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Motorsport Formel 1

Wie Audi und Sauber Konzernfallen in der Formel 1 vermeiden wollen

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© Getty Images

Das Leben in der Schweiz war eine der größten Überraschungen bei seiner neuen Aufgabe als Sauber-Teamchef, sagt Jonathan Wheatley im Gespräch mit Motorsport-Total.com.

"Ich liebe es. Wir leben in Zug, nicht weit von Zürich. Wir haben diese großartige Stadt direkt vor der Haustür, und meine Frau und ich sitzen abends oft da und sagen: 'Mein Gott, das ist kein Urlaub - das ist unser Zuhause!'"

Wheatleys Begeisterung für den Schweizer Lebensstil ist typisch für viele, die dorthin ziehen - auch wenn das nicht unbedingt der gängigen Meinung in der Formel 1 entspricht.

Formel 1 in der Schweiz - geht das überhaupt?

Seit Jahren hält sich die weitverbreitete Erzählung, dass Sauber nie erfolgreich sein werde, weil der Standort zu abgelegen sei. Nur Ferrari und Racing Bulls haben ihren Hauptsitz - operativ gesehen - außerhalb Großbritanniens.

Es wäre leicht, diese Ansicht als überheblich und engstirnig abzutun, aber eine gewisse Logik steckt dahinter: Wer in England im Dreieck Oxfordshire-Buckinghamshire-Northamptonshire lebt, kann zwischen Teams - oder sogar Rennserien - wechseln, ohne umziehen zu müssen. Hinwil, Maranello und Faenza dagegen erfordern langfristige Verpflichtungen.

Das ist nicht jedermanns Sache, wie sich daran zeigt, dass Racing Bulls ein technisches Satellitenbüro auf dem Red-Bull-Campus in Milton Keynes eingerichtet hat und Sauber kürzlich eine ähnliche Einrichtung bei Bicester eröffnet hat. So können sie zwar im "Motorsport-Valley" nach Talenten fischen, aber für den Teamgeist ist das nicht optimal.

Die wahren Hürden bei einem Konzern-Einstieg

"Als ich die Chance bekam, beim Audi-Projekt einzusteigen", sagt Wheatley, "habe ich mich so sehr auf den Rennsport und das Team konzentriert, dass ich gar nicht darüber nachdachte, wie das Leben in der Schweiz ist. Ich würde sagen, es ist mehr als eine angenehme Überraschung."

Für manche potenziellen Mitarbeiter ist ein Länderwechsel jedoch ein Hindernis. Dazu kommt die Angst vor der Historie: Große Automobilhersteller scheitern oft, wenn sie versuchen, ein Formel-1-Team nach schwerfälligen Konzernstrukturen zu führen. Ein Beispiel, das beide Probleme - Standort und Management - vereint, ist Toyota.

Das japanische Team hält bis heute den unschönen Rekord, in acht Saisons am meisten Geld ausgegeben zu haben, ohne auch nur einen einzigen Sieg zu erringen. Viele ehemalige Angestellte aus Köln berichteten, dass das Topmanagement mehr Zeit darauf aufwandte, der Konzernzentrale die enttäuschenden Ergebnisse schönzureden als die Autos schneller zu machen.

So viel Großkonzern steckt im Formel-1-Team

Wer je in einem Großkonzern gearbeitet hat, kennt das Phänomen: Management erzeugt noch mehr Management, und sogenannte Führungskräfte reden endlos über "agile Strukturen", während sie gedanklich schon eine Stellenanzeige für einen "Obersten Prüfer für Büroklammern" formulieren.

Ein weiterer Fakt: Je weiter ein Standort vom Hauptsitz entfernt ist, desto eher neigt er zu internen Revierkämpfen. Das zeichnete sich bei Sauber unter der vorherigen Führung ab, als Audi Anfang 2023 Andreas Seidl zum Geschäftsführer machte und etwas über ein Jahr später Oliver Hoffmann vom Posten des Technikchefs der Automobilsparte in eine unklare Rolle im Formel-1-Team versetzte.

Vor dem Hintergrund schwacher Leistungen auf der Strecke gab es Berichte über interne Spannungen. Im Juli 2024 wurden sowohl Seidl als auch Hoffmann entlassen. Ihre Nachfolge traten Ex-Ferrari-Teamchef Mattia Binotto - in Doppelfunktion als Betriebsleiter und Technikleiter - sowie Wheatley als Teamchef an. Wheatley konnte jedoch erst beim dritten Saisonlauf 2025 beginnen, da er zuvor mit einer Sperrzeit belegt war.

Wie Gernot Döller das Formel-1-Projekt anschiebt

Die treibende Kraft hinter diesen Personalien war Audi-CEO Gernot Döllner. Schon im Januar 2024 hieß es, Döllner sei unzufrieden mit dem technischen Fortschritt in der Straßensparte und wolle Hoffmann ablösen. Als Hoffmann im März zu Sauber wechselte - zeitgleich mit Audis Entscheidung, das Team vollständig zu übernehmen - wirkte das wie ein merkwürdiger Schachzug.

Das Ganze geriet zum Lehrbuchbeispiel für die Risiken, wenn ein Autobauer in die Formel 1 einsteigt: Ein Topmanager wird aus dem Vorstand entfernt, bekommt im Rennteam eine Scheinposition, versucht aber, daraus eine echte Machtbasis zu machen - was zu Machtkämpfen und Entlassungen führt. Danach neue Führung - und das Spiel beginnt von vorn.

Als Döllner dann beim Italien-Grand-Prix neben Binotto stand und sagte: "Uns ist vollkommen klar, dass wir dieses Projekt von Konzernprozessen fernhalten müssen", verdrehten viele Journalisten die Augen.

Welche Erfahrung Wheatley zu Sauber/Audi mitbringt

Die Frage war, ob Binotto und Wheatley tatsächlich in Ruhe arbeiten könnten oder ob bei anhaltender Erfolglosigkeit schnell wieder personelle Konsequenzen folgen würden. Bemerkenswert war, dass trotz schwachem Saisonstart keine weiteren Entlassungen folgten - und die Ergebnisse sich verbesserten.

Wheatley hatte zuvor bei Benetton/Renault und Red Bull gearbeitet. Organisationen, die es schafften, unternehmerische Unabhängigkeit mit einem Konzern im Rücken zu verbinden. Er weiß also, wie man sich in diesem Umfeld bewegt.

"Natürlich gibt es Methoden, die man übernehmen muss", sagt er. "Audi lernt uns kennen, wir lernen Audi kennen. Gernot Döllner hat uns als Schnellboot beschrieben, das im Formel-1-Bereich unterwegs ist - unserem Fachgebiet. Wir haben die volle Unterstützung des Vorstands. Das ist fantastisch. Und ich genieße unsere aktuelle Arbeitsweise sehr."

"Wenn man sieht, warum Mattia und ich jetzt hier sitzen, kann man sich vorstellen, dass wir viele Gespräche geführt haben. Aber es war vor allem dieser inspirierende Ansatz, den Gernot mir vor zwölf Monaten präsentiert hat, weshalb ich heute hier bin."

"Diese Leute sind sehr, sehr clever. Sie wissen genau, dass man hier nicht alle Konzernphilosophien anwenden kann. Aber wir repräsentieren trotzdem die Marke - und das Wichtigste ist, dass wir sie richtig vertreten."

Es geht auch ohne "teure Superstars"

In Woking hat Andrea Stella bei McLaren gezeigt, dass man ein bestehendes Team auch mit vorhandenen Mitarbeitern deutlich verbessern kann - ohne teure "Superstars" einzukaufen. Zwar holte McLaren Red Bulls Technikchef Rob Marshall als Chefdesigner, aber vor allem wegen dessen Fähigkeit, zwischen Abteilungen zu vermitteln. David Sanchez kam von Ferrari, ging jedoch wieder, als er nicht die erhoffte Rolle erhielt.

Auch Aston Martin hat schon einen Toptechniker eingestellt und wieder entlassen - ohne nennenswerte Fortschritte. Unter der Führung eines ungeduldigen Milliardärs scheint das Team in einer ewigen "Übergangsphase" zu stecken.

Wheatley sagt, er müsse Saubers Strukturen erst besser kennenlernen, bevor er größere Änderungen anstößt. Er weiß jedoch, dass das dauerhafte Anheuern externer Topleute beim Personal schnell das Gefühl erzeugt, nicht genug wertgeschätzt zu werden.

"Es muss eine Balance geben", sagt er. "Manche Bereiche brauchen schnell neue Führung, aber bisher gab es davon nicht viele, seit ich hier bin. Und wir müssen Talente im eigenen Haus fördern. Wenn wir ein richtiges Werksteam mit Stärke und Tiefe sein wollen, müssen wir junge Leute einstellen, ausbilden und ihnen Audis Formel-1-Philosophie vermitteln."

"Wir müssen unsere eigenen Talente entwickeln - und wir sind hier auf einem guten Weg. Mattia hat sehr interessante Nachwuchsprogramme im Engineering gestartet, und ich spüre, dass das Team gerade die Kurve kriegt."

Angesichts der Tatsache, dass Sauber an den zurückliegenden sechs Rennwochenenden vor der Sommerpause stets gepunktet hat, ist dem kaum zu widersprechen.

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