zielscheibe für die FIFA macht, ist unwahrscheinlich. Denn ein WM-Boykott kann neben einer Geldstrafe von mindestens 20.000 Schweizer Franken (bzw. 40.000 nach Beginn der WM-Qualifikation) laut FIFA-Regularien auch den Ausschluss von künftigen FIFA-Wettbewerben wie der Frauen-WM 2023 oder der Männer-WM 2026 bedeuten. Ein einzelner Verband dürfte das Risiko scheuen, sich selbst auf Jahre aus dem Weltfußball zu schießen.
Zudem fehlt es an alternativen Strukturen, um bei einem konzentrierten Boykott durch mehrere Verbände kurz- und mittelfristig ein Turnier ähnlicher Relevanz auf die Beine zu stellen. Außerhalb Europas ist die Motivation, gemeinsame Sache mit den großen europäischen Nationalverbänden auf Kosten der FIFA zu machen, überschaubar.
Gab es schon einmal einen WM-Boykott?
Einen politisch motivierten Boykott gab es bislang noch nicht. Vor der WM 1978 in Argentinien putschte sich dort das Militär an die Macht und folterte und ermordete Tausende Regime-Gegner. Unter anderem in den Niederlanden wurde damals ein Boykott diskutiert, aber letztlich nicht vollzogen. Auch Boykott-Aufrufe etwa vor der WM 2018 in Russland verhallten letztlich ohne Wirkung.
Einzig bei der ersten WM 1930 in Uruguay verzichteten viele europäische Verbände auf eine Teilnahme - damals allerdings wegen der langen Anreise per Schiff. Auch Deutschland sagte ohne Nennung von Gründen ab. Weil FIFA-Gründer Julet Rimet zwei Monate vor Turnierstart noch ohne europäische Teilnehmer dastand, musste er um weitere Nationen betteln und fand letztlich mit Jugoslawien, Frankreich, Belgien und Rumänien doch noch Willige.
Martin Jahns
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