Bayern-Krise weitet sich aus
FC Bayern München - Müller, Mane, Tel: So macht Thomas Tuchel sich angreifbar
- Aktualisiert: 21.04.2023
- 13:07 Uhr
- ran.de
Beim FC Bayern München wird Trainer Thomas Tuchel aufgrund der Umstände seines Amtsantritts aus der Schusslinie genommen. Doch der 49-Jährige macht sich durch so manche Entscheidung angreifbar. Eine kommentierende Analyse.
Von Andreas Reiners
Ja, der Vergleich hinkt natürlich ein bisschen. Wenig schmeichelhaft ist er trotzdem. Eigentlich ist er sogar ziemlich peinlich. Und lässt tief blicken.
Denn der letzte Trainer des FC Bayern München, der nur zwei seiner ersten sechs Spiele gewann, war Sören Lerby. 1991 war das. Fehlstart nennt man so etwas. Den hat nun auch Thomas Tuchel mit der gleichen Bilanz hingelegt.
Die Verantwortlichen nahmen nach dem Aus in der Champions League und der zweiten verlorenen Titelchance einer erneuten Trainer-Diskussion aber erst einmal den Drive.
FC Bayern München: Auch Tuchel hat schon Fehler gemacht
"Wir sind überzeugt, dass wir mit Thomas Tuchel erfolgreich sein werden", sagte der selbst in die Kritik geratene Klubboss Oliver Kahn. Und auch Präsident Herbert Hainer nahm den Trainer in Schutz: "Tuchel kann auch nicht die Hand auflegen und dann ist alles besser. Er hat die Mannschaft heute gut eingestellt."
Was in dieser Phase oft und gerne angeführt wird: Tuchel arbeitet noch nicht lange mit der Mannschaft zusammen, englische Wochen und die Abwesenheit einiger Schlüsselspieler in der Länderspielpause verhinderten intensive Maßnahmen, hinzu kommen personelle Entscheidungen, die schon lange vor Tuchel getroffen wurden. Beispiel hierfür: Die Diskussion um einen fehlenden Weltklasse-Neuner.
Alles richtig. Trotzdem ist rund um die turbulente Anfangszeit Tuchel selbst nicht gänzlich aus der Verantwortung zu nehmen. Denn: Auch der Trainer hat durchaus schon einige Fehler in seinen vier Wochen bei Bayern gemacht und das in verschiedenen Bereichen.
FC Bayern: Tuchels Personalentscheidungen werfen Fragen auf
Im Nachhinein ist man immer schlauer, doch warum Tuchel in einem mental höchst anspruchsvollen Viertelfinal-Rückspiel gegen Manchester City mit einer 0:3-Hypothek ausgerechnet auf einen Mentalitätsmagier wie Thomas Müller verzichtet, ist durchaus fragwürdig.
Ebenso fragwürdig, wie die Chance verstreichen zu lassen, bei Sadio Mane nach der Kabinenschlägerei den Frust in positive Energie umzuwandeln, den Senegalesen in die Pflicht zu nehmen und spätestens zu Beginn der zweiten Halbzeit, wenn offensichtlich ist, dass die gegnerischen Außenverteidiger einen schlechten Tag erwischt haben.
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Schwierig wird es, wenn Tuchels Begründung im Fall Müller ("Gegen ManCity ist kein Thomas Müller-Spiel") zwei Mal durch mehr Ballbesitz als erwartet widerlegt wird.
Insgesamt fehlten personelle und taktische Überraschungsmomente, wie eine Chance für Mathys Tel, der nach seiner Einwechslung unterstrich, dass er gut drauf ist und der lahmenden Bayern-Offensive etwas geben kann.
Dass die Bayern nach einem 0:3 im Hinspiel nicht viel zu verlieren hatten, sah man der Start-Aufstellung in weiten Teilen nicht an. Auch rechtzeitige Anpassungen blieben aus, wie zum Beispiel eine Reaktion auf die schwachen Außenbahnen der Engländer - defensiv wie offensiv. Dass Alphonso Davies wie auch Mane nach einer Stunde eingewechselt wurden, kam zu spät.
Bayern-Trainer Tuchel verpasst Chance bei Dauerreservisten
Dem formschwachen Dayot Upamecano nach dem Hinspiel eine Pause zu gönnen, hätte Tuchel die Möglichkeit gegeben, Benjamin Pavard nach innen zu ziehen und auf rechts zum Beispiel mit Joao Cancelo für mehr Druck zu sorgen.
Tuchel entschied sich unter dem Strich gegen das Überraschende und für das womöglich zu Offensichtliche.
Daneben kommt durch die harsche Kritik von Noussair Mazraoui ("Fühle mich vergessen") und den ungewöhnlichen Zeitpunkt der Aussagen automatisch die Frage nach der Teamführung Tuchels auf. Auch andere wie Ryan Gravenberch, Josip Stanisic oder Daley Blind scheinen keine echte Chance auf längere Einsatzzeiten zu haben.
Dabei wird viel davon abhängen, wie Tuchel die Gemengelage moderiert. Für seine Ansprachen gab es aus dem Verein heraus zuletzt viel Lob, Mazraouis Vorpreschen spricht hingegen eine andere Sprache. Möglicherweise hat Tuchel es hier auch verpasst, seine Wirkung als neuer Trainer bei den Reservisten zu nutzen.
Thomas Tuchel eskaliert – und redet sich heraus
Verpasst hat er mit seiner wenig überraschenden Aufstellung auf jeden Fall eine Chance, den Gegner zu überrumpeln. Doch nicht nur Taktik, auch Emotionalität gehört zu so einem wichtigen Spiel dazu, kann das eigene Team antreiben, aufwecken, Signale setzen. Trotzdem ist es fraglich, ob Tuchel sich und seiner Mannschaft mit seinen angesichts der schwachen Spielleitung von Schiedsrichter Clement Turpin nachvollziehbaren Wutausbrüchen einen Gefallen getan hat.
"Zwei Dinge konnten heute das Niveau nicht halten: Der Rasen und der Schiedsrichter, der war Note 6", meckerte Tuchel. Dass hinterher vor allem Turpin und der Platz – auf dem City ja auch gespielt hat – bei Trainer und den Spielern als Ausreden herhalten mussten, spricht Bände - im negativen Sinn.
Thomas Tuchel beim FC Bayern: Zu viel der Positivität
Dass Tuchel, Kimmich und Co. nach beiden Spielen und einem 1:4 in der Gesamtabrechnungzufrieden von fehlendem Spielglück und 25 bis 30 schlechten Minuten schwadronierten, dazu von kompletter Augenhöhe und dass man City in beiden Spielen "am Haken" hatte, war zu viel der Selbstbeweihräucherung.
Etwas mehr Sinn für die zugegebenermaßen bittere Realität der augenscheinlichen Lücke zu den internationalen Top-Klubs täten Trainer und Team für den Liga-Endspurt gut.
Insgesamt ließ der Trainer an diesem Abend wieder "den alten Tuchel" zum Vorschein kommen. Er wurde zurecht anfänglich für seine Souveränität gelobt, für seinen Umgang mit der schwierigen Situation, den Herausforderungen, Baustellen und Nebenkriegsschauplätzen beim FC Bayern gelobt. Die Frage war: Bleibt das so?
Die Ausreden, die Ausraster, seine Dünnhäutigkeit nach dem Spiel ("Ich weiß nicht, ob mir ihre wertende Tonlage bei der Frage gefällt") sind zwar letztendlich eine Momentaufnahme.
Aber eine, die druchaus tief blicken lässt.