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Elfer-Fehlschuss als ewiger Makel

EM 2021 - Deutschland-Trauma von Gareth Southgate: Zeit für eine andere Legende

  • Aktualisiert: 27.06.2021
  • 10:15 Uhr
  • ran.de / Marcus Giebel
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© Getty Images

Am 26. Juni 1996 wäre Gareth Southgate wohl nur zu gerne ganz allein gewesen. Und konnte es doch nicht. Nun, 25 Jahre später, will Englands Nationaltrainer die Massen wieder hinter sich vereinen. Wie damals.

München - Wenn Deutschland und England aufeinandertreffen, wird es nie nur irgendein Fußballspiel sein.

Das kann es ja gar nicht angesichts der gemeinsamen Geschichte dieser beiden Fußball-Nationen, die so viele besondere Erfahrungen verbindet. Und die in schöner Regelmäßigkeit zusammengeführt werden.

Wie am Dienstag im Achtelfinale der laufenden EM (ab 18 Uhr im Liveticker auf ran.de). Oder vor exakt einem Vierteljahrhundert. An jenem legendären Fußballabend, der für immer untrennbar mit dem Namen Gareth Southgate verbunden sein wird.

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Nervenspiel mit blitzsauberen Elfmetern

Damals beharkten, bearbeiteten und bespielten sich die beiden Teams im Wembley-Stadion zwar nicht auf allerhöchstem Niveau. Das Spiel zog dennoch zwangsläufig jeden Zuschauer in seinen Bann. England hatte insgesamt Vorteile, ging früh durch Alan Shearer in Führung, Stefan Kuntz glich nach einer Viertelstunde aus.

Nach 120 Minuten war kein Sieger gefunden. Und so wurde das EM-Halbfinale 1996 zum Nervenspiel vom Punkt. Im vielleicht besten Elfmeterschießen der Turniergeschichte trafen alle zehn etatmäßigen Schützen. Und das durch die Bank sehenswert.

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Southgate verschießt den elften Elfer

Weiter konnte, nein, weiter sollte der Spannungsbogen an jenem Sommerabend in Londons Norden nicht ausgedehnt werden. Denn dann trat Southgate an und scheiterte mit seinem unplatzierten und drucklosen Versuch an Andreas Köpke.

Bei der Rückschau auf die damaligen Bilder könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass dieser elfte Elfer so enden musste, der Ball niemals die Torlinie überqueren konnte. Southgate schien während seiner Vorbereitung und des Anlaufs jegliche Überzeugung abhanden gekommen zu sein.

Weil anschließend Andreas Möller den Ball in die Maschen jagte, begrub der Fehlschuss des heutigen Coaches der "Three Lions" den Traum vom Titel im eigenen Land. Und den schmächtigen Abwehrspieler haftet seither ein Makel an, den er zeit seines Lebens nicht mehr abschütteln kann.

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Gareth Southgate (England)
News

Kritik von allen Seiten: Southgate im Löw-Dilemma

Vor dem Achtelfinale gegen Deutschland steht England-Coach Gareth Southgate wegen seiner Personalentscheidungen unter Beschuss. Bislang blieb er stur.

  • 29.06.2021
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Viel Nähe und Zuneigung für den Fehlschützen

Damals geriet Southgate - anders als aktuell - unfreiwillig ins Rampenlicht. Wäre wohl im ersten Moment der Trauer am liebsten flugs im Erdboden versunken. Doch stattdessen musste er ganz viel Nähe ertragen. Paul Gascoigne, Englands Enfant Terrible und Anführer, herzte ihn beinahe demonstrativ. Auch Jürgen Klinsmann, der beim Gegner verletzt fehlende Kapitän, spendete schnell Trost.

Schließlich ließ sich Southgate auch noch auf eine gemeinsame Ehrenrunde mit den Teamkollegen ein. Sozusagen ein Farewell an die Fans auf den Rängen. Am Ende dieser besonders emotionalen Reise, auf der zunächst die Mannschaft mit ihrem besonderen Spirit die Nation abgeholt und hinter sich vereint hatte, um dann in schwierigen Momenten von den Landsleuten getragen zu werden.

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Nation stützt Southgate

Bis zu jenem Moment für die Ewigkeit, der eben auch noch künftigen Generationen vor Augen geführt werden wird. Da kennt der Fußballfan kein Pardon.

Southgate jedoch wurde damals nicht fallen gelassen. Sondern vielmehr in die Mitte genommen von einer Nation, die zusammengerückt war und für diese Mannschaft und damit auch jeden einzelnen Spieler einstand.

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England überzeugt nur sporadisch bei aktueller EM

Derartigen Zuspruch darf der mittlerweile 50-Jährige trotz seiner immensen Popularität im Land als Nationaltrainer nicht zwangsläufig erwarten. Denn das Minimalziel Achtelfinale hat seine Mannschaft beim aktuellen Turnier eher holprig erreicht. In einer Gruppe mit überschaubaren Herausforderungen genügten zwei Tore für den ersten Platz.

Besonders tief sitzt der Stachel des verpassten Erfolgs im "Battle of Britain". Aus englischer Sicht war das 0:0 gegen Schottland eine krachende Klatsche. Spätestens seit dieser Schmach überbieten sich die Experten - darunter viele ehemalige Weggefährten von Southgate - in einer Sportart, die mit dem Fußball verknüpft zu sein scheint: Verbesserungsvorschläge in allgemeiner Kritik an der Arbeit des Trainers zu verarbeiten.

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Heftige Kritik an Personalentscheidungen

Die Unzufriedenheit vor allem mit einigen seiner Personalentscheidungen nimmt stetig zu. Gerade offensiv hat Southgate die Qual der Wahl, der Pool an Spielern mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ist enorm. Aber natürlich können nicht alle spielen. Und im Idealfall dann doch eher immer dieselben als jedes Mal andere. Damit sich eine Formation findet und sich Automatismen entwickeln.

Klar ist: So unverrückbar wie 1996 stehen die Engländer aktuell nicht hinter Southgate. Das vordergründige Problem: Noch hat er keinen Titel mit den "Three Lions" gewonnen - nur: Wer kann das schon von sich behaupten? Allerdings verstärkt sich auf der Insel nicht nur das Gefühl, es wäre endlich mal wieder soweit, sondern es wäre auch wirklich möglich.

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Allardyces Fettnäpfchen beschert Southgate den Trainerposten

Ihren Glauben ziehen die Engländer dabei vor allem aus den bisherigen knapp fünf Jahren mit dem Westenträger am Spielfeldrand. Eigentlich war Southgate eher zufällig in die Rolle gerutscht, weil Sam Allardyce kurz nach seiner Jobübernahme 2016 Journalisten des "Telegraph" auf den Leim gegangen war und sich bei einem inszenierten Treffen um Kopf und Kragen geredet hatte.

So kam Southgate zu seinem Glück, nachdem seine einzige Trainerstation im Klubfußball mit dem FC Middlesbrough in der Championship endete. Einen Namen machte er sich eher im Nachwuchs des englischen Verbandes FA. Mit der U21 gewann er 27 von 33 Spielen, zwei der drei Niederlagen setzte es dummerweise in der Gruppenphase der EM 2015.

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Erste Niederlage gegen Deutschland

Als Interimslösung nach der Allardyce-Demission nutzte Southgate seine Chance, feierte unter anderem ein 3:0 in WM-Qualifikation über Schottland und ließ mit einem 2:2 gegen Spanien in einem Testspiel aufhorchen. Seine erste Niederlage setzte es dann ausgerechnet zum Jahresstart 2017 gegen Deutschland, beim 0:1 im Abschiedsspiel von Lukas Podolski.

Aus der damaligen Startelf steht nur noch Kyle Walker im aktuellen Aufgebot. John Stones, Luke Shaw, Marcus Rashford und Raheem Sterling saßen in Dortmund auf der Bank. Es folgte eine Zeitenwende im Fußball-Mutterland unter Southgate. Eine, die Begehrlichkeiten weckt.

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Verband will Vertrag schnell verlängern

Mit einem Altersschnitt von 25,3 Jahren stellen die "Three Lions" das jüngste Aufgebot aller EM-Teams. Acht der Auserwählten wären noch bei der U21-EM spielberechtigt gewesen. Die Zukunft sollte England gehören. Und Southgate.

Denn trotz der nur zeitweise mitreißenden Darbietungen bei den 1:0-Siegen über Kroatien und Tschechien winkt ihm nach dem Turnier - wann immer das Ende auch kommen wird - eine vorzeitige Vertragsverlängerung. "Wir würden es lieben, über den aktuellen Vertrag hinaus mit Gareth zusammenzuarbeiten", betonte FA-Boss Mark Bullingham am Rande des Teamlagers.

Zwei Top-4-Platzierungen als bisherige Duftmarken

Der aktuelle Kontrakt läuft nach der WM in Katar aus. Also in anderthalb Jahren. Doch Southgate soll das Team auch zur EM 2024 in Deutschland führen. "Gareth hat einen brillanten Job gemacht, mit einer soliden Defensive den Gruppensieg errungen. Und er überzeugt auf und neben dem Platz in jeder Hinsicht", schwärmte der erste Mann im Fußballstaat.

Sätze, die keine Zweifel zulassen. Mit Platz vier bei der WM 2018 und Rang drei in der Premierensaison der Nations League hat Southgate bereits Duftmarken gesetzt. Selbst eine weitere Niederlage gegen Deutschland würde zwar enorm schmerzen, aber das Vertrauen in seine Arbeit keineswegs erschüttern.

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Southgate über Elfer: "Alle haben gelitten"

Bleibt die Frage, ob Southgate jemals seinen Frieden machen wird mit seinem persönlichen Elfmeter-Trauma? Das kann wohl nicht einmal er selbst beantworten. Rückblickend erklärte der Coach nun: "Ich habe unter Druck versagt. Alle haben darunter gelitten. Das habe ich mehr als 20 Jahre mit mir herumgetragen." Ehrliche, ungeschminkte Worte. So kennen und lieben die Engländer ihren Coach.

Der hat es in der Hand, eine neue englische Legende zum Leben zu erwecken. Auf dass sein Name künftig nicht nur mit dem Abend des 26. Juni 1996 in Verbindung gebracht wird. Und auch noch in Generationen voller Bewunderung genannt wird.

Marcus Giebel

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