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Motorsport Formel 1

Reverse Grid und Co.: Schlachtet die Formel 1 bald weitere "heilige Kühe"?

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© LAT Images

Reverse-Grid-Rennen hätten "keinen Platz" in der Formel 1, sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff vor einigen Jahren über die Idee, in der Königsklasse Läufe mit einer umgekehrten Startaufstellung auszutragen. Doch laut Formel-1-Boss Stefano Domenicali steht genau dieses Thema nun (erneut) "auf der Agenda".

"Wir haben bereits darüber gesprochen, aber in den kommenden Monaten müssen wir den Mut aufbringen, diese Diskussion erneut anzustoßen, da mehrere Fahrer dies vorgeschlagen haben", verrät der Italiener. Konkret geht es um die Idee, die Startaufstellung bei den Sprintrennen umzudrehen.

"Zunächst waren alle [Fahrer] dagegen, aber beim letzten Treffen sagten viele von ihnen: 'Warum versuchen wir es nicht einfach?' In der Formel 2 und Formel 3 gibt es dieses Format bereits seit Jahrzehnten", erinnert Domenicali.

Während in der Formel 1 an einem Sprint-Wochenende aktuell zwei Qualifyings gefahren werden, eins für den Sprint und eins für den Grand Prix, gibt es in den Nachwuchsklassen lediglich ein Qualifying, das über die Startaufstellung für beide Rennen entscheidet.

Im Hauptrennen wird dabei ganz regulär nach dem Ergebnis in der Qualifikation gestartet, fahren im Sprintrennen der Formel 2 die Top 10 aus dem Qualifying in umgekehrter Reihenfolge los, in der Formel 3, in der mehr Autos an den Start gehen, die Top 12.

Domenicali: Inzwischen wollen alle Sprintrennen

Die Idee, dieses System auch in der Formel 1 einzusetzen, ist nicht neu. Seit die Sprints zur Saison 2021 in der Königsklasse eingeführt wurden, wurde immer wieder über die Möglichkeit einer umgekehrten Startreihenfolge diskutiert. Bislang gab es aber großen Widerstand.

Zumindest im Fahrerfeld hat sich das laut Domenicali nun geändert. "Ich glaube nicht, dass es hier eine einzige richtige oder falsche Haltung gibt", betont er und kündigt an: "Wir werden dies gemeinsam mit der FIA bewerten und einen sich entwickelnden Trend so gut wie möglich interpretieren."

Fakt ist, dass die Startreihenfolge bei einem Rennen nicht die erste "heilige Kuh" wäre, die unter Liberty Media geschlachtet wird. Bereits die generelle Einführung der Sprintrennen, die damals noch nicht "Rennen" genannt werden durften, war ein Bruch mit einer Tradition der Königsklasse.

Doch während es damals große Skepsis unter Fans und auch innerhalb des Fahrerlagers gab, hat sich das laut Domenicali inzwischen auch geändert. "Ich muss sagen, dass abgesehen von einigen älteren eingefleischten Fans alle Sprint-Wochenenden wollen", betont der Formel-1-Boss.

"Was die Fahrer angeht, waren anfangs 18 gegen den Sprint und zwei dafür - heute ist es genau umgekehrt. Wir haben darüber bei dem Abendessen gesprochen, das wir in Österreich organisiert haben, und alle haben sich dafür ausgesprochen", berichtet Domenicali.

Sprints sollen "Teil der Formel-1-Kultur werden"

"Selbst Max [Verstappen], mit dem ich persönlich gesprochen habe, beginnt zu sagen, dass es Sinn ergibt, also sehe ich bei allen eine Entwicklung", betont er und erklärt: "Die Veranstalter drängen auf dieses Format, und nun zeigen auch die Fahrer Interesse daran."

"Unsere Umfragen zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Zuschauer möchte, dass die Fahrer um ein Ergebnis kämpfen. Um es ganz offen zu sagen: Sie haben genug vom Freien Training. Das ist eine objektive Tatsache, die wir nicht ignorieren können", so Domenicali.

Daher müsse man nun sogar "herausfinden, ob wir [die Sprints] ausweiten sollen, wie wir sie ausweiten können und ob wir verschiedene Formate verwenden sollen. Wir müssen mehrere Gespräche mit den Teams führen, um die Richtung festzulegen", so Domenicali, der fordert: "Es muss Teil der Formel-1-Kultur werden."

"Ich kann garantieren, dass es in einigen Jahren eine Nachfrage nach einem einheitlichen Format für alle Wochenenden geben wird. Ich sage nicht, dass es wie bei der MotoGP werden wird, wo es bei jedem Event einen Sprint gibt. Das wäre ein zu großer Schritt", weiß Domenicali.

"Ich sehe es eher als einen Reifungsprozess, der einen eher traditionalistischen Ansatz respektiert", so der Formel-1-Boss, dem es bei solchen Ideen vor allem darum geht, ein jüngeres Publikum anzusprechen. Denn diesem sei ein kompletter Grand Prix über rund 90 Minuten heutzutage häufig zu lang.

Müssen die Grands Prix kürzer werden?

"Es stellt sich auch die Frage nach der Länge der Rennen, die für ein jüngeres Publikum möglicherweise etwas zu lang sind. Wir beobachten auf vielen unserer Kanäle, dass Zusammenfassungen sehr gut ankommen", verrät der ehemalige Ferrari-Teamchef.

"Für diejenigen von uns, die mit dem aktuellen Format aufgewachsen sind, ist alles so, wie es ist, in Ordnung. Aber es gibt eine große Zielgruppe, die nur die wichtigsten Momente sehen möchte", so Domenicali, der damit andeutet, dass die Formel 1 womöglich auch in dieser Hinsicht neue Wege gehen könnte.

Anders als bei der umgekehrten Startaufstellung handelt es sich hier allerdings um ein Feld, bei dem es in der Geschichte der Königsklasse im Laufe der Jahrzehnte ohnehin immer wieder Unterschiede gab. Denn zwar ist in den Regeln aktuell eine Grand-Prix-Distanz von mindestens 305 Kilometern festgeschrieben.

Allerdings gab es in der Vergangenheit bereits deutlich längere und auch kurze Rennen. Sogar heute ist im Reglement explizit eine Ausnahme für den Großen Preis von Monaco festgeschrieben, dort liegt die Mindestdistanz lediglich bei 260 Kilometern.

Toto Wolff begründete seine Ablehnung der Reverse-Grid-Rennen vor einigen Jahren übrigens mit der Aussage: "Wir sind Unterhaltung, aber in dem Moment, in dem wir in Show und Hollywood abrutschen, verliert man als Sport insgesamt viel an Glaubwürdigkeit."

Es bleibt daher abzuwarten, wie viel Risiko die Formel 1 bei neuen Ideen für die Zukunft wirklich eingehen wird.

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