Motorsport DTM
Ferrari-Team schöpft Outlap-Verdacht: Illegales Reifenheizen bei DTM-Rivalen?
Emil-Frey-Technikchef Jürg Flach, dessen Piloten Jack Aitken und Thierry Vermeulen beim Sonntagsrennen der DTM auf dem Norisring trotz Starts aus der ersten Reihe von "Grello"-Porsche-Pilot Thomas Preining in den zwei Boxenstopp-Phasen niedergekämpft wurden, hat den Verdacht, dass Konkurrenzteams unerlaubterweise Reifen heizen.
"Es ist ein bisschen kontrovers, weil bei den einen hast du das Gefühl, als hätten sie keine kalten Reifen", sagt der Schweizer im Gespräch mit Motorsport-Total.com. "Und dieses Thema weckt schon ein bisschen Emotionen, weil wir wissen, dass unser Auto beim Warm-Up eigentlich nicht das Schlechteste ist. Darum macht es stutzig, warum das so ist."
Flach bezeichnet Preining auf der Outlap als "megastark", aber auch das Emil-Frey-Team arbeite fleißig an den Boxenstopps und der Outlap, man würde aber in der Runde nach dem Stopp "regelmäßig 1 bis 1,5 Sekunden gegenüber den Schnellsten" verlieren. Die Frage sei nun, "was wir da gemacht haben und was die anderen tun, um besser zu sein".
Emil-Frey-Technikchef: "Was soll das? Wie ist es möglich?"
Nicht nur am Sonntag, sondern auch am Samstag schöpfte Flach Verdacht, als Emil-Frey-Ferrari-Pilot Vermeulen vor Winward-Mercedes-Pilot Maro Engel und Preining aus der Box kam: "Er hatte keine Chance, sie zu halten - keine Chance!" Als davor Engel seinen Stopp absolviert hatte und sich mit fast einer Runde Rückstand unmittelbar vor Vermeulen einreihte, habe sich ein anderes Bild gezeigt: "Er kommt mit kalten Reifen raus, und Thierry konnte ihn nicht überholen."
Daher stellt sich für Flach die Frage: "Was soll das? Wie ist es möglich? Das kannst du physikalisch nicht nur mit dem Druck hinbringen. Grip produzierst du über Temperatur - und das hast du nicht nach einer Kurve. Engel ist gegenüber Thierry vom Ausgang Kurve 1 bis Kurve 2 weggezogen. Mit kalten Reifen."
Vor allem das starke Manthey-Porsche-Tempo nach den Stopps ist diese Saison auch schon anderen aufgefallen: Beim Saisonauftakt in Oschersleben, als Ayhancan Güven triumphierte und Preining Dritter wurde, sagte Teamchef Torsten Schubert, "dass der Porsche in der ersten Runde mit kalten Reifen unwahrscheinlich unterwegs ist".
Preining über starke Outlap: "War einfach volles Risiko"
Als Preining von Motorsport-Total.com bei der Top-3-Pressekonferenz in Nürnberg auf das Geheimnis seiner starken Outlaps angesprochen wird, grätscht Aitken dazwischen: "Ja Thomas, erzähl es uns bitte!" Und Vermeulen grinst: "Wir hören dir zu."
Preinings Erklärung? "Das war einfach volles Risiko", antwortet er. "Wir haben nach den gestrigen Outlaps viel Datenanalyse betrieben, um das zu maximieren. Ich wusste, dass es um den Sieg geht, also habe ich alles probiert. Normale pushe ich auf einem Stadtkurs mit kalten Reifen nicht auf diese Weise, denn das Risiko ist ziemlich hoch, dass man in der Mauer landet. Heute war es das Risiko wert."
Analyse zeigt: Preining packte nach zweitem Stopp Hammer aus
Die Analyse der Rundenzeiten und der drei Sektoren zeigt, dass Preining tatsächlich nach dem zweiten Stopp den Hammer auspackte: Er fuhr beim Undercut-Versuch gegen Aitken eine 1:17.444 (45.345/15.928/16.171), sein britischer Rivale "nur" eine 1:20.764 (47,608/16.658/16.498).
Aitkens Zeitverlust war aber auch darauf zurückzuführen, dass er sich in seiner Outlap direkt gegen Preining verteidigen musste. Zudem verzeichnete Preining in 6,7 Sekunden den schnellsten Stopp, Aitken benötigte 8,2 Sekunden. Insgesamt verlor Aitken in der Boxengasse sogar 2,112 Sekunden.
Beim ersten Stopp war aber auch Aitkens Outlap ganz ordentlich. Der Emil-Frey-Ferrari-Pilot kam auf eine 1:19.085 (46.758/15.933/16.394) - und das mit einer Standzeit von 7,7 Sekunden. Wenn man die Sekunde auf Preinings Stoppzeit im ersten Sektor abzieht, fehlen Aitken immer noch vier Zehntel. Auch beim ersten Stopp zauberte die Manthey-Crew in 6,6 Sekunden. Preinings erste Outlap war eine 1:18.961.
"Kann gerne zu uns kommen": So reagieren Manthey und Engel
Das zeigt, dass Preining seinem Rivalen Aitken im gesamten Rennen allein über die kürzeren Standzeiten 2,6 Sekunden abknöpfte, auf die gesamte Boxengasse gerechnet sogar fast drei Sekunden.
Wie Manthey auf die Aussagen von Emil-Frey-Technikchef Jürg Flach reagiert? "Wir sehen das Thema sehr entspannt", sagt Geschäftsführer Nicki Raeder. "Wir arbeiten sehr genau an den Details. Er kann gerne zu uns in die Box kommen und mit einer Wärmebildkamera vor den Boxenstopps die Autos überprüfen."
Und auch Engel, der auf Outlaps seit Jahren zu den stärksten zählt, schließt sich an und lädt Flach in die Winward-Box ein, "um beim nächsten Rennen die Hand aufs Rad oder die Wärmebildkamera draufzuhalten, bevor die Reifen aufs Auto kommen."
Reifentemperatur-Unterschied bei "sehr kleiner einstelliger Zahl"
Tatsächlich hat der Deutsche Motor Sport Bund (DMSB) dieses Jahr die Regeln verschärft: Nachdem es in den vergangenen Jahren immer wieder Verdachtsfälle gab, dass Reifen unerlaubterweise geheizt wurden, müssen diese nun in einem genauen Bereich in der Box liegen, damit zum Beispiel Sonnenlicht keine Rolle spielt. Selbst Räder von einem früheren Stint müssen nach dem ersten Stopp ins Lager außerhalb der Box gebracht werden, um Wärmeabstrahlung auf andere Räder zu verhindern.
Neben Infrarot-Kameras, die von den technischen Kontrolleuren benutzt werden, sind diese Saison erstmals die in den GT3-Autos verbauten TPMS-Sensoren (Tyre Pressure Monitoring System) im Einsatz. Sie liefern während des Rennens in Echtzeit Temperaturdaten der Reifen an die Regelhüter, die die Teams nicht einsehen können. Nur ein komplett einheitliches System würde - so Experten - noch verlässlicher sein und eine potenzielle Manipulation verunmöglichen.
Laut dem DMSB wurden direkt nach dem Reifenwechsel über die TPMS-Sensoren nur Unterschiede bei der Reifentemperatur in Form einer "sehr kleinen einstelligen Zahl" zwischen den Emil-Frey-Ferraris und Preinings Porsche wahrgenommen, die - wie vorgeschrieben - ungefähr der Umgebungstemperatur entsprach. Um einen ernsthaften Wettbewerbsvorteil zu erlangen, müsste der Unterschied schon über zehn oder gar 20 Grad betragen, was nicht der Fall gewesen sei.