Der Weg von David Ojabo in die NFL gleicht einem Märchen. Im größten Spiel seiner jungen Karriere ist der Ravens-Star dennoch zum Zuschauen verdammt. Doch davon lässt sich der Schotte nicht unterkriegen.
Egal, welchen NFL-Spieler man zum Thema London Games befragt, die Antworten gleichen sich zumeist. "London ist ein wunderschöner Ort, die Atmosphäre ist einzigartig", gesteht beispielsweise Star-Receiver Odell Beckham Jr., "aber es ist immer schwierig, sich anzupassen, mit der Zeitumstellung klarzukommen, einfach deinen gewohnten Rhythmus zu finden."
Als die NFL im Frühjahr die drei Paarungen in der britischen Metropole bekanntgab, dürften die Augen eines Teamkollegen von OBJ dennoch besonders geleuchtet haben: Outside Linebacker David Ojabo verbrachte einen Großteil seiner Kindheit in Schottland und sehnte den 15. Oktober herbei, wie kaum ein anderer Spieler der Baltimore Ravens.
Ein einmaliges Spiel vor Freunden und Familie – was könnte es Schöneres geben?
Doch in diesen Genuss wird er leider nicht kommen. Eine schwere Verletzung bremst den 23-Jährigen vor dem ersten großen Höhepunkt seiner noch jungen Karriere aus.
Aufgeben kommt für ihn aber nicht in Frage – dafür reicht schon ein Blick auf seinen steinigen Weg in die NFL.
"Es liegt letztlich alles in Gottes Hand. Du kontrollierst, was du eben kontrollieren kannst. Ich versuche positiv zu bleiben", schildert Ojabo nachdenklich seine Gedanken vor dem Spiel am Sonntag (im Liveticker auf ran.de).
Seit knapp zwei Wochen steht der Linebacker auf der Injured-Reserve-Liste: Während der 19:22-Overtime-Niederlage gegen die Indianapolis Colts zog er sich Verletzungen am Knie und Sprunggelenk zu. Nichtsdestotrotz ist der Presseraum auf dem Trainingsgelände der Tottenham Hotspur im Norden Londons gut gefüllt, der ehemalige Zweitrundenpick ist ein begehrter Gesprächspartner.
David Ojabo: Ein NFL-Star aus Europa
Dafür hat auch die NFL selbst gesorgt, im Media Schedule wird Ojabo als "UK-born" beworben, ein Eigengewächs aus Großbritannien sozusagen. Geboren ist der Pass Rusher zwar in Nigeria, mit sieben Jahren siedelte seine Familie allerdings in die Nähe von Aberdeen, Schottland, über.
Auch in der offiziellen Rosterliste der Ravens wird nicht etwa seine Geburtsstadt in Afrika aufgeführt, sondern ganz selbstverständlich die schottische Großstadt.
Der Youngster ist damit ein von der Liga gern gesehenes Beispiel für den Erfolg der International Series, die in London einst ihre moderne Form annahm. "Ich habe mir früher schon ein paar Highlights der International Games angeguckt", gesteht Ojabo auf Nachfrage von ran: "Teil dieser Entwicklung [und des internationalen Wachstums der Liga, Anm. d. Red.] zu sein, ist fantastisch."
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David Ojabo: Baltimore Ravens in London – "das erlebst du nur einmal!"
Obwohl er Optimismus versprüht, merkt man dem Youngster seine Enttäuschung zu Beginn der Pressrunde deutlich an: "Es ist für mich ein unfassbarer Segen, dass ich zurück zu Hause bin - gleichzeitig ist es auch tragisch, dass ich mit meinen Brüdern am Sonntag nicht auf dem Platz stehen kann." Für einen kurzen Moment wischt sich Ojabo über die Augen, versucht seinen Frust nicht ausbrechen zu lassen.
Wenige Augenblicke später ziert dann wieder ein breites Grinsen sein Gesicht. "Ich konnte endlich meine Familie wieder sehen. Ich habe sie alle das erste Mal dieses Jahr wiedergesehen, sonst komme ich ja nur einmal im Jahr nach Hause", lacht er glücklich in die Runde: "Auch dieses Erlebnis mit meinem Team, meinen Jungs zu teilen – das erlebst du nur einmal im Leben."
Dass er eines Tages beim American Football landen würde, war für den 23-Jährigen nicht unbedingt vorgezeichnet. "Ich habe früher Fußball gespielt. Manchester United war mein Team", gesteht der Pass Rusher und sorgt für Gelächter im Presseraum.
Und weiter: "Mein Vater hat mich zu einigen Spielen auch mitgenommen. Das werde ich nie vergessen." Über sein Talent im Basketball empfiehlt er sich für eine High School – und wagt mit 17 den Sprung in die USA.
David Ojabo: Ein Schotte durch und durch
Neben dem Basketball-Court überzeugt der kräftige Athlet auch mit seiner Geschwindigkeit in der Leichtathletik, sodass er in seinem letzten High-School-Jahr zum Football wechselt. Laut "BBC" wird Ojabo in der Folge von Hochschulangeboten geradezu überrollt, mehr als 30 Universitäten kämpfen um seine Gunst.
Am Ende erhalten Jim Harbaugh – Bruder seines jetzigen NFL-Head-Coaches John Harbaugh – und die University of Michigan den Zuschlag.
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Ich liebe es einfach, Mann. Schottland ist mein Zuhause.
David Ojabo, vor dem Draft 2022
Ausschlaggebend für die Wahl: Eine ganz spezielle Erinnerung an seine Heimat – "Für mich hat es sich wie ein kleines Stück Schottland angefühlt, vor allem wegen dem Wetter. Da habe ich mich einfach am wohlsten gefühlt", unterstrich Ojabo in einem "BBC"-Interview im Januar 2022.
Schon damals sah er sich mehr als Schotte, denn als Nigerianer: "Ich liebe es einfach, Mann. Schottland ist mein Zuhause."
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David Ojabo: Verletzung zum ungünstigsten Zeitpunkt
Zum Zeitpunkt des Interviews gilt der Pass Rusher sogar als potenzieller Top-10-Pick im Draft, ehe die größtmögliche Katastrophe eintritt: Bei seinem Pro Day reißt sich Ojabo die Achillessehne. Dennoch schlagen die Ravens sechs Wochen später zu - und wählen ihn schon in der zweiten Runde aus. "Das ist bloß eine kleine Bodenwelle. Nur ein weiteres Hindernis, dass ich überwinden werde", versprach er damals siegessicher gegenüber "ESPN".
Am Ende absolviert er in seiner Rookie-Saison zwei Spiele und insgesamt nur 21 Snaps auf Seiten der Defense. 2023 beginnt hingegen vielversprechend, schon im ersten Spiel gegen Houston sorgte Ojabo mit einem Strip Sack für Jubel auf Seiten der Ravens. Es schien ein gutes Jahr zu werden, mit dem London Game als ultimativem Highlight – bis zur eben zweiten schweren Verletzung.
Baltimore Ravens in London: Kein gewöhnliches Spiel
Auch wenn er am Sonntag nicht aktiv auf dem Feld stehen wird, fiebert das britische Eigengewächs auf die Partie gegen die Tennessee Titans hin. "Jede Menge Leute wollten Tickets haben, aber frag' mich nicht nach der genauen Anzahl", erwidert Ojabo lachend zum Ende der Presserunde: "Ich bin so nah an meiner Heimat, ich freue mich einfach, dass so viele meiner Leute dabei sein können."
"Normale" Tickets soll es für die große Gruppe allerdings nicht geben, das hat der Pass Rusher hoch und heilig versprochen. "Sie werden angemessene Plätze haben", verrät er mit einem Augenzwinkern und verweist dabei auf die zahlreichen Logen im Tottenham Hotspur Stadium.
Auch seine Vorbildfunktion soll am Sonntag nicht in Vergessenheit geraten, so Ojabo. "Kinder wie ich brauchen einfach nur eine Chance, unser gottgegebenes Talent zu zeigen", unterstreicht er: "Das Aufwachsen in einem fremden Umfeld kann in einem Sport durchaus ein Nachteil sein. Aber manchmal setzt sich die Athletik und der Wille durch."
Wer wüsste das besser zu beurteilen als David Ojabo.