Milliardenprojekt Sotschi in der Kritik
- Aktualisiert: 28.10.2013
- 15:58 Uhr
- SID
Am Mittwoch in 100 Tagen beginnen in Sotschi die Olympischen Winterspiele. Die Vorbereitungen werden jdoch von zahlreichen Skandalen überschattet, denn die russischen Gastgeber treiben ihr gigantisches Prestigeprojekt ohne Rücksicht auf Verluste voran.
Köln/Sotschi - Menschenrechtsverletzungen, Umweltsünden, Terrorangst: 100 Tage vor der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Sotschi trüben Horrorszenarien und anhaltende Kritik an den Gastgebern die Stimmung. Eine Trendwende ist nicht in Sicht, auch wenn in den kommenden Tagen die großen Bosse kräftig die Werbetrommel für das gigantische Prestigeobjekt rühren werden: Zum Start des letzten großen Countdowns am Mittwoch besuchen Wladimir Putin und Thomas Bach die Stadt am Schwarzen Meer. Am Montag eröffneten der Staatschef und der IOC-Präsident schon mal Seite an Seite den neuen Hauptbahnhof.
Der deutsche Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), der erstmals seit seinem Amtsantritt am 10. September nach Sotschi reiste, findet eine boomende 400.000-Einwohner-Stadt vor, in der noch an allen Ecken und Enden gewerkelt wird. 38 Milliarden Euro an Investitionskosten für neue Infrastrukturmaßnahmen wollen für die teuersten Winterspiele der Geschichte erst mal verbaut werden. Und je nachdem, wie genau Bach hinter die Fassade schaut, wird er auf Abgründe stoßen.
Ärger an vielen Fronten
Die Jagd von Milizen auf vermeintlich illegale Arbeiter im Auftrag der Regierung hat in den vergangenen Wochen international für Empörung gesorgt. Die Abschiebungen basieren unter anderem auf der Annahme, dass die Kriminalität in die Höhe schnellen könnte, wenn es in der Stadt nichts mehr zu bauen gibt. So weit ist es aber noch nicht. Deshalb sollen nun aus allen Winkeln des Riesenreichs Arbeitslose nach Sotschi kommen, damit bis zur Eröffnungsfeier am 7. Februar alles fertig wird.
Dem rigiden Vorgehen stehen das IOC und Bach weitgehend machtlos gegenüber. Dass sie ernsthaft intervenieren, ist ausgeschlossen. Bach selbst gibt sich mit Putins Zusagen zufrieden, auch was die Anwendung des weltweit heftig kritisierten Anti-Homosexuellen-Gesetzes betrifft.
IOC "kein übergeordnetes Parlament"
"Wir müssen sichergehen können, dass die Olympische Charta eingehalten und es keinerlei Diskriminierungen geben wird. Dafür haben wir auch die Zusicherung der höchsten Autoritäten des Landes", sagt Bach und fügt schon mal vorbeugend hinzu, das IOC sei "kein übergeordnetes Parlament", das anlässlich Olympischer Spiele "Gesetze über ein Land verhängen" könne. Am Montag betonte Bach, er sei überzeugt, dass Sotschi Spiele "auf hohem Niveau" ausrichten werde.
Für Bach steht bei seinem ersten Olympia-Auftritt als IOC-Präsident viel auf dem Spiel. Sein Vorgänger Jacques Rogge erlebte 2008 in Peking ein Debakel, als er hinnehmen musste, dass die chinesischen Gastgeber die Sommerspiele auch mit Hilfe von Pressezensur für ihre Zwecke missbrauchten.
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Kasper: "Es wird kaum eine große Party werden"
Auch diesmal treiben die Macher ihr Projekt, das der Welt russische Schaffenskraft und Entschlossenheit zeigen soll, ohne Rücksicht auf Verluste voran. Vor dem Bau des riesigen Olympiaparks unweit des von Palmen gesäumten Schwarzmeerstrandes wurden mehr als hundert Familien zwangsumgesiedelt. In dem sogenannten "Küsten-Cluster" finden die Hallensportarten statt, die alpinen und nordischen Wettbewerbe sowie Bob und Rodeln werden gut 50 Kilometer Richtung Nordosten in den Bergen ausgetragen. Alle Wettkampfstätten wurden aus dem Boden gestampft, ebenso eine Verbindungsautobahn zwischen beiden Clustern, gegen die Naturschützer und Anwohner vergeblich Sturm laufen.
Dass die Reißbrett-Spiele funktionieren werden, bezweifeln sogar einige Olympier. "Es wird kaum eine große Party werden", sagt Gianfranco Kasper, IOC-Mitglied und Präsident des Ski-Weltverbandes FIS: "Das ist eine Region, die kaum Sport kennt: Es gibt keine Skiklubs oder Eishockey-Teams - nichts. Es wird schwierig sein, Atmosphäre zu schaffen."
Putin garantiert sichere Spiele
Auch die strengen Sicherheitsvorkehrungen könnten auf die Stimmung drücken. Nach konkreten Drohungen durch den tschetschenischen Terror-Chef Doku Umarow vergab Putin Sicherheitsgarantien. In der vergangenen Woche musste er sie wiederholen, nachdem im 700 km von Sotschi entfernten Wolgograd eine Selbstmordattentäterin in einem Linienbus mindestens sechs Menschen mit in den Tod riss.
Weitere Negativschlagzeilen kassierte Russland zuletzt wegen rassistischer Anfeindungen gegen Yaya Touré, Fußball-Profi des FC Chelsea, im Champions-League-Spiel bei ZSKA Moskau. Und seit Wochen schaut die internationale Presse mit Argusaugen auf den Fortgang des Prozesses gegen festgenommene Greenpeace-Aktivisten. Sotschi, so viel ist klar, geht unter schwierigen Voraussetzungen an den Start.